Wie groß ist die Gefahr durch Überflutungen?
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Triefendes Monument: Auf der Piazza Francesco Baracca ehrt die Stadt Lugo bei Ravenna den erfolgreichsten italienischen Piloten des Ersten Weltkrieges – im Mai 2023 stand sie unter Wasser, wie auch das Theater Rossini und zahlreiche zerstörte Häuser der Umgebung.
© Quelle: IMAGO/Gruppo LiveMedia
Mailand/Potsdam. „Ich bin traurig, beängstigt und wütend.“ So beschreibt Luca Iacoboni seine Gefühle angesichts der Überschwemmungen in der Emilia-Romagna. Der 34-Jährige arbeitet für Ecco, einen Klimawandel-Thinktank mit Sitz in Rom und Mailand. Trauer und Angst bereiteten ihm das Schicksal der Betroffenen. Auch er habe Familienangehörige in den Flutgebieten.
„Ich sitze zwar hier in Mailand, aber ganz Italien leidet darunter“, sagt Iacoboni. Die Zugverbindung von Nord nach Süd ist betroffen, die Industrie geschwächt. „In ganz Italien spüren wir die Effekte der Klimakrise, die Jahr für Jahr schlimmer werden.“ Und weder die letzte noch die aktuelle Regierung, so Iacoboni, habe angemessen auf diese Krise reagiert. Das Bittere: Nichts davon sei überraschend. Extreme Trockenheit, Überflutungen, Brände – „das ist die Realität, in der wir leben“, sagt Iacoboni.
Wie hängen Klimawandel und Extremwetter zusammen?
Durch die globale Erwärmung verdunstet mehr Wasser in die Atmosphäre, erklärt Fred Hattermann, Hydrologe am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Eine aufgeheizte „Wärmeatmosphäre“ kann mehr Wasser speichern, als dies im kühlen Zustand möglich wäre. Es gebe also längere Perioden ohne Regen, aber wenn es passiert, sei das Potenzial für heftigen Niederschlag da. „Insgesamt sehen wir eine längere Andauer bestimmter Wetterlagen, die zu Dürren und Hochwasser führen könnten“, sagt Hattermann. Die Frage ist dann: Wer bekommt es ab?
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Hätte der extreme Niederschlag auch Deutschland treffen können?
Wer sich angesichts der Bilder aus der Emilia-Romagna fragt, ob es auch nördlich der Alpen zu diesen Überflutungen hätte kommen können, dem geben Hattermann und Iacoboni eine einfache Antwort: Ja.
„Tatsächlich bildete sich im zeitlichen Vorfeld eine Wetterlage, durch die auch wir hätten betroffen sein können“, sagt Hattermann. Wie die Wetter- und Klimaphänomene aus dem Mittelmeerraum auch Deutschland beeinflussen, zeige ein Blick in die Vergangenheit.
Oder, Elbe, Ahrtal: Wie das Wetter des Mittelmeers die Hochwasser beeinflusste
„Das Oderhochwasser 1997, die Elbehochwasser von 2002 und 2013 und auch die Niederschläge im Ahrtal wurden alle wesentlich durch feuchte Luftmassen hervorgerufen, die sich zu großen Teilen über dem Mittelmeer bildeten“, erklärt der Hydrologe. Im Falle der Ahrtalflut habe sich das Wasser in Südeuropa gesammelt, einen Bogen über die ebenfalls ungewöhnlich warme Ostsee genommen und sei schließlich über Belgien auf eine Kaltfront gestoßen.
Es gibt keine Region, die nicht betroffen sein könnte. Ich würde nie sagen: „Hier passiert nichts.“
Fred Hattermann,
Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung
„Es gibt keine Region, die nicht betroffen sein könnte. Ich würde nie sagen: Hier passiert nichts“, sagt Hattermann. Ob 2023 oder 2024 wieder Überflutungen zu erwarten sind, wie zuletzt 2021, könne man nicht vorhersagen. Doch klar sei: „Das Risiko ist gestiegen.“
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Die Folgen mediterranen Niederschlages: Im Ahrtal sind 2021 bei dem Jahrhunderthochwasser mehr als 130 Menschen ums Leben gekommen.
