„Menschen haben keine Zeit, perfekte Konsumentscheidungen zu treffen“
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James B. MacKinnon ist ein kanadischer Journalist und Autor. Er lebt aktuell in Vancouver.
© Quelle: J. B. MacKinnon
Vancouver/Hannover. Shoppen gehört für die meisten Menschen zum Alltag. Die stetig steigende Produktion von Dingen und ihr immer kürzerer Lebenszyklus sind jedoch alles andere als nachhaltig. Der kanadische Autor und Umweltjournalist James MacKinnon hat deshalb ein Gedankenexperiment gewagt. Wie sähe eine Welt aus, in der alle Menschen 25 Prozent weniger einkaufen würden? Für sein Buch „Der Tag, an dem wir aufhören zu shoppen“ hat er mit zahlreichen Menschen auf der ganzen Welt gesprochen: Unternehmerinnen, Aktivisten und Menschen, die bereits freiwillig mit wenig auskommen, zählen dazu.
Im RND-Interview spricht MacKinnon über den Wert zwischenmenschlicher Beziehungen und wie ihm einmal fast sein wichtigster Besitz gestohlen wurde.
Herr MacKinnon, haben Sie schon immer bewusst darauf geachtet, was Sie einkaufen?
Shopping war noch nie so richtig mein Ding. Allerdings bin ich viel gereist. Diesen Teils meines Lebens hinterfrage ich seit einiger Zeit. Denn irgendwann war ich mir nicht mehr sicher, ob das Reisen zu einem neuen Ort für mich wirklich noch ein aufregendes und interessantes Abenteuer war. Manchmal fühlte es sich ziemlich leer und oberflächlich an. Bei einigen Fernreisen hatte ich eigentlich nur dazu beigetragen, dass jede Menge CO₂ freigesetzt wurde.
Aber für Ihre Arbeit als Journalist müssen Sie doch reisen.
Ja, und mir fällt es leichter, den Konsum dieser Reisen vor mir selbst zu rechtfertigen – aber auch hier stelle ich infrage, ob sie wirklich nötig sind.
In der westlichen Kultur geht es sicher vielen Menschen so: Sie bewerten Arbeit als wichtiger als ihr Privatleben.
Ich denke, wir sollten uns nicht so sehr auf die Arbeit fokussieren. Sie sollte nicht unser zentrales Lebensziel sein. Allerdings, ich lebe in der selben Welt wie wir alle. Ich muss auch meine Miete zahlen – und zu meinem Job gehört eben das Reisen. Auch das könnte ich natürlich ändern und nur noch über Themen aus meiner Gegend schreiben. Was ich aber eigentlich damit sagen will: Mein Lebensstil ist sicherlich nicht perfekt.
Außerdem leben wir alle in einer Konsumgesellschaft. Unsere Wirtschaft basiert auf Konsum. Warum sollten wir uns alle unser ganzes Leben lang schuldig fühlen, weil wir einkaufen? Das ist doch absurd. Klar, wir sollten die Konsumgesellschaft hinterfragen – aber gleichzeitig aufhören, uns als Individuen herunterzumachen, weil wir konsumieren.
Uns schuldig fühlen, weil wir einkaufen? Das ist doch absurd.
In Ihrem Buch starten Sie ein Gedankenexperiment. Es geht darum, was passieren würde, wenn auf einmal alle Menschen 25 Prozent weniger einkaufen würden. Wie wirkt sich dieses Szenario auf die Wirtschaft aus?
Für die Wirtschaft, wie sie momentan strukturiert ist, wäre das eine große Herausforderung und gefährlich. Wenn wir unseren Konsum plötzlich reduzieren, würden Menschen ihre Jobs verlieren, Unternehmen gingen pleite und einige Wirtschaftssysteme würden kollabieren. Aber es müssen ja nicht alle über Nacht aufhören, zu shoppen. Ich denke, wir können schrittweise eine Welt gestalten, in der weniger Konsum funktioniert. Dieses Szenario muss nicht als Desaster enden.
In einer Gesellschaft, in der Konsum nicht mehr so eine hohe Priorität hat, würden viele Menschen wieder ihren Erfindergeist entdecken, meinen Sie. Warum?
Na ja, wenn wir uns von der Konsumkultur mit ihrem stetigen Wachstum abwenden, müssten wir fast alles neu erfinden. Wir müssten andere, langlebigere Produkte entwerfen. Wir müssten unsere Einstellung zur Arbeit ändern. Vermögen müsste vielleicht umverteilt werden. Auch unsere Werte, unsere Beziehung zur Zeit und wie wir sie nutzen, gelte es, zu hinterfragen. Es bräuchte Veränderungen in allen Bereichen des Lebens. Das geht nicht über Nacht, das dauert.
Wie sollte jeder und jede Einzelne entscheiden, welche Dinge er oder sie im Leben wirklich braucht?
