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Postpartale Depression: Wenn die Liebe zum Kind blockiert ist

Die Geburt eines Kindes ist für Frauen ein einschneidendes Erlebnis: Nicht alle Mütter kommen sofort mit der neuen Rolle klar, manche stürzt das Erlebnis auch in eine tiefe Krise.

Die Geburt eines Kindes ist für Frauen ein einschneidendes Erlebnis: Nicht alle Mütter kommen sofort mit der neuen Rolle klar, manche stürzt das Erlebnis auch in eine tiefe Krise.

Nach der Geburt hat Isabelle nur geweint, wochenlang. Im einen Augenblick war ihr Sohn alles für sie. Dann wieder hat er sie genervt, überfordert, gar nicht interessiert. „Ich hatte eine wahnsinnige Liebe für mein Kind. Gleichzeitig war da eine totale Leere und ich wollte alles von mir wegschieben“, sagt sie. Zweieinhalb Monate nach der Entbindung hat sie schließlich realisiert, dass etwas nicht stimmt. Eine Psychologin diagnostizierte bei Isabelle eine postpartale Depression.

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Isabelle ist heute 28 Jahre alt, ihren wahren Namen möchte sie nicht preisgeben. Seit zwei Jahren kämpft sie mit der postpartalen Depression. Und sie ist kein Einzelfall: Schätzungsweise 10 bis 15 Prozent aller Mütter in Deutschland leiden darunter. Postpartal, also postpartum, bedeutet nach der Trennung vom Kind. „Wir benennen den postpartalen Beginn deshalb, weil das Kind mit in den Fokus rückt und weil sich typische Symptome wie Schuldgefühle und Selbstwertverlust auf das Gefühl der Mutter beziehen“, sagt Almut Dorn, Psychologin und Psychotherapeutin aus Hamburg. Ihr Spezialgebiet ist die gynäkologische Psychosomatik.

Schwierigkeiten, in die Mutterrolle reinzuwachsen

Dorn behandelt in ihrer Praxis viele Frauen mit einer postpartalen Depression. Typische Symptome seien Antriebsverlust, Interessensverlust und starke Niedergeschlagenheit. Zudem bauten Betroffene oft Schuldgefühle auf und glaubten, dass sie scheiterten und dass es anderen Müttern leichter falle, in ihre neue Rolle reinzuwachsen. So ging es auch Isabelle. Schwierigkeiten beim Wickeln und Stillen ihres Sohnes stürzten sie in tiefe Zweifel. „Ich bin nicht gut für mein Kind. Ich habe als Mutter versagt.“ Es waren Sätze wie diese, die nach der Geburt ihres Kindes häufiger fielen.

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Zwangsgedanken, die mitunter auch bei einer postpartalen Depression auftreten, hatte Isabelle nicht. Davon spricht man, wenn Mütter sich einreden, ihrem Kind wehtun zu wollen. „Zwangsgedanken sind in der Regel das Gegenteil von dem, was man gerade erwartet, und werden nicht ausgeführt“, sagt Almut Dorn. Solche Fantasien seien oft schamvoll besetzt. Hilflos ausgeliefert ist man ihnen aber nicht. Frauen könnten Zwangsgedanken mit einer konfrontativen Therapie gut in den Griff bekommen, betont Dorn.

Babyblues und postpartale Depression nicht verwechseln

Nicht behandlungsbedürftig ist der sogenannte Babyblues, der etwa bei der Hälfte aller Mütter auftritt. Der Babyblues geht mit leichten depressiven Verstimmungen und Traurigkeit einher. Im Gegensatz zur postpartalen Depression verschwindet er jedoch innerhalb weniger Stunden oder Tage wieder.

Auch heute noch wird erwartet, dass sich Eltern und besonders Mütter treu sorgend um ihre Kinder kümmern. Negative Gefühle, wie Isabelle und andere Betroffene sie haben, passen dazu eigentlich nicht. Dabei ist die Geburt, sowohl für die Psyche als auch für den Körper, ein Extremereignis. Der Hormonhaushalt steht Kopf, der Östrogen- und Progesteronspiegel sinken ab, der Körper erholt sich von Schwangerschaft und Entbindung. Eine Geburt kehrt die Lebenswelt einer Frau radikal um. Plötzlich ist sie nicht nur für sich selbst verantwortlich, sondern auch für ein Neugeborenes. „Die Frau schlüpft in eine komplett neue Rolle, Stillschwierigkeiten können auftreten, auch Schlafstörungen sind normal“, sagt Psychotherapeutin Dorn.

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Traumatische Geburt als Hauptauslöser?

Isabelle kam eine Woche vor dem errechneten Geburtstermin eigentlich nur für eine Routineuntersuchung ins Krankenhaus, nicht ahnend, was an diesem Tag noch auf sie zukommen würde. Ihre Werte seien auffällig, sagte man ihr. Ob sie denn keine Schmerzen habe? Zehn Minuten später lief eine Hebamme durch den Gang. Da habe sie noch zu ihrem Mann gesagt: „Ach, guck mal. Da kriegt gleich jemand sein Baby.“ Sie habe sich mitgefreut, bis sie feststellte, dass die Dame auf sie zueilte. Was dann folgte, bezeichnet Isabelle heute als den Hauptgrund für ihre Erkrankung.

