Echtes Sammelobjekt

Auf dem Laufenden: Der Hype um den Sneaker

Eine Winkekatze in einem Sneaker-Shop

Im Grunde hat ihn wohl jeder und jede irgendwann im Leben mal getragen – sei es beim Sport, auf der Straße, im Büro. Sogar ins Theater kann man mit ihm inzwischen gehen. Der Sneaker ist längst gesellschaftsfähig geworden. Dabei ist er im Grunde ein alter Hut.

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Bereits in den 1860er-Jahren soll er ausgerechnet in Großbritannien erfunden worden sein, eigentlich das Zentrum der Maßschneiderei. Der Sneaker diente anfangs als Croquetschuh. Durch seine leichte Gummisohle war er für diesen Sport deutlich besser geeignet als die damals üblichen Schuhe mit Ledersohle. Und er trat früh seinen internationalen Siegeszug an – anders als die Sportart, für die er eigentlich erfunden worden war. Ob das zu Beginn jemand geahnt hätte?

Vor allem in den USA fanden die Menschen schon bald Gefallen an dem praktischen Modestück. Es wurde zum Tennisschuh, es diente als Alltagskleidungsstück für Kinder. Später bekam der Schuh den Namen, unter dem er heute auch in Deutschland bekannt ist: Sneaker. Henry Nelson McKinney, Mitarbeiter der Werbefirma NW Ayer & Sons, soll ihn erfunden haben. Im Englischen bedeutet „to sneak“ so viel wie „schleichen“, und genau dies war einer der Marketingaspekte dieser modernen Schuhe: Durch die Gummisohlen hörte man den Auftritt kaum, anders als bei Modellen mit Ledersohlen. Der Sneaker – eine schleichende Erfolgsgeschichte.

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Die Generation Turnschuh

Im Deutschen dauerte es jedoch noch eine Weile, bis sich der Begriff durchsetzte. Der „Turnschuh“, wie er hierzulande hieß, auch wenn er längst nicht mehr nur beim Turnen getragen wurde, kam vor allem in den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts in Mode. Er verlieh einer ganzen Generation ihren Namen, der „Generation Turnschuh“, zu deren prominentestem Vertreter der frühere Außenminister Joschka Fischer (Grüne) avancierte. Zumindest in seiner frühen politischen Phase.

Als Fischer am 12. Dezember 1985 zu seiner Vereidigung als Landesumweltminister im hessischen Landtag erscheint, trägt er zum Sakko weiße Sneaker. Damals ist dies ein Novum, das für Schlagzeilen sorgt. Für Fischer werden die Schuhe zum Markenzeichen. Er trägt sie auch nach dem Einzug in den Bundestag und tauscht sie erst als Außenminister gegen die in Diplomatenkreisen üblichen Lederschuhe, als er plötzlich nur noch im Anzug zu sehen ist. Der einstige Krawallpolitiker wird seriös – und seine Sneaker ziehen kurze Zeit später ins Museum ein. Im Deutschen Schuhmuseum in Offenbach sind sie seit 1990 eine der Hauptattraktionen.

Die strahlend weißen ­Turnschuhe waren mir peinlich.

Joschka Fischer, früherer deutscher Außenminister, zu seiner Vereidigung im Hessischen Landtag, zu der er in Sneakern erschien

Jahre später räumt Fischer in der ZDF-Sendung „Zeugen des Jahrhunderts“ gegenüber Moderatorin Marietta Slomka ein: „Die strahlend weißen Turnschuhe waren mir peinlich.“ Seine Partei habe ihn dazu gedrängt, sie zur Vereidigung zu tragen.

Heute sind Sneaker für viele weit mehr als Alltagsschuhe. Sie sind für Sammler ein Wertgegenstand wie Gold und Edelsteine. Im vergangenen April wurde bei Sotheby‘s in London ein Air-Jordan-13S-Modell „1998 NBA Finals Game“ für 2,2 Millionen Dollar versteigert, umgerechnet gut 2 Millionen Euro. 2021 brachte es ein Prototypenpaar des Nike Air Yeezy 1 „Grammy Awards“ bei einer Versteigerung auf 1,8 Millionen Dollar. Und mit einem Air-Jordan-1-Modell „The One“ erzielte Sotheby‘s im Jahr zuvor immerhin 560.000 Dollar. Hersteller wie Adidas und Nike produzieren zum Teil gezielt geringe Auflagen, für die Sammler selbst bei Höchstpreisen Schlange stehen. Sammlereditionen bekannter Schuhmodelle sind längst zu Raritäten geworden, für die manche Enthusiasten um die halbe Welt reisen.