Menschen haben nicht die Zeit, ständig perfekt nachhaltige Konsumentscheidungen zu treffen. Also brauchen wir ein System, in dem es einfach ist, wenig einzukaufen. Statt etwa immer schlechter verarbeitete Kleidung herzustellen, sollten wir langlebige Kleidung designen. Davon müssen Menschen dann weniger oft welche kaufen.
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Wie könnte das aussehen?
Man könnte die Besteuerung von Second-Hand-Waren senken oder festlegen, dass neue Produkte leicht zu reparieren sein müssen. So muss man sie bei einem Defekt nicht gleich ganz ersetzen. Auf Pullovern oder Fernsehgeräten könnte stehen, wie lange ihre Lebensdauer in etwa sein wird. Kostet ein Pullover etwas mehr, hält aber zehn statt zwei Jahre, sind Menschen vielleicht eher bereit, den höheren Preis zu zahlen.
Wenn nicht mehr jeder für sich diese Entscheidungen treffen müsste, hätten Menschen mehr Energie für Anderes?
Ja, genau! Der klassische Konsument versucht seinem Leben Sinn durch den sozialen Status, finanziellen Erfolg und Besitz zu geben. Diese Darstellung ist natürlich überspitzt. Aber bis zu einem gewissen Grad kennen wir so ein Verhalten von uns selbst. Aber wir sind ja alle keine gierigen, schrecklichen Leute. Es liegt daran, dass solche Werte in unserer Gesellschaft momentan nun einmal sehr wichtig sind. Wäre das anders, würden Menschen wahrscheinlich mehr Zeit in die Beziehungen zu Anderen investieren. Sie würden Zeit mit Familie und Freunden verbringen, die Natur genießen, sich um ihre Gesundheit kümmern oder sich ehrenamtlich engagieren.
Enge Beziehungen zu Anderen können sehr erfüllend sein, aber auch schmerzhaft. Haben manche Menschen vielleicht deshalb Angst davor und kaufen lieber ein neues Kleid, das zumindest kurzfristig auch glücklich macht?
In der Konsumkultur streben wir nach Glück. In einer alternativen Welt gäbe es andere Werte.
Wir sind ziemlich gut darin, Konsumenten zu sein, denn wir sind in einer Konsumgesellschaft aufgewachsen. Wir wissen, wie wir uns mit Dingen einen kleinen Kick verschaffen und uns glücklich machen. Aber stabile Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen, darin sind wir nicht alle so gut. Ein Kapitel in meinem Buch heißt „Wir brauchen ein besseres Wort als ‚Glück‘ für das, was da entsteht“. In der Konsumkultur streben wir nach Glück. In einer alternativen Welt gäbe es andere Werte. Es ginge darum, ein sinnerfülltes Leben zu führen. Nicht jeder Moment in so einem Leben fühlt sich nach Glück an.
Haben Sie ein Beispiel?
Wer sich ehrenamtlich gegen Rassismus engagiert, hört und liest eine Menge schreckliche Geschichten. Man wird mit großen Problemen konfrontiert. So ein Engagement ist kein schneller Weg, um sich glücklich zu fühlen. Aber es ist ein Weg in ein sinnerfülltes Leben.
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Der kanadische Umweltjournalist J. B. MacKinnon hat „Der Tag, an dem wir aufhören zu shoppen" geschrieben. Das Buch ist im Penguin Verlag erschienen, umfasst 480 Seiten und kostet 20 Euro.
© Quelle: Penguin Verlag
Zu Beginn sagten Sie, dass Shoppen Ihnen nicht so wichtig ist. Gibt es denn eine Sache aus Ihrem Besitztum, die Sie niemals weggeben wollen würden?
Mein Fahrrad. Ich besitze es seit 27 Jahren. Vor einiger Zeit hatte ich es in den Kofferraum des Autos eines Freundes gepackt. Und das Auto wurde gestohlen – mit meinem Fahrrad darin! Ich glaube, das war das einzige Mal, dass ich fast geweint habe, wenn es um einen Teil meines materiellen Besitzes ging. Ich verbinde so viele Erinnerungen mit meinem Fahrrad, es ist sehr wertvoll für mich. Das ist sowieso ein interessantes Thema. Menschen denken, wenn einem Konsum nicht so wichtig ist, sind einem die eigenen Sachen auch nicht so wichtig. Das stimmt aber nicht. Wer weniger konsumiert, passt besser auf seine Dinge auf und entwickelt eine engere Beziehung zu ihnen. Denn man besitzt ja insgesamt weniger.
Hat die Polizei das Auto wiedergefunden?
Ja. Es hatten nur ein paar Leute für eine Spazierfahrt benutzt. Das Auto stand nicht weit weg und mein Fahrrad lag noch im Kofferraum. Ich fahre damit bis heute.