Die Tat und der Täter: Welche Rolle die Nationalität für die Debatte nach Mannheim spielt
- Was ist mittlerweile über den Tatverdächtigen von Mannheim und dessen mögliches Motiv bekannt?
- Welche Reaktionen gab es auf die Tat?
- Wurde ein mögliches rechtsextremes Tatmotiv von Ermittlern, Medien und Politik einfach ausgeblendet?
- Wieso bestimmt die Tat von Mannheim die öffentliche Debatte so viel weniger als andere Taten?
- Behandeln Politik und Medien Taten von Deutschen anders als die von Nichtdeutschen?
Was ist mittlerweile über den Tatverdächtigen von Mannheim und dessen mögliches Motiv bekannt?
Die Polizei in Mannheim hat kurz nach der Tat den 40-jährigen Deutschen Alexander S. als Tatverdächtigen festgenommen. Gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren wegen zweifachen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes eingeleitet. Die Ermittler haben früh erklärt, dass sie kein politisches oder terroristisches Tatmotiv sehen. Vielmehr gebe es Anhaltspunkte für eine psychiatrische Erkrankung des mutmaßlichen Täters. Alexander S. habe sich in den vergangenen Jahren regelmäßig in psychiatrischer Behandlung befunden. Die Staatsanwaltschaft Mannheim teilte am Freitag mit, der Tatverdächtige habe sich bei der Festnahme von den Polizisten erschießen lassen wollen. Bereits vor der Festnahme versuchte er offenbar, sich das Leben zu nehmen.
Haben Sie Suizidgedanken? Dann wenden Sie sich bitte an folgende Rufnummern:
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Durch eine Veröffentlichung der antifaschistischen Rechercheplattform „Exif Recherche“ wurden am Tag nach der Amokfahrt allerdings auch Verbindungen des Tatverdächtigen in die rechtsextreme Szene bekannt. Demnach sei Alexander S. 2018 laut internen Unterlagen Mitglied der von Neonazis angeführten Reichsbürgergruppe „Ring Bund“ gewesen. Führende Köpfe dieser Gruppe hätten auch einem rechtsextremen Waffenhandelsring angehört. „Exif Recherche“ veröffentlichte zudem Fotos, die Alexander S. im Oktober 2018 als Teilnehmer einer rechtsextremen Demonstration in Berlin zeigen.
Großeinsatz in Mannheim: Auto rast in Menschenmenge
Im Jahr 2018 wurde S. außerdem im Zusammenhang mit einem Social-Media-Kommentar wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole verurteilt. Die „Welt“ berichtete, S. habe damals unter einem Foto Adolf Hitlers auf Facebook den Kommentar „Sieg Heil from Germany“ hinterlassen.
Hinweise auf eine Anbindung des Tatverdächtigen an die rechtsextreme Szene nach 2018 sind bislang jedoch nicht öffentlich bekannt. Im Jahr 2020 teilte er auf Facebook ein Video, in dem zu sehen ist, wie Neonazi-Schmierereien übersprüht werden und kommentierte es mit dem Wort „Saugeil“. Es wäre demnach denkbar, dass sich S. in den vergangenen Jahren vom Rechtsextremismus abgewandt hat.
Welche Reaktionen gab es auf die Tat?
Unmittelbar nach der Amokfahrt, als zunächst nichts und später wenig über den Tatverdächtigen und mögliche Motive bekannt war, reagierten Politik und Öffentlichkeit im Grunde so, wie sie meist auf solche Taten reagieren. Medien berichteten die bekanntwerdenden Details der Tat, Politikerinnen und Politiker verschiedener Parteien äußerten ihre Anteilnahme und ihr Mitgefühl für die Opfer.
Schnell wurden jedoch auch Mutmaßungen und Spekulationen verbreitet, wurde die Tat instrumentalisiert. Der rechtspopulistische Journalist Roland Tichy brachte die Tat am Montagnachmittag auf X mit Zuwanderung in Verbindung. Die Publizistin Birgit Kelle fragte ebenfalls auf X: „Wie viele Tote braucht es noch, bis die Grenzen endlich zu sind und wir konsequent abschieben?“ Zahlreiche rechte und rechtsextreme Accounts verbreiteten zudem Falschbehauptungen über einen angeblichen Tatverdächtigen mit einem arabisch klingenden Namen.
Wurde ein mögliches rechtsextremes Tatmotiv von Ermittlern, Medien und Politik einfach ausgeblendet?
Viele Medien berichteten schon am Tag der Tat über die Jahre zurückliegende Verurteilung des Tatverdächtigen wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole, gaben aber auch sonst die Informationen wieder, die das Baden-Württembergische Landeskriminalamt (LKA) und die Staatsanwalt Mannheim der Öffentlichkeit zur Verfügung stellten: dass es aus Sicht der Behörden keinen Hinweis auf ein politisches oder terroristisches Motiv gibt und die Behörden vielmehr Hinweise auf psychische Vorerkrankungen haben und dafür, dass sich der Tatverdächtige in einer psychischen Ausnahmesituation befand.
