Reform im Familienrecht: So sehen zwei Expertinnen die Idee der „Verantwortungs­gemeinschaft“

Bei der Verantwortungs­gemeinschaft geht es um Formen der Verantwortungs­übernahme, die jenseits von Kindern und Liebes­beziehungen stattfinden – zum Beispiel unter Freunden.

Bei der Verantwortungs­gemeinschaft geht es um Formen der Verantwortungs­übernahme, die jenseits von Kindern und Liebes­beziehungen stattfinden – zum Beispiel unter Freunden.

Die „Verantwortungs­gemeinschaft“ soll es künftig auch alternativen Familien­konstellationen ermöglichen, rechtlich füreinander einzustehen. Doch wie modern ist der Vorschlag der Ampelkoalition wirklich? Reicht ein solches Familienmodell für die Modernisierung unseres Familienrechts aus?

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Darüber haben die Ethnologin PD Dr. Astrid Wonneberger und die Soziologin Dr. Sabina Stelzig-Willutzki mit dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND) gesprochen. Die Wissenschaftlerinnen erforschen familiäre Strukturen und geben ihr Wissen in dem in Deutschland einmaligen Masterstudiengang „Angewandte Familienwissenschaften“ an der HAW Hamburg weiter.

Frau Dr. Wonneberger, Frau Dr. Stelzig-Willutzki, wie erklären Sie Ihren Studentinnen und Studenten den Begriff „Familie“? Gibt es dafür überhaupt eine klare Definition?

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Dr. Astrid Wonneberger: Leichter ist die Frage zu beantworten, warum es eigentlich unmöglich ist, Familie zu definieren. Familie ist extrem variabel und ständig im Wandel. Zieht ein Familienmitglied aus oder gründet eine eigene Familie, ändert sich das gesamte Konstrukt. Auch die Werte und Normen einer Gesellschaft prägen das Familienmodell, im Gegensatz zu anderen Ländern sind polygame Familien in Deutschland beispielsweise rechtlich nicht vorgesehen. Es gibt also unglaublich viele Faktoren, die dazu führen, dass wir Familie eigentlich nicht klar definieren können.

Die Ethnologin Dr. Astrid Wonneberger forscht und lehrt über Familie und Verwandtschaft an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW Hamburg).

Die Ethnologin Dr. Astrid Wonneberger forscht und lehrt über Familie und Verwandtschaft an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW Hamburg).

Dr. Sabina Stelzig-Willutzki: Ich glaube, die meisten von uns haben unbewusst ein Verständnis von Familie. Das ist keine Definition im strengeren Sinne aber eine alltagsweltliche Definition, mit der wir alle jeden Tag durch die Gegend laufen. Diese subjektive Definition kann so weit gehen, dass man sagt, meine Freundin ist meine Familie. Eine Vorstellung, die weit weg von der traditionellen Vater-Mutter-Kind-Idee aus den 50er und 60er Jahren ist. Ich glaube, wir alle tragen dieses Familienbild als Schablone in uns und definieren interessanterweise immer noch vor dieser Schablone den Begriff Familie, obwohl viele vor allem in urbanen Lebensräumen eigentlich etwas anderes wollen.

„Ich unterstelle uns allen eine gewisse familiäre Schizophrenie: Wir alle haben eine Vorstellung von dem, wie wir es gerne hätten, aber auch eine Sehnsucht nach Beständigkeit, danach, wie es in den Idealvorstellungen früher war.“

Dr. Sabina Stelzig-Willutzki

Erleben Sie diese zwei Seiten auch in Ihrer Forschungsarbeit: Auf der einen den Wandel, auf der anderen die Sehnsucht nach Beständigkeit?

Stelzig-Willutzki: Ja, wir haben erst kürzlich ein Quartier in Hamburg untersucht und dabei festgestellt, dass nicht nur die älteren, die mit dem 50er-Jahre-Modell aufgewachsen sind, eine traditionelle Vorstellung von Familie haben, sondern auch die jüngeren – gerade die jüngeren. Das hat uns wirklich überrascht. Auch die Literatur und andere Studien zeigen Hinweise darauf, dass die Generation, die jetzt Eltern werden, anscheinend einen gewissen Hang zu traditionelleren Vorstellungen haben. Wenn plötzlich alles Familie ist, dann scheint die Sehnsucht bei vielen Menschen da zu sein, wieder in die alten Rollen zurückzuwollen.

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Die Soziologin Dr. Sabina Stelzig-Willutzki unterrichtet gemeinsam mit ihrer Kollegin den in Deutschland einzigartigen Master "Angewandte Familienwissenschaften" an der HAW Hamburg.

Die Soziologin Dr. Sabina Stelzig-Willutzki unterrichtet gemeinsam mit ihrer Kollegin den in Deutschland einzigartigen Master "Angewandte Familienwissenschaften" an der HAW Hamburg.

Was halten Sie von der Idee der Verantwortungsgemeinschaft? Geht der Vorschlag unserer neuen Ampelregierung weit genug?

Wonneberger: Die Grundidee finde ich erst mal gut! Wenn es einen Menschen gibt, der für die alte Nachbarin nebenan sorgen möchte, ist es im Interesse der Gesellschaft, dass er das auch tun kann. Bisher fehlt dafür aber die rechtliche Grundlage. Zurzeit muss man noch jeden Schritt sehr aufwendig und kompliziert mit rechtlichen Vollmachten versehen. Das hält Menschen häufig davon ab, für andere zu sorgen. Die Möglichkeit der Verantwortungsgemeinschaft würde die Gesellschaft stärken. Man muss abwarten, wie die genaue rechtliche Ausgestaltung aussehen wird.

Stelzig-Willutzki: Ich würde mich da noch klarer positionieren: Ich finde, das ist ein großes Ding! Ich sehe in dieser Idee großes Potenzial, wenn man bedenkt, wie lange für diese Themen schon gekämpft wird. Bisher haben eher konservative Kräfte in der Politik versucht, diese Entwicklung zu verhindern. Die Fakten sind noch nicht da, aber das, was angedacht ist, wurde schon sehr lange diskutiert und ist ein großer Schritt in die richtige Richtung.

In anderen Ländern werden eheähnliche Familienmodelle wie die Verantwortungsgemeinschaft schon seit Jahren sehr gut angenommen. Können Sie sich aus Ihrer täglichen Arbeit vorstellen, dass das auch in unserer Gesellschaft schnell Anklang findet?

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Stelzig-Willutzki: Absolut. Ich gehe davon aus, dass das Modell angenommen wird, aber es wird wahrscheinlich zögerlich einsetzen. Die Erfahrung zeigt, dass es oft Jahrzehnte braucht, bis sich die Vorstellungen, wie man zusammen lebt und füreinander sorgt, auch in den Zahlen niederschlagen. Obwohl wir uns heute für so offen halten, wachsen noch immer über 70 Prozent der Kinder bei verheirateten, heterosexuellen Eltern auf. Umgekehrt lässt sich aber auch sagen: ein Viertel der Kinder sind bereits in anderen Lebensformen unterwegs. Da deutet sich an, dass es diese Bereitschaft in unserer Gesellschaft schon gibt. Aber es wird Zeit brauchen.

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