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Gruppenbild der damals neuen hessischen Landesregierung im Dezember 1985 – in der Mitte der erste grüne Umwelt- und Energieminister in der Bundesrepublik, in Turnschuhen.

Geschäftsmodell Sneaker-Sammler

Robin „Woody“ Wood hat seine Sammelleidenschaft zum Geschäft gemacht. Der Australier ist Gründer und Herausgeber des Magazins „Sneaker Freaker“, also gewissermaßen des Zentralorgans der Szene. 2002 hat er es gegründet – eigentlich, um gratis an Vorführmodelle zu gelangen, wie er einmal in einem Interview verriet. Heute gibt es „Sneaker Freaker“ in rund 50 Ländern weltweit, das Magazin betreibt Büros in Melbourne, London und Berlin. Und Wood ist international zum gefragten Experten geworden.

Für den Taschen-Verlag hat der Sneaker-Fachmann nun tief ins Archiv gegriffen und gibt im opulenten Band „World‘s Greatest Sneaker Collectors“ einen wohl einmaligen Einblick in die weltweite Szene. Auf mehr als 750 Seiten zeigt er unzählige Aufnahmen seltener Modelle – Vintageklassiker, unverkäufliche Muster, handgefertigte Prototypen und sündhaft teure Kollaborationen. Mal neu, mal abgewetzt – aber immer teuer. Wood gibt Infos, die das Thema auch jenen näher bringen sollen, die über das Sammeln von Turnschuhen gemeinhin eher den Kopf schütteln. Vor allem aber hat er Sammler in aller Welt besucht und erzählt ihre Geschichten – vom japanischen Tokio bis zum norwegischen Størdal, von Berlin bis Philadelphia.

Da ist beispielsweise Andre Ljustina, ein Sammler aus Los Angeles. Er beobachtete 2002, wie der Hype um Nikes neue Skateboard-Submarke Nike SB entstand. Er kaufte 33 Paar der exklusiven „City Collection“ aus dem Jahr 2003 und verkaufte sie anschließend paarweise im Internet – zunächst für 1200 Dollar. Jedes Mal, wenn er ein Paar verkaufte, erhöhte er den Preis für die restlichen Schuhe. Seine Verkaufsstrategie machte Schule: Plötzlich wurde es normal, für ein Paar 70-Dollar-Turnschuhe von heute auf morgen den vierfachen Preis zu zahlen – oder noch mehr.

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Eine Schatzkammer aus Sneakern

Sneaker-Fan Gary Aspden arbeitet für Adidas und hat insofern seine Leidenschaft zum Beruf gemacht. In Argentinien entdeckte er vor Jahren während eines Besuchs ein Sportgeschäft, das seit den 1980er-Jahren unangetastet war – aus seiner Sicht eine Schatzkammer. Aspden fand verstaubte Boxen und verkrustete Sneaker vergangener Tage.

Die Berlinerin Julia Schoierer ist ein Kind der Achtziger – und eine leidenschaftliche Sammlerin von Schuhen. Inzwischen besitze sie so viele, schreibt Wood in seinem Buch, dass sie ihre Wohnung mehrfach damit füllen könnte: von weißen Lederturnschuhen mit neonfarbenen Akzenten bis hin zu riesigen Adidas-Hightops und einer Reihe von Kuriositäten wie „The Status“ und „Air Pressure“.

Du kaufst ein Paar, dann ein weiteres. Immer und immer wieder.

Robin „Woody“ Wood, Autor, Sammler und Gründer des Fachmagazins „Sneaker Freaker“

„Ich bin oft gefragt worden, wie man damit beginnt, Sneaker zu sammeln“, schreibt der Autor in seinem Band, „fast so, als wäre ein geheimes Passwort oder eine magische Einladung notwendig.“ Doch die Antwort sei offensichtlich: „Du kaufst ein Paar, dann ein weiteres. Immer und immer wieder.“

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Nach 750 Seiten stellt sich allerdings eine Erkenntnis ein: Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Es gehört eine Menge Gespür dazu, mit Sneakern reich zu werden, Risikobereitschaft und vor allem eine große Portion Leidenschaft. Eine Leidenschaft, die man Woods Bildband deutlich anmerkt.

Simon „Woody“ Wood: „World‘s Greatest Sneaker Collectors“. Taschen-Verlag. Hardcover, 21 mal 31,5 Zentimeter, 752 Seiten, 50 Euro