“Schattenanteile”: Warum eine Beziehung dabei hilft, sich selbst besser kennenzulernen
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Ist man vielleicht gar kein so guter Zuhörer, wie man gedacht hat? Eine Beziehung ist eine gute Gelegenheit, um sich selbst besser kennenzulernen.
© Quelle: Christin Klose/dpa-tmn
Heute geht es in dieser Kolumne mal um einen der Großväter der Tiefenpsychologie: C. G. Jung. Sein Einfluss darauf, wie wir die Psyche heute sehen, ist enorm. Jung ging davon aus, dass wir nur Teile unserer großen Psyche bewusst wahrnehmen. Den Teil unserer Persönlichkeit, den wir “wahrhaben” wollen und nach außen zeigen, nennt er die Persona. Sie ist aber quasi wie eine Theaterrolle oder eine Maske und verdeckt, dass wir noch viel mehr Aspekte haben, die wir aber oft ablehnen.
Den Teil in uns, den wir nicht sehen, nennt er den Schatten. Unsere Persona steht quasi in der Sonne, aber auch unser Schatten zeichnet sich klar ab. So nimmt ein Mensch sich vielleicht selber wahr als liebevoll, großzügig und fair. In seinen Schattenanteilen ist aber vielleicht aufrechnend, jähzornig und kleinkariert.
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Christian Hemschemeier ist Paartherapeut in Hamburg und Experte in Sachen Dating, Partnerschaft und Liebe.
© Quelle: Privat/Patan
Wieso tauchen denn da plötzlich diese Dinge auf?
Wie man sich leicht vorstellen kann, können einen im Bereich Beziehung diese Schattenanteile ziemlich beschäftigen. Gerade der Partner sieht natürlich diese Anteile nach der ersten Verliebtheitsphase. Meist ist dies ein Zeitpunkt von vier bis sieben Monaten. Und der Partner ist irritiert. Wieso tauchen denn da plötzlich diese Dinge auf?
Und natürlich geht es uns mit dem Partner in der Regel genauso. Dieses läutet dann das Ende der ersten Idealisierungsphase ein. Wir können (und sollten) den Partner nicht mehr auf ein Podest heben, sondern ihn so sehen, wie er ist. Das ist übrigens dann auch der Zeitpunkt, an dem die Beziehung von Verliebtheit in Liebe übergehen darf, wenn alles gut geht. Denn jemanden lieben heißt nun einmal auch, ihn mit seinen Schattenanteilen anzunehmen.
Geben Sie liebevolles Feedback
Insofern ist eine Beziehung einfach ein fantastischer Spiegel, um uns selbst besser kennenzulernen. Aber können wir mit diesem Feedback auch umgehen? Während wir bei anderen Menschen leicht sehen, wo sie ihre eigenen Macken haben, wollen wir unseren eigenen Schatten einfach nicht sehen. Wir wollen gerne in dieser Selbstidealisierung bleiben.
Insofern sollten Sie es wirklich annehmen und es prüfen, wenn Ihr Partner Sie auf Ihren Schatten hinweist. Prüfen Sie es ohne Druck. Prüfen Sie es auch im Wissen, dass Ihr Partner natürlich auch durch seine spezielle Brille schaut. Und geben Sie auch Ihrem Partner liebevoll Feedback.
Kollektives und persönliches Unbewusstes
Der Schatten ist an sich nichts “Böses”. Er weist einfach daraufhin, dass wir uns noch besser kennenlernen mögen, wenn wir wirklich der sein wollen, der wir sind. Wir wollen vielleicht lernen, dass wir doch nicht immer so nett sind, wie wir dachten. Das kann auch eine wertvolle neue Seite in uns sein, wenn wir erlauben, diese aus ihrem Schatten ins Bewusstsein zu lassen.
Jung macht übrigens noch einen Unterschied zwischen dem persönlichen und dem sogenannten kollektiven Unbewussten. Im kollektiven Unbewussten sind quasi Spuren des ganzen menschlichen Kollektivs über die Jahrhunderte gespeichert. Der Schatten hat auch Anteile im kollektiven Unbewussten.
Auch die Partnerwahl ist ein Aspekt des Schattens
Vielleicht mögen Sie einmal drüber nachdenken, was in Ihrem persönlichen Schatten sein könnte. Aber auch der kollektive Schatten zeigt sich in dieser Lockdownzeit gerade stärker. Auch darüber wertfrei nachzudenken lohnt sich vielleicht einmal.
Und noch ein letzter Gedanke: Schon die ganze (meist unbewusste) Partnerwahl mag ein Aspekt Ihres Schattens sein. Das nennt Jung Anima beziehungsweise Animus. Dazu aber einmal mehr in einer nächsten Kolumne.
Der Autor und seine Kurse sind zu erreichen über www.liebeschip.de. Sein Buch “Der Liebescode” ist 2019 im Handel erschienen.