Wenn das Gehirn anders altert: „Das Frausein an sich ist ein Risikofaktor“
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Das Hirn derselben Frau vor (links) und nach Menopause – mit deutlich sichtbarem Energieverlust.
© Quelle: Lisa Mosconi/The XX Brain/Avery/Penguin
Prof. Mosconi, hat die eine Hälfte der Menschheit ein anderes Hirn als die andere?
Nein. Gehirne von Männern und Frauen sind in der Struktur absolut identisch. Da hat nicht der eine noch ein Teil, das der anderen fehlt. Selbst ein Hirnforscher, dem sie zwei Scans vorlegen, kann nicht sagen: Dieses Gehirn gehört einem Mann, jenes einer Frau.
Trotzdem nennen Sie Ihr neues Buch „Das weibliche Gehirn“. Das erinnert an die Theorie „Männer sind vom Mars, Frauen von der Venus“, dass die Geschlechter ewig verschieden sind, weil ihre Gehirne verschieden sind.
Ehrlich, dieser Venus-Mars-Mythos interessiert mich nicht. Das sind kulturelle Fragen. Ich bin Naturwissenschaftlerin, mich interessieren Fakten, Darstellbares, Belegbares. Das weibliche Gehirn ist sehr lange sehr schlecht behandelt worden. Seit Charles Darwin dessen „naturgegebene Unterlegenheit“ erklärt hat, konnte man es auch als Forscher getrost vernachlässigen. 100 Jahre später geschah das Gegenteil: Neurowissenschaftler wagten es nicht, Unterschiede auch nur zu diskutieren – aus Angst, als sexistisch zu gelten. Jetzt sind wir endlich an einem Punkt angekommen, wo wir unaufgeregt anerkennen können, dass es ein paar Besonderheiten gibt, etwa in der Art, wie unsere Nervenzellen verknüpft sind, oder im Stoffwechsel. In Funktionsweisen also, die evolutionär für beide Geschlechter hilfreich waren und die wir verstehen müssen, damit wir besser für die Gesundheit unseres Gehirns sorgen können.
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Prof. Lisa Mosconi, Neurowissenschaftlerin und Nuklearmedizinerin, leitet die Women’s Brain Initiative und ist Direktorin der Alzheimer’s Prevention Clinic am Weill Cornell Medical College in New York, wo sie als Professorin für Neurologie und Radiologie lehrt. Im Rowohlt-Verlag ist vor Kurzem ihr Buch „Das weibliche Gehirn“ (übersetzt von Jorunn Wissmann und Monika Niehaus, 432 Seiten, 20 Euro; auch als E-Book erhältlich) erschienen.
© Quelle: Alison hooban photography
„Zwei Drittel aller Alzheimerpatienten sind Frauen“
Warum konzentrieren Sie sich auf Frauen?
Weil ein ganz wichtiger Teil der Frauengesundheit immer noch ausgeblendet wird: Zwei Drittel aller Alzheimerpatienten sind Frauen. Das Risiko einer Frau, in ihren Sechzigern Alzheimer zu bekommen und daran zu sterben, ist doppelt so hoch wie das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. So, wie sie über Brustkrebs reden, müssen Frauen über Alzheimer reden. So, wie über Krebsvorsorge, müssen Wissenschaftler und Mediziner über Alzheimerprävention nachdenken, über Hirnscans genauso wie über Mammografien. Als Neurologin interessiert mich: Was macht das Gehirn von Frauen anfälliger für bestimmte Krankheiten? Wie können wir Frauen schützen? Was können sie selbst tun für die Gesunderhaltung ihres Gehirns?
So, wie sie über Brustkrebs reden, müssen Frauen auch über Alzheimer reden.
Prof. Lisa Mosconi, Neurologin
Viele sagen: Frauen leben halt länger als Männer – und Alzheimer ist nun mal eine Alterskrankheit.
