Warum es Männern schwerer fällt, auf Fleisch zu verzichten
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Professor Michael Rosenberger
© Quelle: Professor Michael Rosenberger/privat
Hannover. Der Moraltheologe und römisch-katholische Priester Professor Michael Rosenberger (57) beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Ernährungsethik. Er hält es für moralisch geboten, den Fleischkonsum drastisch zu reduzieren – des Tierwohls wegen, der Umwelt wegen und auch, um die Gesundheit des Menschen zu schützen. Der gebürtige Würzburger lehrt und forscht an der Katholischen Privat-Universität Linz.
Warum Männer auch heute noch mehr Fleisch essen und welche Rolle Religion beim ethischen Umgang mit Tieren spielen kann, schildert er im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Der Mann galt lange Zeit in Bezug auf sein Ernährungsverhalten als Opfer der Evolution – einmal Jäger, immer Jäger. Aber das trifft doch heute gar nicht mehr zu.
Die Verhaltensmuster, die wir pflegen, sitzen sehr tief in uns. Wir nehmen sie praktisch schon mit der Muttermilch auf. Der kleine Junge mit zwei, drei Jahren, der sieht schon, dass sein Vater oder die Männer seiner Familie deutlich mehr Fleisch essen als die Frauen. Und genauso sieht es natürlich das kleine Mädchen, dass die Frauen in der Familie weniger Fleisch essen als die Männer. Und natürlich versucht ein Kind, sich immer auch an den gleichgeschlechtlichen Erwachsenen zu orientieren und identifiziert sich mit denen. Von daher wird dann dieses Verhalten von einer Generation in die nächste weitergegeben – es sei denn, dass die Erwachsenengeneration sich sehr bewusst anders entscheidet und sagt, wir machen das jetzt nicht mehr so wie wir es selbst als Kinder gelernt haben, sondern gehen einen anderen Weg. Und dann sehen auch die Kinder, aha, es funktioniert anders – und haben es so leichter, sich selbst drauf einzustellen.
Also sind wir Männer eher Produkte einer überkommenen Erziehung?
Genau. Das spielt sich sehr stark über das sogenannte Vorbildlernen ab. Wir lernen viele der ethisch relevanten Verhaltensweisen, weil sie eben komplexer sind, an Vorbildern. Und je nachdem, welche Vorbilder wir als Kinder haben, entwickelt sich das sehr unterschiedlich.
An der Rolle des Mannes als „Ernährer“ hat sich aber doch Grundsätzliches geändert?
Wir sind heute in einer komfortableren Situation, da wir ja grundsätzlich auf Fleisch verzichten könnten. Wir haben genügend und ganzjährig pflanzliche Lebensmittel zur Verfügung – zumindest in den Industriegesellschaften – und von daher haben wir nicht mehr dieselbe Notwendigkeit, auf tierische Nahrungsmittel zurückzugreifen wie noch die Menschen vor 100, 200 Jahren sie hatten. Und damit stellt sich natürlich die Frage der Ernährung noch mal neu: Unter welchen Bedingungen können wir in der heutigen Zeit den Fleischkonsum rechtfertigen und wo müssen wir sagen, das geht jetzt definitiv nicht?
Wo müssen wir das sagen?
Aus tierethischen Erwägungen müssen wir natürlich die Tiernutzung auf das notwendige Maß beschränken und müssen schauen, wie wir dem Tier ein möglichst gutes Leben geben und möglichst wenig Leid bescheren. Das heißt, wir müssen die Tierhaltung sehr massiv anders gestalten, als das heute der Fall ist. In Deutschland werden 90 Prozent des Fleischkonsums aus Massentierhaltung bestritten. Das ist auch gar nicht anders machbar, wenn man denn diese Mengen essen will. Und das heißt: Wir müssen natürlich auch die Menge des konsumierten Fleisches deutlich zurückfahren.
Wie ließe sich das bewerkstelligen? Durch Predigen, also durch moralisches Einwirken von der Kanzel, oder durch Verordnungen oder Verbote?
