Wie Hunde Unehrlichkeit bestrafen und Entenküken komplizierte Tests bestehen

Tiere sollte man nicht unterschätzen.

Tiere sollte man nicht unterschätzen.

Hannover. Im Juli vergangenen Jahres rührte ein Orca namens Tahlequa die Welt. Das Walweibchen, das zu einer vom Aussterben bedrohten und streng überwachten Schwertwalpopulation im nordöstlichen Pazifik gehört, hatte nach eineinhalbjähriger Tragezeit ein Junges zur Welt gebracht. 30 Minuten nach der Geburt starb das Kalb.

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J35, wie Tahlequas offiziell registriertes Kürzel lautet, wollte das Kleine nicht gehen lassen. Immer wieder stupste sie den Kadaver mit der Nase zur Wasseroberfläche, damit er nicht untergeht.

Schließlich schwamm sie mit dem kleinen Körper auf dem Kopf und tauchte in die Tiefe, um ihn wiederzugewinnen, wenn er abrutschte. Es vergingen 17 Tage und 1600 Kilometer, bis Tahlequa die Leiche ihrer Tochter endgültig freigab – so viel , wie bei keiner anderen Walmutter bisher.

Tahlequas Reaktion auf den Tod ihres Kalbes war eine eindringliche Erinnerung daran, dass Menschen nicht die einzige Art sind, die Trauer erlebt. Szenen wie diese, bei denen Tiere Emotionen, prosoziales Verhalten oder kognitive Leistungen zeigen, tauchen mittels Fernsehen und Internet immer häufiger auf. Und sie verändern das Bild, das Menschen von Tieren haben. „Wir Menschen haben die Tiere bislang maßlos unterschätzt“, ist der Verhaltensforscher Karsten Brensing überzeugt.

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Damit ihr totes Junges nicht im Meer versank, stupste Schwertwal-Mutter Tahlequa es immer wieder mit der Nase an und trug es so weiter mit sich.

Damit ihr totes Junges nicht im Meer versank, stupste Schwertwal-Mutter Tahlequa es immer wieder mit der Nase an und trug es so weiter mit sich.

Der Begründer der Evolutionslehre, Charles Darwin, zweifelte einst zwar nicht im Geringsten daran, dass Tiere Gefühle entwickeln und sie auch zeigen, spätere Verhaltensforscher aber widersprachen dieser Auffassung. Jahrzehntelang sprachen sie Tieren alles – scheinbar ausschließlich – Menschliche wie Gefühle, Gedanken oder Absichten ab.

So hieß es lange Zeit, Tiere könnten nicht denken, bei ihnen sei alles nur Instinkt. Das Gleiche galt für Emotionen, da sagten die Forscher, über die Gefühle von Tieren könne man keine wissenschaftlich überprüfbaren Aussagen treffen. Gemeinhin wurden Forscher ausgelacht oder angegriffen, wenn sie feststellten, dass Tiere mehr als nur körperliche Schmerzen, Fresslust oder Geschlechtstrieb empfinden.

Inzwischen sprechen Verhaltensbiologen von einem Paradigmenwechsel. „Weltbild und Forschungslage in der Tierverhaltensforschung haben sich dramatisch verändert“, schreibt der renommierte Tierverhaltensforscher Norbert Sachser im Vorwort zu seinem Buch „Der Mensch im Tier“. „Heute kennen wir Methoden, die uns zum Ergebnis kommen lassen, dass die kognitiven und emotionalen Leistungen von Tieren viel weiter fortgeschritten sind, als wir uns das vorstellen konnten.“

Selbst Putzerfische bestehen den Spiegeltest

Inzwischen explodiert die Zahl der Fallstudien. Und deren Ergebnisse lassen sich in populärwissenschaftlichen Büchern nachlesen oder in Youtube-Videos bestaunen.

