Kambodscha: Ein Land ackert für den Erfolg
„Es ist doch großartig, dass wir hier jetzt ein Dach haben“, ruft Polrath Teak ins Publikum und deutet mit seinem Mikrofon zuerst in die auf Plastikstühlen sitzende Menge vor sich, dann auf die Konstruktion über seinem Kopf. „Sie alle haben es geschafft.“ Nun blickt der Fabrikmanager auf Markenlogos, die hinter ihm auf ein Transparent gedruckt sind. „Vor ein paar Jahren verkauften viele von uns noch einzelne Hühner, um etwas Geld zu machen. Aber heute exportieren wir Mangos in die ganze Welt.“ Tosender Applaus schlägt dem Mann entgegen.
In Kampong Speu, einer Provinz im Südwesten Kambodschas, ist die Stimmung gut. Gemeinsam mit zuliefernden Landwirtschaftsgenossenschaften hat die Kirirom Food Production (KFP), ein regionaler Agrobetrieb, zum monatlichen Treffen geladen, um die jüngsten Entwicklungen zu besprechen. „Wir sind sehr gut dabei. Die Europäer lieben unsere Produkte“, freut sich Polrath Teak, der für KFP Auslandskontakte knüpft. Gehe es so weiter, würden bald nicht mehr 1000 Bauern an den Mangos verdienen, sondern viel mehr.
Ich liebe Kapitalismus.
Polrath Taek
, Manager der Kirirom Food Production
Als „Landwirtschaftspionier“ wird KFP in Medien des südostasiatischen Landes mit seinen mehr als 17 Millionen Einwohnern gefeiert. Denn der Betrieb schafft etwas, das in der kambodschanischen Landwirtschaft noch neu ist: Statt Rohstoffen exportiert KFP verfeinerte Produkte. „Wir sind drauf gekommen, dass getrocknete Mangos nicht nur gut schmecken“, sagt der Manager Polrath Taek nach seinem Vortrag. Die getrocknete Ware ließe sich billiger verschiffen und brächte mehr Rendite. „Ich liebe Kapitalismus“, lacht Taek.
Ein Satz, den man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. Denn es ist nicht allzu lang her, da wäre er für solche Worte noch mit dem Tod bestraft worden. In Zeiten, als viele der versammelten rund 100 Bäuerinnen und Bauern noch jung waren, aber schon dieselben Felder beackerten wie heute. Einen überdachten Versammlungssaal gab es früher nicht. „Damals standen hier Soldaten mit Bambusstöcken und passten auf, dass wir fleißig arbeiten“, erinnert sich ein älterer Mann. „Sonst wurden auch wir Kinder geprügelt.“
Der Völkermord der Roten Khmer
Am 17. April 1975, vor 50 Jahren, übernahmen in Kambodscha die Roten Khmer die Macht. Diese sich als kommunistisch begreifende Gruppe hatte für das Land eine besondere Ideologie: Nach einer langen Zeit der Fremdherrschaft und einem folgenden Bürgerkrieg wollten die Roten Khmer Kambodscha endlich unabhängig von äußeren Einflüssen machen, und ganz allein eine klassenlose Gesellschaft verwirklichen. Ein Leben in Ruhe und Wohlstand versprachen sie. Doch es kam anders, es kam zu einem historischen Chaos.
Binnen der dreieinhalb Jahre, die sich die Roten Khmer an der Macht hielten, setzten sie ihre Ziele brutal durch. Um alles Bürgerliche zu vernichten, mussten Stadtbewohner aufs Land ziehen, um auf den Feldern zu arbeiten. Bücher wurden verbrannt, Widersacher gefoltert und ermordet. Insbesondere in den berühmt-berüchtigten „Killing Fields“, Stätten, an denen Massenmorde begangen wurden, starben Hunderttausende. Nicht nur international, sondern auch im Land selbst wird das, was in Kambodscha damals geschah, heute Genozid genannt. Die Gesamtzahl der Opfer liegt nach aktuellen Schätzungen bei 1,7 bis 2,5 Millionen Menschen. Sie starben an Hunger, Krankheiten, Überarbeitung, Folter und Mord.
