Wissenschaftler warnen: Massiver Anstieg von Antibiotikaresistenzen in der Tiermast
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Forscher werteten 901 Studien zur Tiermast aus Schwellenländern aus. Das Ergebnis: Der Anteil an Antibiotika, die in mindestens 50 Prozent der Fälle bei Hühnern und Schweinen versagen, stieg zwischen 2000 und 2018 an.
© Quelle: Hermann Pentermann/dpa
Zürich. In Schwellenländern nehmen die Probleme mit antibiotikaresistenten Erregern in der Tiermast zu. Zwischen 2000 und 2018 stieg der Anteil solcher Keime in der Hühner- und Schweinemast in Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen deutlich an. Das berichtet ein internationales Team von Wissenschaftlern im Fachblatt „Science“. Die größten Resistenz-Hotspots gäbe es in China und Indien, in Brasilien und Kenia seien Problemzonen im Entstehen. Das bedrohe nicht nur die Gesundheit der Tiere, sondern auch die des Menschen.
Hoher Einsatz von Antibiotika als Folge der steigenden Fleischproduktion
In der Tiermast würden global dreimal mehr Antibiotika und ähnliche Medikamente eingesetzt als in der Humanmedizin, schreiben die Wissenschaftler. Der große und steigende Einsatz sei unter anderem eine unmittelbare Folge des wachsenden Fleischhungers der Welt: Während die Fleischproduktion in den Industrieländern seit 2000 etwa stagniere, sei sie in Afrika (plus 68 Prozent), Asien (plus 64 Prozent) und Südamerika (plus 40 Prozent) erheblich gewachsen.
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Medikamente für Gewichtszuwachs, Produktivität und Gesundheit
Antimikrobielle Medikamente – also Mittel, die gegen Infektionserreger wie Bakterien, Viren oder Pilze wirken – würden in den Ländern oft routinemäßig eingesetzt, um intensive Tierhaltungssysteme zu etablieren und gleichzeitig die Gesundheit und Produktivität der Tiere zu erhalten, schreiben die Wissenschaftler um Thomas Van Boeckel von der ETH Zürich. Die Mittel würden zur Vorbeugung und Behandlung der Tiere eingesetzt, aber auch, um den Gewichtszuwachs zu erhöhen. Laut dem Tierarzneimittelrecht ist die vorbeugende Behandlung von Masttieren in der EU grundsätzlich nicht erlaubt, auch zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit dürfen die Mittel nicht eingesetzt werden.
Antibiotikaresistenzen in der Tiermast steigen an
Gerade in den Schwellenländern sei der Einsatz der Medikamente nicht gut dokumentiert. Die Forscher werteten nun insgesamt 901 Studien aus diesen Ländern aus, die zumindest einen Einblick in die dortige Situation geben. Der Anteil an Antibiotika, die in mindestens 50 Prozent der Fälle bei Hühnern und Schweinen versagen, stieg dort demnach zwischen 2000 und 2018 an. Zurzeit versagten ein Drittel der Antibiotika in 50 Prozent der Fälle in Hühnern und ein Viertel der Mittel in 50 Prozent der Fälle in Schweinen. „Dieser beunruhigende Trend zeigt, dass in der Tierzucht eingesetzte Medikamente ihre Wirksamkeit rasch einbüßen“, sagt Van Boeckel laut Mitteilung der ETH.
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Antibiotikaresistenzen: Ein globales Problem
Die meisten Resistenzen gab es demnach gegen die am häufigsten eingesetzten Mittel: Tetracycline, Sulphonamide, Penicilline und Quinolone. Das Problem beschränke sich nicht auf die betreffenden Länder und Regionen, sagt der ETH-Forscher Van Boeckel. Antibiotikaresistenzen seien ein globales Problem. „Es ergibt keinen Sinn, mit beträchtlichem Aufwand auf der einen Seite der Erde Antibiotikaresistenzen einzudämmen zu versuchen, während sie auf der anderen Seite massiv steigen.“ Missbrauch und übermäßiger Gebrauch antimikrobieller Medikamente und die daraus resultierenden Resistenzen seien ein drängendes globales Problem, das international angegangen werden müsse, schreibt auch Catrin Moore in einem Kommentar zu der Studie, der ebenfalls im Fachblatt „Science“ veröffentlicht wurde.
Die Schweizer Forscher veröffentlichen ihre Daten auf einer frei zugänglichen Internetplattform. Dort können Fachleute neue Daten einspeisen. Die Forscher hoffen, so einen besseren Überblick über das Ausmaß des Problems zu bekommen.
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RND/dpa