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Angst vor Pandemien

Tomatengrippe in Indien: Wann wird ein neuer Erreger gefährlich?

Viele Krankheitsausbrüche werden seit der Pandemie noch genauer untersucht.

Viele Krankheitsausbrüche werden seit der Pandemie noch genauer untersucht.

Die Tomatengrippe ist allem Anschein nach nicht besonders gefährlich: Sie löst bei Kindern einen Hautausschlag mit roten Blasen aus, die am ganzen Körper auftreten können und im Anfangsstadium an das Bild der Affenpocken erinnern. Im fortgeschrittenen Stadium können die Blasen in einigen Fällen bis auf Tomatengröße anschwellen, wovon sich der Name der Krankheit ableitet. Als weitere Symptome treten Fieber, Müdigkeit, Dehydrierung, Gliederschmerzen, geschwollene Gelenke und andere grippeähnliche Symptome auf, auch Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle kommen vor. Nach wenigen Tagen heilt die Tomatengrippe in der Regel von selbst wieder aus. Infiziert haben sich bisher nur wenige Kinder in Südindien. Doch der Krankheitserreger der Tomatengrippe wurde bisher noch nicht eindeutig identifiziert. Deshalb wird in etlichen Ländern sorgenvoll über den Ausbruch berichtet. Ständig, so scheint es, treten nun neue Viruserkrankungen auf, die die nächste Pandemie auslösen könnten. Aber ist das wirklich so?

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Tatsächlich treten seit dem Ausbruch von Sars-CoV-2 nicht mehr neuartige Viruserkrankungen auf als zuvor: Sie werden nur einfach eher bemerkt und genauer überwacht. Und sie bekommen weltweit viel eher Aufmerksamkeit. Dabei ist bei weitem nicht jedes neue Krankheitsbild eine globale Bedrohung. Um das Potential für eine Pandemie zu haben, müsste ein neuartiger Erreger nicht nur viele Menschen schwer krank machen. Er müsste auch leicht und schnell von Mensch zu Mensch übertragen werden. Das war bei keinem der zuletzt beobachteten Krankheitsausbrüche der Fall.

So sorgte erst vor wenigen Tagen das Langya-Henipavirus für Schlagzeilen, das eine fieberhafte Erkrankung auslöst. Er soll ursprünglich bei Spitzmäusen aufgetreten und neu auf den Menschen übergegangen sein. Tatsächlich war das Virus aber schon 2018 erstmals bei Menschen nachgewiesen worden und bis 2021 wurden nur 35 Infektionen aus China bekannt. Auch scheint sich das Virus nicht von Mensch zu Mensch zu übertragen. Die Sorge vor einer Pandemie scheint also unberechtigt.

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Geschwächtes Immunsystem wegen Corona-Maßnahmen

Andere untypische Krankheitsausbrüche der vergangenen Monate hängen indirekt mit der Coronavirus-Pandemie zusammen. So wurden bei kleinen Kindern nach dem Lockern der Corona-Maßnahmen besonders viele und schwere Erkrankungen mit dem respiratorischen Synzitialvirus beobachtet. Der Grund war aber nicht etwa eine neue Variante des Erregers: Kinderärzte und -ärztinnen erklärten es vielmehr damit, dass das Immunsystem der Kleinsten durch Lockdowns, Hygieneregeln und Isolation geschwächt worden war. Gegen das bereits bekannte Virus konnte sich ihr Organismus nun schlechter wehren.

Aus dem wohl gleichen Grund war zuletzt in vielen Ländern eine neuartige, gefährliche Form der Hepatitis bei Kindern aufgetreten. Forschende vermuten auch hier das durch die Lockdowns geschwächte Immunsystem als Ursache, wie aus zwei neuen Veröffentlichungen hervorgeht. Dadurch wurden die Kinder anfälliger für eine Infektion mit zwei verschiedenen, aber bereits bekannten Viren, die in der Vergangenheit eher milde Erkrankungen ausgelöst hatten.

Auch bei den Affenpocken, deren Ausbreitung weltweit verfolgt wird, handelt es sich nicht um einen neuen Erreger. In Afrika gibt es seit vielen Jahren immer wieder Infektionen bei Menschen. Die Variante, die nun auch außerhalb Afrikas auftritt, verursacht in aller Regel nur milde Verläufe. Zudem erfolgt die Übertragung von Mensch zu Mensch bei weitem nicht so leicht wie bei typischen Atemwegserkrankungen, sondern nur bei engen und sexuellen Kontakten. Richtig ist: Experten und Expertinnen rechnen damit, dass künftig öfter Krankheiten von Tieren auf den Mensch übergehen könnten. Aber dabei kann es sich eben auch um begrenzte Ausbrüche handeln.