Das Vorgehen der Roten Khmer war nicht nur aus Menschenrechtsperspektive grausam. Ökonomisch wurden zuvor erreichte Fortschritte zunichtegemacht. Neben verbranntem Wissen fehlten in vielen Sektoren Arbeitskräfte, während es in der Landwirtschaft zwar genügend Menschen gab, aber kaum Erträge. „Land wurde in Quadrate aufgeteilt“, erklärt Daniel Bultmann, Professor an der Berliner Humboldt-Universität und Kambodscha-Experte. „Jede Parzelle musste gleich Erträge liefern.“ Die Unregelmäßigkeit der Natur wurde schlichtweg ignoriert.
2024 wuchs die Volkswirtschaft um 5 Prozent
Erst Ende der 1990er Jahre kapitulierten die Roten Khmer nach einem erneut ausgebrochenen Bürgerkrieg endgültig. Und ihre fehlgeleitete Planwirtschaft ist zu einem Großteil dafür verantwortlich, dass Kambodscha nach UN-Einteilungen bis heute in die Kategorie der „am wenigsten entwickelten Länder“ fällt. Andererseits: Das Land – das zwar auch heute praktisch ein Ein-Parteienstaat ist – boomt seit Jahren, entwickelt sich ökonomisch in hohem Tempo.
2024 wuchs die Volkswirtschaft um 5 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf hat sich seit 2012 auf rund 2400 US-Dollar mehr als verdoppelt. Ein wichtiger Grund dafür: Der Landwirtschaftssektor, in dem nicht zuletzt wegen der Roten Khmer bis heute knapp vier von zehn Personen beschäftigt sind. Doch nun zeigen sich in der Branche – über deren Produktionsziele kein Zentralkomitee in der Hauptstadt mehr wacht, sondern der Markt – überall innovative Ideen.
Mit deutscher Hilfe
KFP expandiert etwa seit Jahren, hat zuletzt eine Produktionsanlage gebaut, auf der seither nicht mehr nur Mangos getrocknet und verpackt, sondern auch diverse Abfallprodukte weitergenutzt werden. Mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) wurde auch ein Konzept entwickelt, um eine volle Kreislaufwirtschaft aller Rohstoffe zu etablieren, von der Schale, die zu Futter verarbeitet wird, bis zu Kernen zur Kompostierung und Weiterverwendung des Wassers.
Wie eine Kombination aus Umweltverträglichkeit und Effizienzdenken das Geschäft optimieren kann, hat auch eine Kooperative in der Provinz Takeo , östlich von Kampong Speu sich zu eigen gemacht. „Unter den Roten Khmer mussten wir den Reis mit menschlichem Kot düngen“, erinnert sich die 68-jährige Duen Yan, als sie über ihre Felder stapft. „Das war nicht nur abartig für uns. Es schien auch dem Boden nicht gutzutun.“ Die Ernten fielen schlecht aus, worauf die Roten Khmer mit Schlägen reagierten.
Unter den Roten Khmer mussten wir den Reis mit menschlichem Kot düngen.
Duen Yan
, Bäuerin
Vor einigen Jahren entwickelte die Kooperative, der auch Duen Yan angehört, ein von den Roten Khmer einst eingeführtes System kleiner Kanäle zwischen den Parzellen ein Stück weiter. „Von den schmäleren Kanälen zu den größeren am Ende der Felder haben wir Klappen eingeführt, durch die wir den Wasserstand regulieren können.“ Auf Kursen zur Weiterbildung erfuhren die Bäuerinnen, dass ein zu hoher Wasserstand nicht nur zu geringeren Erträgen führt, sondern auch mehr Methan in die Ozonschicht freisetzt.