Isabelle kam in den Not-OP: akutes Nierenversagen und eine Schwangerschaftsvergiftung. „Ich habe geweint und panische Angst gehabt. Niemand hat mit mir gesprochen und alle haben schnell-schnell gemacht“, sagt sie. Als sie aufgewacht sei, habe sie höllische Schmerzen gehabt: „Ich lag noch im Kreißsaal und hatte überall Schläuche.“ Ihr Baby lag derweil auf der Intensivstation und wurde künstlich beatmet. Wäre sie eine halbe Stunde später operiert worden, hätten sie und ihr Kind nicht überlebt. Da Isabelle bei der Operation viel Blut verloren hat, habe sie am Anfang kaum stehen können. Ihr Sohn blieb derweil auf der Intensivstation. Erst nach drei Tagen konnte sie ihr Kind das erste Mal sehen. Dabei ist der sofortige Körperkontakt zwischen Mutter und Kind nach der Geburt wichtig, um eine Verbindung aufzubauen. Bonding nennen das Fachleute.

Viele Faktoren spielen eine Rolle

Die Ursache für eine postpartale Depression ist individuell und ein Zusammenspiel aus sehr unterschiedlichen Faktoren. „Depressionen in der Vorgeschichte sind der wichtigste Prädiktor für eine Depression nach der Entbindung“, sagt Almut Dorn. Darüber hinaus können negative Erlebnisse in der Kindheit, Stressbelastung in der Schwangerschaft, sozioökonomische Faktoren und das soziale Umfeld der Gebärenden eine Rolle spielen.

Isabelle kannte das Gefühl, von allem überfordert zu sein. Mehr als ihr halbes Leben hatte sie mit Depressionen zu tun. Nach der Geburt und beim Kontakt mit ihrem Sohn war es wieder so. „Ich versage total, das liegt an mir“, habe sie sich immer wieder eingeredet. Alltägliche Aufgaben habe sie aufgrund ihrer Schmerzen an ihre Mutter abgegeben. Eine wichtige Stütze, aber es kratzte auch an Isabelles Perfektionismus. Verzweiflung, Einsamkeit und ein tiefes Schuldgefühl machten sich breit. Nicht untypisch für eine postpartale Depression: „Die Depression ist wie ein Parasit, der sich von den Ängsten und Gedanken ernährt“, sagt sie.

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Auch der Partner ist belastet

Noch heute habe sie Albträume von der traumatischen Geburt. Auch ihren Mann habe das nicht kaltgelassen. Er war während der Operation im Kreißsaal und musste mit ansehen, wie sie und sein Kind um ihr Leben kämpften. Nach der Geburt habe er sich immer weiter zurückgezogen und kaum noch im Haushalt geholfen. Isabelle sagt, auch er zeige typische Symptome einer Depression, würde aber versuchen, sie zu unterdrücken.

Nicht nur bei Frauen krempelt sich der Lebensrhythmus nach der Geburt eines Kindes um. Fachleute diskutieren deshalb neuerdings, ob Väter ebenfalls eine postpartale Depression entwickeln können. Auf einer Tagung der American Psychological Association kam heraus, dass etwa 10 Prozent der Väter nach der Geburt eine depressive Episode erleben. „Aber Männer haben noch mehr Schwierigkeiten, den Weg zum Psychotherapeuten zu finden. Das ist immer noch sehr schambesetzt“, sagt Dorn.

Psychologische Hilfe nur bedingt verfügbar

Wer in Deutschland im Zusammenhang mit der Geburt psychisch krank wird, ist häufig auf sich selbst gestellt. Insgesamt gibt es nur 71 stationäre Behandlungsplätze in Einrichtungen, die eine Therapie für Eltern und Kinder anbieten. Isabelle hat sich entschieden, drei Monate ohne ihren Sohn in eine Klinik zu gehen. Um sich abzunabeln, sagt sie. Auch beim Thema Schwangerschaft und Geburt müssen Eltern oft alleine klarkommen. „In anderen Kulturen wird ein Elternpaar komplett versorgt, das findet bei uns viel zu wenig statt“, sagt Almut Dorn. Viele Familien lebten in einer anderen Stadt als die Großeltern des Kindes. Hilfe zwischen den Generationen fehle dann. „Von einer Freundin, die berufstätig ist, können Eltern keine große Unterstützung erwarten“, sagt Dorn.

Heute kommt Isabelle besser mit sich selbst und ihrer Rolle als Mutter zurecht. Die Gefühlsschwankungen vom Anfang habe sie mittlerweile unter Kontrolle. Sie hat zudem einen ambulanten Therapieplatz gefunden. „Ich habe gelernt, zu akzeptieren, was passiert ist. Jetzt weiß ich, dass das nichts mit mir als Person zu tun hat“, sagt sie.

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