Paartherapeut erklärt: In 2 Sekunden vom Erwachsenen zum Kind - wie Trigger uns verwandeln
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Manchmal braucht es nur ein bestimmtes Wort und wir fahren aus der Haut.
© Quelle: Jan Kopřiva/Unsplash
Die Überschrift “Vom Erwachsenen zum Kind in 2 Sekunden” könnte von einer Autowerbung stammen, allerdings beschreibt sie vielmehr ein Phänomen, welches wir in unserem täglichen Leben erfahren. Denken wir zum Beispiel an erwachsene Männer, die beim Autofahren völlig ausrasten, wenn jemand nicht nach ihren Vorstellungen am Straßenverkehr teilnimmt. Oder an die 50-jährige Frau, die einen Heulkrampf erleidet, weil ihr Mann ankündigt, dass er abends eine Stunde später nach Hause kommt. Oder an die Nachbarin, die mit ihren 70 Jahren akribisch darauf achtet, dass kein einziges fremdes Gräschen in ihren Garten ragt und schier ausrastet, wenn es das doch tut. Oder an den 23-jährigen Studenten, der vor jeder Prüfung wie ein Häufchen Elend auf seinem Stuhl sitzt, aus Angst, diese nicht zu bestehen.
Trigger lösen Erinnerungen an traumatische Erlebnisse aus
Allesamt erwachsene Menschen, die durch einen Auslöser binnen weniger Augenblicke in eine emotional instabile Situation geraten, die vielmehr einem Kleinkind als einem Erwachsenen gleicht. Ein solcher Auslöser, der in der Fachsprache Trigger genannt wird, löst bei den betroffenen Personen Erinnerungen an traumatische Erlebnisse aus. Dabei kann es sich um einmalige, negative Erfahrungen wie einen Überfall handeln – oder aber Ereignisse aus der Kindheit wie beispielsweise ein prügelnder Vater oder eine emotional nicht verfügbare Mutter.
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Christian Hemschemeier ist Paartherapeut in Hamburg und Experte in Sachen Dating, Partnerschaft und Liebe.
© Quelle: Privat/Patan
Trigger können durch Gerüche, Bilder, Worte, Geräusche, bekannte Situationen und vielem mehr ausgelöst werden. Hat ein Kind immer zu hören bekommen, dass es nichts kann und aus ihm sowieso nichts wird, kann ein äußerer Reiz wie zum Beispiel ein bestimmter Geruch einen erfolgreichen Geschäftsmann binnen Sekunden in sich zusammensacken lassen. Der jeweilige Auslöser sorgt dafür, dass er mit all jenen Gefühlen überflutet wird, die damals erlebt und verdrängt wurden.
Situationen entstehen oft unbewusst
Traumatische Situationen werden im Gehirn anders abgespeichert als ein gewöhnliches Erlebnis, was bedeutet, dass man auf eben jene Gefühle keinen Zugriff hat. Zumindest solange nicht, bis man getriggert wird. Für die Betroffenen kann es sich dann so anfühlen, als ob die Situation noch einmal erlebt wird. Große, schlimme Traumata fallen oft eher auf und führen in Psychotherapie. “Kleinere”, scheinbar unbedeutende hingegen weniger. Diese tauchen dann dafür umso häufiger und intensiver in zwischenmenschlichen Beziehungen auf.
Die Betroffenen wissen jedoch meist nicht, warum sie in gewissen Situationen so (über)reagieren. Ich habe unzählige Paare bei mir in der Praxis, die sich gegenseitig triggern, ohne es zu merken. Es reicht oft ein unterbliebener Anruf oder ein Rollen der Augen für einen Wutausbruch, über dessen Ausmaß man im Nachhinein selber erschrocken ist. Wenn man diese Situationen beleuchtet, wird oft klar, dass es sich um Situationen aus der Kindheit oder Jugend handelt, in denen man missachtet wurde. Heute reagiert man dann auf das scheinbare „nicht gesehen werden“ von seinem Partner mit einer enormen Wut.
Trauma aufarbeiten: Trigger bieten Chancen
Doch ein Trigger ist nicht per se schlecht. Denn er bietet auch die Chance zu erkennen, welche Gefühle und Ereignisse wir vielleicht schon seit der Kindheit verdrängen. Ich rate meinen Paaren immer dazu, die Situation für einen kurzen Moment zu verlassen, vielleicht “um den Block zu gehen”, wenn man von den eigenen Gefühlen übermannt wird. Denn rationales Denken ist im getriggerten Zustand kaum möglich.
Holt man jedoch kurz Luft und überlegt, ob dieses Gefühl wirklich der Situation geschuldet oder aber vielmehr aus einer ganz anderen Lebensphase stammt, kann man deutlich besser und produktiver damit umgehen. Und dann hat man sogar die Chance, das darunterliegende Trauma auf- und den Trigger abzuarbeiten.
Der Autor und seine Kurse sind zu erreichen über www.liebeschip.de. Sein Buch “Der Liebescode” ist 2019 im Handel erschienen.