Neue Konzepte für die Landwirtschaft
„Unser neues System ist simpel, hat unsere Möglichkeiten aber völlig verändert“, erzählt Duen Yan mit Stolz in der Stimme. „Wir können jetzt nicht nur für uns selbst Reis anbauen, sondern verkaufen zweimal im Jahr Überschüsse nach Vietnam.“ Auch in den trockenen Monaten Juni und Juli bleibt nun Wasser übrig, das Hunderte Familien, die in der Kooperative vereint sind, für ihre Haushalte nutzen können. „Unter den Roten Khmer hätte niemand neue Konzepte umsetzen dürfen“, sagt die ältere Frau. „Man musste den Mund halten.“
Wäre es bei der Terrorherrschaft geblieben, gäbe es heute auch Kambodschas vielleicht angesagtestes Start-up nicht. Im Zentrum der Hauptstadt Phnom Penh führt Connor Kirsch durch einen halbdunklen Raum mit riesigen Brennblasen. „Hier entsteht unser Rum“, erklärt der 28-jährige gebürtige Kölner, der seit Kurzem bei Samai arbeitet, der ersten Rumbrennerei des Landes. „Dass es nicht schon viel früher kambodschanischen Rum gab, ist eigentlich unglaublich“, sagt Kirsch und zeigt auf eine Weltkarte. „Zuckerrohr wächst hier seit Jahrtausenden.“
Aber die Trinkkultur drehte sich immer um Getränke, die aus anderen Rohstoffen hergestellt wurden, vor allem aus Reis. Als sich vor zehn Jahren zwei Venezolaner bei einer Reise ins Land wunderten, dass es hier keinen Rum gab, gründeten sie Samai – was angesichts der heute für Investitionen offenen Wirtschaftspolitik kein großes Problem war. „Im Inland können wir jetzt schon fast nicht mehr wachsen“, sagt Connor Kirsch. „Jede gehobene Bar führt unsere Drinks.“ Die Erlöse liegen im hohen sechsstelligen Eurobereich.
„In Kambodscha sind wir im Vergleich zu Marken wie Havanna oder Captain Morgan preis kompetitiv“, doziert Kirsch, der die Verkäufe leitet. „Wenn sich unsere Kapazitäten vergrößern, können wir auch günstiger werden.“ Nun schielt Samai mit einem neuen Produkt gen Weltmarkt. Die Brennmeisterin, eine kambodschanische Chemikerin, kam eines Tages auf die Idee, den für seine Süßnote berühmten heimischen Kampot-Pfeffer beizumischen. „Der Kampot Pepper Rum ist unser spektakulärster Drink.“
Auf eine Weise geschieht im heutigen Kambodscha gerade das, was die Roten Khmer wollten: Eine Gesellschaft, in der möglichst viele Menschen in der Landwirtschaft aktiv sind und das Grundsätzlichste herstellen. Nur haben die Mittel, mit denen dies heute erreicht wird, praktisch nichts mit dem gedanklichen Werkzeugkasten des einstigen Terrorregimes zu tun.
Auch wenn Kambodscha noch immer als eines der ärmsten Länder Asiens gilt, sind die Fortschritte im Land beachtlich. Die Wirtschaft wächst, eine bessere Gesundheitsversorgung sorgt dafür, dass die Lebenserwartung der Menschen steigt und die Kinder- und Muttersterblichkeitsrate deutlich gesenkt werden konnte.
Es geht also bergauf. „Den Kampot-Pfeffer in Rum zu verarbeiten, hätte sich ja auch vor zehn Jahren niemand vorstellen können“, sagt Connor Kirsch. Aber es funktioniert. Nach Frankreich und Osteuropa wird der Pfefferrum schon für etwa 45 Euro die Flasche verkauft. Und in Kambodscha ist es nicht etwa so, dass nun der Pfeffer ausgeht, wie die Roten Khmer womöglich befürchtet hätten. Mit den Einnahmen aus dem Exportgeschäft baut Samai seine Produktionsanlagen aus, um dann auch neue Arbeitsplätze zu schaffen.