Tomatengrippe heilt von selbst wieder aus

Auch bei der jetzt in Indien aufgetretenen Tomatengrippe deutet bisher nichts auf eine besondere Gefährlichkeit hin. Die nun beobachteten Fälle wurden offenbar nur dank des Internet-Programms „Epiwatch“ als neues Krankheitsbild ausgemacht. Es handelt sich um eine Open-Source-Plattform, mit der sich Krankheitsdaten auswerten lassen, um mögliche Epidemien frühzeitig zu erkennen. Forschende aus Indien hatten dann am vergangenen Samstag einen Artikel zur Lage im Fachmagazin „The Lancet Respiratory Medicine“ veröffentlicht. Demnach wurden im Zeitraum vom 6. Mai bis 26. Juli im südindischen Bundesstaat Kerala Tomatengrippe-Erkrankungen bei 82 Kindern gemeldet, die alle unter fünf Jahre alt waren. Weitere 26 Erkrankungen bei Kindern im Alter zwischen ein und neun Jahren wurden aus dem Bundesstaat Odisha gemeldet.

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Aufgrund der Ähnlichkeit zu anderen Erkrankungen wurden Kinder mit entsprechenden Symptomen auf verschiedene Viruserkrankungen wie das Denguefieber, das Zikavirus, Varicella- Zoster-Viren und Herpesviren getestet. Nur wenn keine solche Infektion vorlag, wurden die Fälle als Tomatengrippe eingeordnet. Auch ein Zusammenhang mit Sars-CoV-2 oder den Affenpocken konnte nicht festgestellt werden.

Tomatengrippe vielleicht keine eigene Erkrankung

Noch werden verschiedene Theorien zum Ausbruch der Tomatengrippe geprüft. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zur Hand-Fuß-Mund-Krankheit (HFMK). Das erklärte Vasso Apostolopoulos, Immunologin an der Victoria University in Melbourne and Co-Autorin der Lancet-Veröffentlichung. „Es gibt eine Fallstudie zu einem Kind, das aus Indien nach Großbritannien zurückgekehrt ist, Symptome hatte und positiv auf das Enterovirus getestet wurde, das einer der Erreger der Hand-Fuß-Mund-Krankheit ist,“ sagte Apostolopoulos gegenüber dem Royal Australian College of General Practitioners. Der isolierte Erreger habe einem Enterovirus mit der Bezeichnung Coxsackievirus A16 geähnelt, sei aber nicht identisch mit diesem gewesen.

Die Hand-Fuß-Mund-Krankheit (HFMK) ist eine hochansteckende Erkrankung die weltweit auftritt. Neben Hautläsionen an Händen, Füßen und Mund kommt es zu allgemeinen Symptomen einer Viruserkrankung wie Fieber und Abgeschlagenheit. Auch Komplikationen wie eine Hirnhautentzündung können auftreten, betroffen sind vor allem kleinere Kinder bis fünf Jahre und immungeschwächte Erwachsene. Bei dem Erreger der Tomatengrippe könnte es sich um ein eng verwandtes Virus handeln, das ähnliche, aber keine identischen Symptome auslöst. Um die Theorie zu bestätigen, müssten aber noch weitere Fälle genauer untersucht werden, sagte Apostolopoulos. Ein weiterer Autor der Studie, der Kinderarzt Suresh Kumar Panuganti, sagte hingegen gegenüber „The Hindu Times“, dass die Tomatengrippe vom Coxsackievirus A 16 verursacht werde.

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In der Lancet Veröffentlichung wird aber noch eine weitere mögliche Erklärung für den Ausbruch der Tomatengrippe genannt. Vielleicht handelt es sich beim Krankheitsbild gar nicht um eine akute Virusinfektion, sondern um die Nachwirkung einer zuvor durchgemachten Erkrankung: „Die Tomatengrippe könnte statt einer Virusinfektion eine Spätfolge des Chikungunya- oder Denguefiebers sein“, heißt es in der Veröffentlichung. Beide Krankheiten waren in der betroffenen Region in Indien in den vergangenen Jahren häufiger aufgetreten.

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