Posten übers Putzen: Die Cleanfluencer erobern das Internet
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/HVDPROEASRA7JP3SWHOINCL6GM.jpg)
Cleanfluencer räumen auf Instagram auf – und inspirieren zehntausende Follower.
© Quelle: averie woodard/unsplash
Wie die moderne Inkarnation von Frau Holle schüttelt Linsey Crombie ein weißes Laken, lässt es auf den Boden sinken und faltet es ordentlich zusammen. Im Video trägt sie sorgsam geglättete Haare, roten Lippenstift, ein elegantes schwarzweißes Top – ihr heutiges Outfit für die Hausarbeit. Aktuell folgen rund 170.000 Menschen ihrem Instagram-Kanal. Lynsey, selbsternannte „Queen of Clean“, ist eine von vielen Influencern, die das Reinemachen zu einer Kunstform erhoben haben. „Cleanfluencer“ nennen sie sich daher, kombiniert aus den Wörtern „clean“ und „influencer“. Fast scheint es, als hätte die Welt auf sie gewartet: Nahezu gottgleiche Wesen, die die – wortwörtlich – reinigende Wirkung des Wienerns predigen, angefangen mit der Ordnungsberaterin Marie Kondo.
Äußere Ordnung bringt innere Ordnung
„Tatsächlich hat eine äußere Klarheit Einfluss auf die innere Klarheit“, bestätigt Dr. Friederike Gerstenberg, die als Psychologin in Esslingen arbeitet und selbst ein großer Marie-Kondo-Fan ist. „Allerdings ist das Putzen eine ungeliebte Tätigkeit, weil sie immer wieder kommt. Man fühlt sich schlecht, wenn man es lange nicht gemacht hat und gut, wenn es dann gemacht ist.“, sagte sie. Dass Cleanfluencer trotzdem nicht nur Bilder und Videos der fertig geputzten Räume zeigen, schreibt die Psychologin einem allgemeinen Bedürfnis nach mehr Achtsamkeit zu. „Und vieles in der Gesellschaft findet mittlerweile virtuell statt“, sagt Friederike Gerstenberg. Die Folge daraus: Die Pflicht des Reinemachens wird auf einmal zur Tugend erhoben – und gelangt dank der immer mehr genutzten sozialen Medien in die Öffentlichkeit.
Cleanfluencer wie Linsey Crombie, Gemma Bray oder Melissa Maker zeigen in ihren Beiträgen, wie sie den Boden schrubben, das Geschirr spülen und Spiegel polieren. Dazu kommen praktische Putztipps oder motivierende Sinnsprüche wie „Du brauchst nicht mehr Platz. Du brauchst weniger Sachen.“
Und natürlich auch jede Menge Posts, bei denen Spülmittel, Schwammtücher, Staubsauger und andere Reinigungsuntensilien mehr oder minder unauffällig in Szene gesetzt werden. Denn das öffentliche Putzen beinhaltet auch eine Menge Geschäftspotenzial. Sieht man sich die Kommentare zu den Beiträgen an, scheinen Cleanfluencer einen Nerv zu treffen: Oft tauchen Fragen nach Putztipps und Hausmitteln auf oder die Bekundung, dass es im eigenen Haus gerade schrecklich aussieht oder wie gut es tut, einmal so richtig auszusortieren. Bei Sophie Hinchliffe wird zudem oft gefragt, wo man die Einrichtungsgegenstände aus ihrem Zuhause denn nachkaufen könne.
Putzen bis zur Perfektion
Das Auffällige an all den Fotos und Videos: Obwohl es ums Putzen geht, ist eine Sache fast nie zu sehen: Dreck. Stattdessen scheinen Cleanluencer ausschließlich in strahlend weißen Bädern und aufgeräumten Wohnzimmern zu werkeln. Gewischt werden ohnehin schon glänzende Küchen-Arbeitsflächen, auf denen der jeweilige Putzfan noch einen Strauß Blumen und eine Platte mit selbstgebackenen Muffins platziert hat.
Psychologin fürchtet Probleme durch Cleanfluencer
Diese Diskrepanz zwischen der Realität und der Darstellung in den sozialen Medien sieht die Psychologin Friederike Gerstenberg sehr kritisch. Zwar könne sie sich vorstellen, dass die auf Hochglanz polierte Instagram-Welt die Follower einerseits motiviere, selbst mit dem Ausmisten und Putzen anzufangen. Auf der anderen Seite sagt sie: „Wer sich nur an Cleanfluencern orientiert, kann schnell das Gefühl bekommen, zu versagen.“ Schließlich sehe es in den eigenen vier Wänden selten so gepflegt aus wie bei den virtuellen Vorbildern.
Ebenfalls problematisch erscheint der Psychologin das vermittelte Frauenbild, denn durch die meist weiblichen Cleanfluencer werde „die häusliche Rolle der Frau“ betont. Gerade bei den Müttern unter den Putz-Aposteln, so wie Becky Rapinchuck, wird das Rollenbild der Mutter, die ausschließlich für ihre Kinder da ist und den kompletten Haushalt schmeißt, noch verstärkt. Die Ehemänner tauchen selten auf. Und wenn, dann meist nur in Familienbildern. Eine erfrischende Ausnahme bildet Yohann von „frenchy_home_cleaning": Bisher folgen knapp 11.500 Menschen dem männlichen Cleanfluencer, der sich nicht einmal fürs Toilettenputzen zu schade ist.
Ob man sich von dem Trend beeinflussen lassen sollte oder das Ganze besser mit einem Augenzwinkern betrachtet, ist jedem selbst überlassen. Wer sich jedoch für Letzteres entscheidet, findet auf dem Instagram-Kanal von Gemma Bray eine Gleichgesinnte. „Es gibt mehr im Leben als Hausarbeit“, schreibt sie dort, und: „Dein Zuhause muss nicht perfekt sein.“ Herrlich ehrlich und ein bisschen verrückt. In einem Video zeigt sie sich selbst, wie sie im gepunkteten Badeanzug und mit einem Einhorn-Schwimmring um die Hüften den Flur saugt.
So oder so: Bei den Cleanfluencern finden Sie sicher den einen oder anderen Tipp oder Trick zu einem aufgeräumteren Zuhause. Aber lassen Sie sich nicht übermäßig stressen.