Nach der Veröffentlichung durch „Exif Recherche“ am Mittwoch erklärten Staatsanwaltschaft und LKA in einer gemeinsamen Mitteilung, die Hinweise auf mögliche Kontakte des 40-Jährigen „ins rechtsextreme Milieu im Jahr 2018“ seien den Ermittlungsbehörden bekannt und stünden ebenfalls im Fokus der Ermittlungen. Die Ermittler erklärten weiter: „Abfragen bei verschiedenen Nachrichtendiensten führten allerdings zu keinen extremismusrelevanten Rückmeldungen. Auch bei den bisher gesichteten Asservaten konnten bislang keinerlei Anhaltspunkte für eine extremistische Gesinnung des Tatverdächtigen gefunden werden. Die Auswertung wird aktuell intensiv fortgeführt.“
Die Todesfahrt von Mannheim: Was wir wissen und was nicht
Mindestens zwei Personen sind am Montag durch ein Auto getötet worden, das in Mannheim in eine Menschengruppe gefahren ist. Die Behörden ermitteln nun wegen zweifachen Mordes. Tatverdächtig ist ein 40-jähriger Mann aus Rheinland-Pfalz.
Wieso bestimmt die Tat von Mannheim die öffentliche Debatte so viel weniger als andere Taten?
Die Amokfahrt auf einem Weihnachtsmarkt in Magdeburg im vergangenen Dezember war über mehrere Wochen ein wichtiges Thema in der Berichterstattung und der politischen Auseinandersetzung, der Doppelmord von Aschaffenburg bestimmte den Bundestagswahlkampf maßgeblich und sorgte dafür, dass die Themen Migration und Sicherheit fast alle anderen Wahlkampfthemen in den Schatten stellen.
Die Amokfahrt von Mannheim, bei der am Montag zwei Menschen getötet und 14 verletzt wurden hat deutlich weniger Berichterstattung und kaum eine politische Debatte ausgelöst. Die Gründe dafür sind vielschichtig: Nach der Tat von Magdeburg wurde schnell klar, dass die deutschen Sicherheitsbehörden im Vorfeld Warnungen über den späteren Täter erhalten hatten und der Mann schon lange auch durch öffentlich geäußerte Drohungen aufgefallen war. Es stand deshalb ein Versagen der Sicherheitsbehörden im Raum. Damit verbunden wurde auch der Aufenthaltsstatus des aus Saudi-Arabien stammenden Arztes viel thematisiert. Zudem gab es neben Hinweisen auf eine mögliche psychische Erkrankung viel deutlichere Hinweise auf ein politisches Tatmotiv. Der Mann hatte sich über Jahre hinweg stark islamfeindlich geäußert und eine Nähe zu Rechtsextremen gezeigt.
Im Fall von Aschaffenburg wurde insbesondere die Tatsache thematisiert, dass der Täter ein bereits wegen mehrerer Gewalttaten aufgefallener ausreisepflichtiger Asylbewerber aus Afghanistan ist. Der Doppelmord an zwei Kindergartenkindern schreckte viele Menschen in Deutschland auf. Zum über Wochen bestimmenden Thema wurde die Tat aber vor allem dadurch, dass insbesondere CDU und CSU sie zum Anlass genommen haben, um im Bundestagswahlkampf massive Verschärfungen des Migrations- und Asylrechts zu fordern.
Behandeln Politik und Medien Taten von Deutschen anders als die von Nichtdeutschen?
Insgesamt lässt sich durchaus beobachten, dass Gewalttaten, die von Nichtdeutschen begangen werden, häufig deutlich mehr Aufmerksamkeit erhalten als Taten, die von Deutschen begangen werden. Der Hamburger Journalismus-Professor Thomas Hestermann kritisierte in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview mit der „Zeit“: „Heißt der Tatverdächtige Siegfried, Jan oder Hartmut, ist das Interesse geringer.“ Hestermann erforscht, wie medial über Gewalttaten berichtet wird. „Zuletzt haben wir uns intensiv mit Messerdelikten befasst, die in besonderer Weise emotionalisieren. Wenn man die mediale Aufarbeitung ähnlich gelagerter Taten vergleicht, sieht man frappierende Unterschiede, je nachdem, wer der Täter ist“, sagte er. Die Herkunft von ausländischen Tatverdächtigen werde insbesondere seit der „Kölner Silvesternacht 2015“ verstärkt genannt und thematisiert.
Hestermann beklagt mit Blick auf die polizeilichen Statistiken und die Berichterstattung der Medien: Bei Gewaltdelikten sei ein Drittel der Tatverdächtigen Ausländer – was in der Tat etwa dem Doppelten ihres Anteils an der Bevölkerung in Deutschland entspreche. In der Berichterstattung machten die Gewalttaten von Ausländern jedoch über 80 Prozent aus und bei Deutschen bleibe die Herkunft meist ungenannt.