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Die zeigen und erklären dann etwa, wie sich Raben gedanklich in einen anderen Raben hineinversetzen können, um sein Verhalten vorauszusehen. Wie Entenküken komplizierte Tests zum abstrakten Denken bestehen.

Wie Hunde Unehrlichkeit bestrafen, doch auch verzeihen können, wenn man sich entschuldigt. Wie ein Orang-Utan eine ziemlich anspruchsvolle Leistung erbringt, indem er ein Reagenzglas einfach mit Wasser auffüllt, um an die Erdnuss darin zu kommen.

Nach Säugetieren und Vögeln bestanden kürzlich selbst die kleinen Putzerfische den Spiegeltest: Im Experiment versuchten sie, Flecken auf ihrem Körper zu entfernen, wenn sie diese im Spiegel sahen.

Es ist aber höchst strittig, ob die Methode den Beweis für ein eigenes Bewusstsein erbringen kann. Jüngste Untersuchungen bekräftigen auch die Leidens- und Bewältigungstheorie zu Tieren. Affen zum Beispiel lindern ihre Trauer ähnlich wie Menschen, indem sie Trost bei Verwandten und anderen Gefährten suchen.

Ein kleiner Schimpanse versucht in seinem Gehege im Zoo mit Hilfe eines Zweiges an Leckereien zu kommen, die in einem Baumstamm versteckt sind. Schimpansen nutzen zur Futtersuche einen ganzen „Werkzeugkoffer“ und wenden dabei in unterschiedlichen Regionen zudem verschiedene Techniken an.

Ein kleiner Schimpanse versucht in seinem Gehege im Zoo mit Hilfe eines Zweiges an Leckereien zu kommen, die in einem Baumstamm versteckt sind. Schimpansen nutzen zur Futtersuche einen ganzen „Werkzeugkoffer“ und wenden dabei in unterschiedlichen Regionen zudem verschiedene Techniken an.

Norbert Sachser fasst es so zusammen: „Alle Tiere können lernen, viele können denken, manche erkennen sich im Spiegel, und bei manchen sind zumindest Ansätze von Ich-Bewusstsein vorhanden. Tiere mancher Arten haben Emotionen, die denen des Menschen bis in verblüffende Details vergleichbar sind.“

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Allerdings gelte dies nicht nur für die guten Eigenschaften. „Es ist auch richtig, dass eben diese Tiere zur Durchsetzung ihrer Interessen drohen und kämpfen, täuschen, nötigen und vergewaltigen und nicht davor zurückschrecken, Artgenossen umzubringen.“

Die besseren Menschen, meint Sachser, seien die Tiere offenbar nicht. Was die wissenschaftliche Untersuchung von Emotionen betreffe, stehe die Verhaltensbiologie jedoch erst am Anfang, räumt er ein.

„Tiere sind viel mehr als eine Art Bioroboter“

Mit zunehmendem Bewusstsein fürs Tierwohl, den Natur- und Artenschutz schreitet die verhaltensbiologische Forschung voran. Inzwischen wird dem Tier-Ich mit molekularbiologischen Methoden, Satellitentechnik oder Hormonuntersuchungen nachgespürt.

Künftig werden Tiere sogar großflächig aus dem All beobachtet: Beim Projekt Icarus wollen Forscher Hunderttausende Tiere mit kleinen Sendern ausstatten und so unter anderem ihre Wanderrouten verfolgen. Die Daten kommen über die Raumstation ISS, geleitet wird das Projekt vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie mit Sitz in Konstanz.

Verhaltensforscher Brensing setzt sich auch dafür ein, dass Tiere vor dem Hintergrund der Forschungsergebnisse mehr Rechte erhalten: „Heutige Gesetze und unser Umgang mit Tieren basieren auf einem veralteten behavioristischen Weltbild, bei dem – überspitzt gesagt – Tiere nicht viel mehr als eine Art Bioroboter sind. Das muss sich dringend ändern.“

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Von Sonja Fröhlich/RND

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