Ich glaube, es braucht schon eine Verbindung aus Beidem. Also einerseits veränderte politische Rahmenbedingungen wie wesentlich strengere Vorgaben für die Tierhaltung, auch auf europäischer Ebene ... Denn wenn der Konsument im Fleischregal sieht, dass das ethisch gute Fleisch das Dreifache der Massenproduktion kostet, wird er sich meist für die billigere Variante entscheiden – das kann auch eine gute Predigt am Sonntag in der Kirche nicht verhindern. Sind die Rahmenverordnungen durch die Politik da und die Latte für eine gute Tierhaltung deutlich höher gelegt, heißt das noch lange nicht, dass das in der Bevölkerung auch akzeptiert wird. Dafür braucht es tatsächlich die Bewusstseinsbildung, sei es im Schulunterricht, in den gesellschaftlichen Debatten oder über die Medien – aber auch über die Religionen. Denn Religionen waren immer auch in ethischen Fragen bewusstseinsbildend.
Also müsste wieder die Verbindung sonntäglicher Kirchgang und Sonntagsbraten geschaffen werden?
Ja, warum nicht? Solch direkte Verbindungen gab es ja lange Zeit. Denn das Christentum hat, wie die meisten Religionen, auch Fastenvorschriften. In der Fastenzeit übte man sich in Abstinenz und die enthielt auch den Fleischverzicht. Wir können das heute noch daran sehen, dass unmittelbar vor dem Aschermittwoch der sogenannte Karneval kommt. Das Wort Karneval heißt wörtlich aus dem Lateinischen übersetzt, „Carne vale“ – „Fleisch, lebe wohl“. Das heißt, man hat jahrhundertelang für die ganze Periode der Fastenzeit auf Fleisch und tierische Fette verzichtet.
In Frankreich, Italien oder Spanien gegen die Menschen gern gutes Geld für gutes Essen aus. Liegt der hohe Fleischkonsum nicht auch an der eigentümlichen deutschen „Geiz ist geil“-Mentalität?
Völlig richtig. Dort gibt man im Schnitt im Vergleich zu Deutschland das 1,5- bis Zweifache für Nahrungsmittel aus – obwohl die Menschen, etwa in Italien – deutlich weniger Einkünfte haben als wir. Wenn man das mit einberechnet, ist das sogar noch mal ein schärferer Kontrast. Das wäre übrigens auch die positive Botschaft, die ich mit einem geringeren Fleischkonsum verbinde: nämlich besser zu essen und zu trinken. Es ist ja ganz klar, dass ein Fleisch, das aus einer sehr guten Tierhaltung kommt, auch eine höhere Qualität hat und viel mehr Genuss bietet. Bei Billigfleisch ist der Qualitätsmangel nämlich durchaus messbar, etwa durch Stresshormone im Fleisch oder den Wasseranteil. Geringerer Fleischkonsum muss keine Einbuße an Lebensqualität sein – gerade nicht für Menschen, die weniger verdienen. Lieber weniger Fleisch essen, aber dafür besseres.
Wie halten Sie es privat?
Also ich lebe mit extrem wenig Fleisch, weil ich im eigenen Haushalt praktisch komplett vegetarisch lebe und Fleisch nur dann esse, wenn ich eingeladen bin und es dort auf den Tisch kommt – dann allerdings auch mit gutem Gewissen. Aber mein Fleischkonsum liegt sehr niedrig, sicherlich unter zehn Kilo pro Jahr. Und wir haben in Deutschland einen Durchschnittsverbrauch von mehr als 60 Kilo im Jahr.
Noch mal zurück zum Mann im Allgemeinen: Inwieweit spielt denn unser Rollenbild heute noch in die Ernährungsfrage mit hinein, dass kein ganzer Kerl sein kann, wer am Bratling kaut?
In akademischen Kreisen spielt das keine Rolle mehr – in weniger gebildeten schon. Hier gilt es sensibel zu sein. Denn hier ist der Fleischverzehr noch wichtig für das Männersein. Da muss man mit der nötigen Behutsamkeit versuchen, einen Bewusstseinswandel herbeizuführen.
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Von Daniel Killy/RND