Psychologin erklärt

Vulgäre Anmachen auf der Straße: Welche Motive hinter Catcalling stecken

Diplompsychologin Ann-Kristin Hartz erklärt, warum Männer catcallen.

Diplompsychologin Ann-Kristin Hartz erklärt, warum Männer catcallen.

Männer pfeifen Frauen hinterher oder belästigen sie mit ordinären Anmachsprüchen: Catcalling ist ein weit verbreitetes Problem. Mehr als zwei Drittel der Frauen aus Deutschland sind schon einmal auf der Straße belästigt worden. Eine Petition, die erreichen will, dass so ein Verhalten strafbar wird, haben bereits mehr als 46.000 Menschen unterschrieben.

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Catcalling, unter diesem Begriff versteht man sexuelle Belästigung auf verbalem Wege. Oft sind es Männer oder Gruppen von Jungs, die meist Frauen in der Öffentlichkeit vulgäre Sprüche hinterher rufen, ungefragt Kommentare zu deren Körpern abgeben, ihnen hinterherpfeifen oder “kss kss”-Geräusche machen, mit denen man sonst Tiere anlocken würde. Wohl deshalb ist diese Art der sexuellen Belästigung als Catcalling bekannt.

Catcalling ernst nehmen

Catcalling sollte man gerade deshalb ernst nehmen, weil es so alltäglich ist, meint Diplompsychologin Ann-Kristin Hartz. Im Interview erklärt die Beraterin der Braunschweiger Frauen- und Mädchenberatung bei sexueller Gewalt, welche Motive Catcaller haben, inwieweit Macht dabei eine Rolle spielt und wie sich Menschen gegen solche Verhaltensweisen empowern können.

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Hinterherpfeifen, Beleidigungen oder auch vulgäre Sprüche wie “Ey Hübsche, geile Titten” - mit all dem werden Frauen auf der Straße konfrontiert. Oft schauen viele dann auf den Boden und hasten schnell weiter. Warum ist uns Catcalling so unangenehm, Frau Hartz?

Weil wir in dem Moment auf unser Äußeres reduziert werden und ungefragt über unseren Körper ein Kommentar abgelassen wird. Meistens wollen wir das gar nicht, geschweige denn, dass wir die Art und Weise gut finden. Mir ist das selbst auch schon passiert, gerade erst am vergangenen Sonntag. Ich hatte Sportklamotten an und saß auf dem Fahrrad. Aus dem Auto hat mir ein Mann lautstark hinterher gepfiffen und so einen Laut gemacht, wie ein Stöhnen. Es war weit und breit niemand anderes da. Normalerweise tue ich so, als gelte solches Catcalling nicht mir. Aber in dem Moment war klar, dass ich gemeint war.

Wie haben Sie reagiert?

Ich bin erst weitergefahren, aber dann unglaublich wütend geworden.

Was haben Sie mit Ihrer Wut gemacht? Der Mensch war schließlich weg.

Ich hab mich noch einmal umgedreht und einen Stinkefinger in die Luft gezeigt. Woraufhin er noch ein bisschen lauter gestöhnt hat. So nach dem Motto: Das lasse ich nicht auf mir sitzen. Ich hatte das Gefühl, es spornt ihn an, dass ich mich wehre. Als ich jünger war, hat mich solches Catcalling sehr verunsichert. Mittlerweile frage ich meist nicht aggressiv, aber bestimmt nach, wenn mir jemand blöd kommt.

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Das mache ich ähnlich. Wenn solche Menschen ihre eigene Pointe erklären müssen, merken sie manchmal, wie doof sie ist.

Genau. Dann kommt möglicherweise noch so etwas wie, dass man keinen Spaß verstehe. Darauf sage ich: Nein, den Spaß verstehe ich tatsächlich nicht. Ich finde aber nicht, dass ich als Frau mir überlegen muss, wie ich die Botschaft taktisch klug vermittele, sodass mein Gegenüber sie versteht. Das ist doch viel zu müßig.

Dann drehen wir es doch um: Was können denn Männer gegen Catcalling und für Frauen machen? Darf man etwa keine Komplimente mehr verteilen?

Ich finde schon, dass man Komplimente machen darf. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass viele Männer, die catcallen, auch wissen, wann etwas ein ernst gemeintes Kompliment und wann etwas ein blöder Anmachspruch ist. Ich glaube, wenn der Typ letzten Sonntag in dem Auto mich wirklich hätte kennenlernen wollen, hätte er ganz sicher anders reagiert.

Wahrscheinlich.

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Insofern denke ich, muss ich da gar nicht so viel raten. Jeder sollte sich bewusst machen, was er da tut und warum er das braucht.

Und wieso machen Menschen so etwas?

Vielleicht, um das eigene Ego zu polieren, sich in dem Moment besser zu fühlen oder vor einem Kumpel zu profilieren. Vielleicht sollten Männer, die catcallen, hinterfragen, warum sie das brauchen. Und Männer, die die Klappe halten und vielleicht noch so ein bisschen mitmachen, sollten reflektieren, warum sie den Mumm nicht haben, ihresgleichen zu sagen, dass Catcalling nicht in Ordnung ist. Es ist wichtig, sich auch einmal in das Gegenüber hineinzuversetzen. Wenn es um die eigene Mutter oder Tochter geht, finden viele Männer Catcalling nämlich gar nicht mehr lustig.

Wenn Catcallen bei der eigenen Mutter tabu ist, aber fremden Frauen auf der Straße hinterher gepfiffen wird, bemisst also ein Außenstehender den Wert einer anderen Person?

Im Prinzip ja. Manche denken ja auch, weil eine Frau wenig Kleidung anhat, wolle sie angemacht werden, was Quatsch ist. Aber diese Frau wird in eine ganz andere Kategorie als die eigene Mutter oder Tochter gesteckt.

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Warum catcallen Männer überhaupt?

Zum einen, um zu signalisieren, dass ihnen eine Frau gefällt – aber auf eine Art und Weise, bei der vollkommen egal ist, ob sie das hören will oder nicht. Wenn sie sich wehrt, lässt er sich nicht einschüchtern, das ist dann ein kleiner Machtkampf. Meist handelt es sich auch um ein Problem mit dem eigenen Selbstwert. Man profiliert sich, weil man sich sonst minderwertig fühlt oder zu einer Gruppe gehören möchte. Jemand stellt sich höher, indem er eine andere Person erniedrigt.

Was können wir tun, damit die gesellschaftliche Akzeptanz solcher Verhaltensweisen noch mehr sinkt?

Was ich gut finde, sind diese Aktionen, bei denen mit Kreide typische Catcall-Sprüche auf das Pflaster in der Stadt geschrieben werden. So merkt man, dass man nicht alleine ist. Außerdem sollte Catcalling nicht abgetan werden nach dem Motto: Das kennen wir doch alle, passiert ja ständig. Umso schlimmer! Gerade weil Catcalling so alltäglich ist, sollten wir offensiv zeigen, dass wir so ein Verhalten nicht in Ordnung finden. Das empowert ungemein.

Sollte Catcalling strafbar sein, so wie Antonia Quell es in ihrer Petition aktuell fordert?

Ja. Auch, wenn es in der Praxis schwer sein wird, so ein Gesetz umzusetzen, hat es doch eine Signalwirkung. Es fördert die Debatte in der Gesellschaft darüber, dass Frauen sich so ein Verhalten nicht mehr bieten lassen. Da muss man einen Denkzettel verpassen. Und wenn der nicht reicht, eben einen Strafzettel.

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