© Quelle: Boris Roessler/dpa
Hydrologe: Die Wahrscheinlichkeit extremer Hochwasser hat sich verdoppelt
Das 100-jährliche Hochwasser ist mittlerweile das 50-jährliche, hätten Untersuchungen an der oberen Donau gezeigt. Und das bringt nicht nur Privathäuser in Gefahr.
Hattermann erinnert sich an eine Chemiefabrik. Die stehe hinter einem Deich und sei gegen das „200-jährliche Hochwasser“ versichert. Dass solche Zahlen unscharf geworden sind, interessiert ganz besonders die Versicherungen, die mit dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung zusammenarbeiten.
Manche Orte seien sogar gegen das 500- oder 1000-jährliche Hochwasser geschützt worden. Im Ahrtal wurden sie dennoch überflutet. Hätte man das verhindern können?
Wie lassen sich ländliche Regionen und Städte gegen Hochwasser schützen?
Es gebe sinnvolle Maßnahmen, solchen Überflutungen vorzubeugen, sagt Hattermann: „Die Renaturierung von Flüssen, die Wiederherstellung von Altarmen, wo es noch möglich ist, und die Einrichtung von Poldern, die auch die Biodiversität erhöhen können.“
Vor allem in Städten spiele Versiegelung eine große Rolle. Hier helfe das Konzept „Schwammstadt“, bei dem das Regenwasser durch ausreichende Naturflächen absickern kann. Zumindest bei Starkniederschlägen mache dies einen großen Unterschied.
„Unter Klimawandelbedingungen reicht das alles nicht aus“
In ländlichen Räumen sind Deiche und andere naturverträgliche Techniken eine Lösung. „Doch unter Klimawandelbedingungen reicht das alles nicht aus, und für die Ertüchtigung unserer Infrastruktur brauchen wir Zeit.“ Daher sei eine Priorität, die Vorhersagen und Frühwarnsysteme zu verbessern.
Luca Iacoboni formuliert – mit Blick auf Italien – drei Ebenen des Handelns, die er von der Politik einfordert. An erster Stelle stehen die unmittelbaren Hilfestellungen für die Menschen in den betroffenen Gebieten, insbesondere der Emilia-Romagna und Sizilien, die Versorgung mit Nahrung, Strom und funktionierendem Transportwesen.
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Gemeinsam durch die Krise: Ein Paar durchwatet eine überflutete Straße in Lugo bei Ravenna – die Flüsse Sillaro und Lamone waren über die Ufer getreten und überschwemmten die umliegende Region.
© Quelle: Luca Bruno/AP
Reaktionen auf das Extremwetter: drei Ebenen des Handelns
Als Zweites nennt er „adaptive Umweltmaßnahmen“, also eine Anpassung der Regionen an die extremen Wetterphänomene, wie sie auch Hattermann empfiehlt. Und zu guter Letzt das eigentlich wichtigste Anliegen: „Wir müssen die Treibhausgas-Emissionen reduzieren“, sagt Iacoboni.
Das sei nicht die Aufgabe von Italien allein. Sein Land tue aber nicht genug, um die EU-Ziele zu erreichen. Und schließlich sieht er auch die Medien in der Pflicht: Der Zusammenhang zwischen Flut und Klimawandel werde nicht ausreichend kommuniziert.
Meine größte Sorge ist, dass die Politik beim Klimawandel nicht der Wissenschaft folgt.
Luca Iacoboni,
italienischer Klimawandel-Thinktank Ecco
„Die Realität ist: Niemand ist heute sicher“
Das einzige langfristig hilfreiche Mittel jedoch – da sind sich Hattermann und Iacoboni einig – ist die Begrenzung des menschengemachten Klimawandels. Dies müsse das höchste Ziel sein, an dem kein Weg vorbeiführt. „Meine größte Sorge ist, dass die Politik hier nicht der Wissenschaft folgt“, sagt Iacoboni.
Er betont, dass der Klimawandel schon lange nicht mehr nur die Eisbären auf ihrer schmelzenden Scholle betrifft. „Die Realität ist: Niemand ist heute sicher.“ Und er fügt hinzu: morgen schon gar nicht.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes wurde der Anschein erweckt, der Gardasee vertrockne aktuell. Das ist nicht richtig. Wir haben das korrigiert.