Weltraum-Anämie: Schwerelosigkeit sorgt für Blutarmut bei Astronauten

Der ESA-Astronaut Luca Parmitano schwebt bei einem Außeneinsatz an der Internationalen Raumstation ISS. Die Schwerelosigkeit hat nicht nur Auswirkungen auf Muskeln und Knochen, sondern auch auf das Blut.

Der ESA-Astronaut Luca Parmitano schwebt bei einem Außeneinsatz an der Internationalen Raumstation ISS. Die Schwerelosigkeit hat nicht nur Auswirkungen auf Muskeln und Knochen, sondern auch auf das Blut.

Ottawa. Menschen bauen im Weltall deutlich mehr rote Blutkörperchen ab als auf der Erde. Das berichten kanadische Forschende nach Messungen bei 14 Astronautinnen sowie Astronauten während ihrer Aufenthalte auf der Internationalen Raumstation ISS. Die genauen Gründe für diese Weltraum-Anämie seien bislang nicht bekannt, schreibt das Team um Guy Trudel von der University of Ottawa im Fachblatt „Nature Medicine“. Für längere bemannte Weltraummissionen könnte der übermäßige Abbau der Blutkörperchen Folgen haben.

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In etwa 400 Kilometern Höhe umkreist die ISS die Erde. Ihre jeweilige Besatzung trainiert für die Zeit an Bord ausgiebig – aber dennoch verändert sich der Körper als Folge der Schwerelosigkeit: Die Knochen werden schwächer, die Muskelmasse nimmt ab, und die Menge roter Blutkörperchen sinkt. Nach ihrer Rückkehr auf die Erde ist bei den Raumfahrern auffällig häufig eine Blutarmut nachzuweisen – die sogenannte Weltraum-Anämie.

Bislang nur Spekulationen

Über deren Ursache haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lange Zeit spekuliert: So vermutete man, dass sich bei Eintritt in die Schwerelosigkeit ein Teil der Körperflüssigkeiten in die obere Körperhälfte verlagere und der Körper diese Verlagerung in den ersten zehn Tagen im All durch den Abbau roter Blutkörperchen kompensiere.

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Diese Annahme trifft offenbar nicht zu – denn der Abbau dieser Blutzellen hält der Studie zufolge während der gesamten Zeit im Weltraum an. Für die Untersuchung nahmen sich die Astronautinnen und Astronauten während des ISS-Aufenthalts mehrmals Blut ab. Die Werte wurden mit Analysen von Atemproben ergänzt. Denn wenn rote Blutkörperchen zerstört werden, wird der rote Blutfarbstoff Hämoglobin frei, der dann von Enzymen abgebaut wird. Dabei entsteht Kohlenmonoxid (CO), dessen Konzentration sich in der ausgeatmeten Luft der Raumfahrer messen lässt.

Abbau roter Blutkörperchen steigt im All um die Hälfte

Rote Blutkörperchen werden auch auf der Erde stetig abgebaut und ersetzt – aber in geringerem Umfang. Im Weltall stieg der Abbau dieser Zellen den Messungen zufolge um 54 Prozent – von etwa zwei Millionen pro Sekunde auf etwa drei Millionen. „Unsere Studie zeigt, dass nach der Ankunft im Weltall mehr rote Blutkörperchen zerstört werden“, wird Trudel in einer Mitteilung der Universität zitiert. „Und das hält während der gesamten Mission an.“

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen zwar davon aus, dass im Weltraum kompensatorisch rote Blutkörperchen im Knochenmark nachgebildet werden. Doch mit zunehmender Zeit im All verschlimmere sich die Anämie, vermuten sie. Hinweise auf entzündliche Prozesse als Ursache der Blutarmut fanden sie nicht.

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Blutarmut erschwert das Arbeiten im All

In der Schwerelosigkeit ist die Anämie zunächst kein größeres Problem. Problematisch aber kann es werden, wenn die Astronautinnen und Astronauten auf die Erde zurückkehren oder auf anderen Himmelskörpern landen. „Die Anämie könnte ihre Energie, Ausdauer und Kraft beeinträchtigen und die Ziele der Mission bedrohen“, sagt Trudel. Denn wer zu wenig rote Blutkörperchen hat, ist weniger leistungsfähig, bekommt schneller Luftnot und wird eher müde. Künftige Expeditionen, wie eine Reise zum Mars, könnten dadurch problematisch werden. Allein der Flug zum Nachbarplaneten würde über sechs Monate dauern.

Die Blutwerte der untersuchten Astronautinnen und Astronauten normalisierten sich nach drei bis vier Monaten auf der Erde. Aber selbst ein Jahr nach ihrer Rückkehr bauten sie weiterhin mehr rote Blutkörperchen ab als vor der Mission.

Phänomen zeigt sich auch auf der Erde

Die neuen Erkenntnisse könnten sowohl für die wachsende Zahl von Weltraumtouristen bedeutsam sein als auch für Patientinnen und Patienten auf der Erde. Denn wer durch eine Erkrankung oder einen Unfall lange Zeit das Bett hüten muss, bekommt oft ebenfalls eine Anämie. Auch dieser Mechanismus ist nicht vollständig geklärt. Es könnten teilweise ähnliche Mechanismen vorliegen wie bei Raumfahrerinnen und Raumfahrern, vermutet Trudel. „Wenn wir herausfinden, was genau die Anämie verursacht, dann kann sie auch potenziell behandelt und verhindert werden, sowohl bei Astronauten als auch bei Patienten hier auf der Erde.“

RND/dpa

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