Mit dieser lapidaren „Erklärung“ sollten sich Frauen nicht länger abspeisen lassen. Denn es stimmt so nicht: Frauen in den USA oder Deutschland leben durchschnittlich nur 4,5 Jahre länger als Männer. Der Prozess der Störungen im Gehirn durch Alzheimerplaque zieht sich aber schon über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hin, bevor klinische Symptome offensichtlich werden. In einer großen Studie haben wir nachgewiesen: In weiblichen Gehirnen zeigen sich erste Plaques mit Beginn der Wechseljahre, in der Übergangsphase zur Menopause – die Frauen sind gerade mal Anfang 50, viele erst Ende 40. Die Vermutung liegt nahe, dass die hormonellen Veränderungen, die Absenkung des Östrogenlevels, eine große Rolle spielen. Die Menopause sorgt dafür, dass die Wahrscheinlichkeit einer Alzheimererkrankung für eine 65-jährige Frau bei eins zu fünf liegt, für einen gleichaltrigen Mann aber nur bei eins zu elf. Das Frausein an sich ist also ein Risikofaktor.
„Wir brauchen viel mehr Studien“
Warum nehmen wir nicht Ersatzhormone – und vergessen das Problem?
So einfach ist das nicht. Alle klinischen Studien zu Hormonersatztherapien zeigen, dass sie zu Beginn der Wechseljahre die typischen Beschwerden mildern können. Aber können sie auch das Demenzrisiko senken? Wir brauchen viel mehr Studien, um das herauszufinden. Nur so viel ist sicher: Das Gehirn ist ein System. In mittleren Lebensjahren verändert sich dieses System durch das Absinken des Östrogenspiegels. Dieses System spricht mit wachsendem Alter kaum auf die Hormongabe von außen an.
Ist also der weibliche Intellekt dazu verdammt, schlechter zu altern als der männliche?
Merkwürdigerweise ist das Gegenteil der Fall: Bei kognitiven Tests schneiden Frauen besser ab als Männer. Auch unter Alzheimerpatienten: Bei gleichem Alter, gleicher Diagnose, gleicher Symptomatik sind Frauen bei den üblichen Tests von Erinnerung, Sprache, Aufmerksamkeit besser als Männer.
„Der Energielevel nimmt rapide ab“
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Noch nicht. Ich glaube aber, wir sind etwas Interessantem auf der Spur. Es scheint im weiblichen Hirn eine besondere Art von Kompensationsfähigkeit zu geben, zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Du bist beeinträchtigt, aber wenn du gebeten wirst, eine bestimmte Aufgabe zu lösen, tust du es. Junge Frauen erleben Hormonumstellungen in der Schwangerschaft, nach der Geburt jahrelang massiven Schlafentzug – und gehen doch jeden Tag zur Arbeit und funktionieren. Das Gleiche in den Wechseljahren: Der Metabolismus im Gehirn verändert sich, der Energielevel nimmt rapide ab, Frauen leiden unter Hitzewallungen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen – und gehen doch zur Arbeit und funktionieren. Wir wollen herausfinden: Was stärkt das Gehirn in dieser Übergangsphase? Welcher Mechanismus gleicht den Energieverlust im Gehirn so aus, dass kognitive Fähigkeiten trotz aller Veränderungen so lange erhalten bleiben? Weibliche Gehirne sind sehr verletzlich, aber auch sehr stark.
Sie fordern Frauen in Ihrem Buch dazu auf, auch selbst die Initiative zu ergreifen. Was können wir unserem Gehirn Gutes tun?
Wir haben nicht alles in der Hand, aber vieles: Ernährung, Bewegung, Sozialleben. Unterm Strich geht es in meinen Acht-Punkte-Programm darum: Stellen Sie sich Ihr Gehirn als einen Muskel vor, den sie stärken können – ernähren Sie es richtig, trainieren Sie es richtig, stimulieren Sie es. Das wird ihr Gehirn widerstandsfähiger gegen Verletzungen machen.