Unprofessionelles Benehmen

Ghosting im Job: Warum Bewerber plötzlich verschwinden und was das für beide Seiten bedeutet

Der zentrale Grund für Ghosting im Job ist der weitverbreitete Fachkräftemangel.

Wenn ein Arbeitnehmer trotz Unterschrift auf dem Arbeitsvertrag nicht im Unternehmen auftaucht, dann ist das zunächst einmal ärgerlich für den Arbeitgeber – und obendrein längst keine Seltenheit mehr. Ghosting vonseiten der Bewerberinnen und Bewerber ist eine neue Entwicklung“, sagt Prof. Dr. Jutta Rump, Leiterin des Instituts für Beschäftigung und Employability an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. „Ich gehöre zum Beispiel zur Boomer-Generation. Da waren die Stellen rar. Natürlich haben wir unsere Arbeitgeber nicht geghostet.“ Die Wissenschaftlerin erinnert sich noch genau an die Zeit ihres Berufseinstiegs: „Damals erlebten wir Ghosting teilweise vonseiten der Arbeitgeber, die uns nicht einmal absagten, wenn wir ihnen Bewerbungen geschickt hatten.“ Diese Form des Ghostings gibt es nach Einschätzung der Hochschullehrerin heute so gut wie gar nicht mehr. „Das liegt auch an den automatisierten Prozessen.“

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Jutta Rump hat selbst schon die Erfahrung gemacht, dass aufseiten der Bewerber plötzlich Funkstille herrscht. „Es ist schon vorgekommen, dass jemand nicht zum vereinbarten Termin erschienen ist, um seine Stelle an unserem Institut anzutreten. Da unser Institut aber einen guten Ruf hat, ist das bisher selten vorgekommen.“

Auch Heinz Ostermann, Vorsitzender des Verbandsbereichs Personalvermittlung des „Gesamtverbandes der Personaldienstleister“ (GVP) kennt das Phänomen gut: „Wir beobachten Ghosting zunehmend unter Bewerben im gewerblich-technischen Bereich mit einem Jahresgehalt von 36.000 bis 50.000 Euro, neuerdings aber auch unter Spezialisten mit einem Gehalt von 100.000 Euro im Jahr und mehr.“ Während im gewerblichen Bereich solche Bewerber meist zwischen 30 und 40 Jahre alt seien, liege das Alter der ghostenden IT-Fachkräfte oft zwischen 20 und 25 Jahren.

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Ghostern fehlt Führungskompetenz

Das Ghosting kann für Arbeitgeber enorme Folgen haben: „Dadurch können Projekte ins Stocken geraten und eine Software kann dann zum Beispiel nicht zum festgelegten Termin fertiggestellt werden. So etwas richtet großen wirtschaftlichen Schaden an“, erklärt Heinz Ostermann. Er selbst ist Mitglied des Executive Committee bei dem Personaldienstleistungsunternehmen I. K. Hofmann: „Ghosting kostet auch uns als Dienstleister viel Zeit und Geld.“

Wenn Bewerber abspringen

Jedem vierten Betrieb mit unbesetzten Ausbildungsplätzen springen Bewerber und Bewerberinnen ab. Zu diesem Ergebnis kommt eine in diesem März veröffentlichte Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Zwar ist für die Nichtbesetzung von Ausbildungsplätzen vor allem ein Mangel an geeigneten Bewerbungen ursächlich. So hatten laut IAB 2023 mehr als die Hälfte der Betriebe, die Ausbildungsplätze anbieten, mit unbesetzten Lehrstellen zu kämpfen. Aber auch das Abspringen von Bewerberinnen und Bewerbern spielt eine Rolle. Immerhin 27 Prozent der betroffenen Betriebe geben an, dass sich Bewerber anderweitig entschieden haben. 2013 waren es noch 23 Prozent. Besonders häufig nennen Großbetriebe mit 500 und mehr Beschäftigten Absprünge von Kandidaten als einen der Gründe für die Nichtbesetzung von Ausbildungsplätzen. Aber auch 28 Prozent der Kleinstbetriebe kennen das Phänomen.

Für die Ghoster hat ihr Verhalten ebenfalls Folgen. „Wenn sich so jemand noch einmal bei einer Firma bewirbt, die er zuvor geghostet hat, kann sich das negativ auf die Bewerbung oder die berufliche Entwicklung auswirken, auch wenn es keine Schwarze Liste gibt“, erklärt Heinz Ostermann. Er ist überzeugt, dass ein solches Verhalten noch aus anderen Gründen den Berufstätigen schadet: „Wer so handelt, steht nicht zu seinen Entscheidungen und versucht, sich alle Optionen offenzuhalten.“ Aber gerade dieses Verhalten sei eine Gefahr für die eigene Karriere. Denn von Führungskräften wird Verlässlichkeit und Entscheidungsfreude erwartet. Ghostern fehlt somit eine entscheidende Führungskompetenz.

Der zentrale Grund für das Ghosting ist der weitverbreitete Fachkräftemangel. „Inzwischen können die Kandidatinnen und Kandidaten den besten Arbeitgeber aussuchen. Haben sie ein besseres Angebot, sagen sie aus Bequemlichkeit nicht ab, sondern ghosten einfach“, erklärt Jutta Rump. Denn sie scheuten den Konflikt und verschwinden deshalb lieber, als sich der vermeintlich unangenehmen Situation auszusetzen, die Stelle zu canceln. „Der Arbeitsmarkt macht es heute möglich, dass man sich nicht an Regeln hält und deshalb unprofessionell benimmt.“

Überforderung in schwierigen Situationen

Jutta Rump betont aber auch, dass der Arbeitsmarkt für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht unbedingt so günstig bleiben muss. Die Gewissheit von Ghostern, unter vielen Stellen auswählen zu können, sei also nur vorläufig gerechtfertigt. „Wir sehen schon jetzt höhere Arbeitslosenzahlen. Auch die demografische Entwicklung bedeutet nicht automatisch einen langfristigen Fachkräftemangel. Denn immer häufiger werden Roboter und Künstliche Intelligenz die Arbeiten von Menschen übernehmen.“ Das Arbeitsplatzangebot könne also schon bald sinken.

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Einen weiteren Grund fürs Ghosting vermutet Jutta Rump in der Erziehung der jungen Generation: „Heutzutage wird vielen Jugendlichen zu Hause alles abgenommen. Sie sind deshalb auf schwierige Situationen nicht vorbereitet. Außerdem sind sie überfordert, wenn sie sich zwischen zwei Alternativen entscheiden müssen. Sie wissen dann nicht, wie sie damit umgehen sollen.“ Eine Entschuldigung für ein solches Verhalten sei das natürlich nicht, betont Jutta Rump. „Denn eine Unterschrift unter einem Arbeitsvertrag ist ein Leistungsversprechen. Will man dieses nicht einhalten, muss man absagen. Das ist ein Gebot der Fairness.“

Auch Heinz Ostermann empfiehlt allen Bewerberinnen und Bewerbern, die sich trotz Zusage von Unternehmensseite gegen eine Stelle entscheiden, auf jeden Fall abzusagen: „Ghosting ist die schlechteste aller möglichen Optionen.“