Julija Nawalnaja im EU-Parlament: „Putin ist zu allem fähig“
Straßburg. Ein lautes Seufzen, dann begann Julija Nawalnaja am Mittwoch im Straßburger EU-Parlament vor den Abgeordneten zu sprechen. Schlagartig wurde es still im Plenarsaal, als die Witwe des im russischen Straflager ums Leben gekommenen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny über Putins Angriffe auf Oppositionelle und die Ukraine sprach. „Drei Jahre lang haben sie meinen Mann gefoltert, ihn in einer winzigen Zelle hungern lassen, dann haben sie ihn umgebracht“, sagte Nawalnaja. „Dieser öffentliche Mord hat gezeigt, dass Putin zu allem fähig ist und man nicht mit ihm verhandeln kann.“
So deutlich wie selten zuvor verurteilte die Witwe des Kremlgegners den Angriffskrieg gegen die Ukraine. „Jetzt ist das Schlimmste passiert: Alle haben sich an diesen Krieg gewöhnt“, kritisierte die Witwe des Kremlgegners. Besorgt zeigte sie sich darüber, dass keine der Maßnahmen der EU die russische Aggression in der Ukraine wirksam gestoppt habe. Putin müsse zur Verantwortung dafür gezogen werden für das, was er Russland, der Ukraine und Nawalny angetan habe. Der Kremlkritiker war nach Angaben der russischen Behörden am 16. Februar im Alter von 47 Jahren in einem berüchtigten Straflager gestorben. Die genauen Todesumstände sind nicht bekannt. Ob die Beerdigung am Freitag friedlich verlaufen wird? Nawalnaja vermag es nicht zu sagen. „Vielleicht wird die Polizei alle verhaften, die sich von meinem Ehemann verabschieden wollen.“
Nawalnaja bezeichnete Putin als „blutrünstigen Mafioso“. Wenn man ihn besiegen wolle, müsse man erfinderisch werden und seine „kriminelle Bande bekämpfen“. Im Parlament erntete sie minutenlangen Applaus. „Die Würde und die Stärke, die die gesamte Familie von Alexej Nawalny seit seinem Tod gezeigt hat, sind bewundernswert“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, David McAllister (CDU). „Wir werden sein Opfer gebührend erinnern und seine Witwe dabei unterstützen, den Widerstandskampf fortzusetzen“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Nawalny sei „ein leuchtendes Beispiel für unnachgiebigen Mut“. Trotz unmenschlicher Haftbedingungen habe er unermüdlich und mutig seinen Kampf fortgesetzt und die Korruption der Macht angeprangert.
„Frau Nawalnaja hat mit ihrer Rede bewiesen, dass der Wunsch nach einem Leben in Freiheit und Demokratie selbst durch Folter und Mord nicht auslöschbar sind“, sagte der Chef der FDP-Abgeordneten im EU-Parlament, Moritz Körner. „Trotz des Todes von Alexej Nawalny lebt seine Botschaft und der Widerstand gegen Korruption und den Despoten Putin fort“, so Körner zum RND.
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Zur vollständigen AnsichtAm Donnerstag will das EU-Parlament in einer Resolution den Mord an Nawalny „aufs Schärfste“ verurteilen. Es fordert eine internationale Untersuchung der Todesumstände und die Freilassung aller politischen Gefangenen. Die Mitgliedstaaten sollen die Sanktionsmöglichkeiten nutzen und gezielte Maßnahmen gegen diejenigen ergreifen, die an den politisch motivierten Verfahren gegen Nawalny, seiner Verurteilung, seiner Inhaftierung und seinen Haftbedingungen beteiligt waren, darunter Staatsanwälte, Richter und Gefängnispersonal.
Nawalnajas Ansprache im Europäischen Parlament fand einen Tag vor Putins Rede zur Lage der Nation an diesem Donnerstag im russischen Parlament statt. Beobachter gehen davon aus, dass es sich um eine reine Wahlkampfrede handeln wird, in der sich Putin wenige Tage vor den Präsidentschaftswahlen als erfolgreicher Präsident inszenieren wird. „Außenpolitik dürfte nur wenig Raum einnehmen, auch der in Russland unpopuläre Krieg wird allenfalls am Rande zur Sprache kommen“, meint Russland-Experte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck. Putin werde viele Versprechungen für die Zukunft abgeben, vor allem in den Bereichen Soziales, Gesundheit und Bildung.
„Der Tod Nawalnys wird ganz sicher kein Thema in der Rede sein“, meint Mangott. Putin habe zuletzt nicht einmal mehr den Namen Nawalny in den Mund genommen. „Der Kreml will das Thema begraben und duldet keine Diskussion.“