Muskelkater und Weihnachtsgeschenke: So geht es Astro-Alex nach der Landung
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Astronaut Alexander Gerst bei der Pressekonferenz im Astronautenzentrum in Köln.
© Quelle: dpa
Köln. Dem Mann müsste ja eigentlich schwindelig sein: Fast 200 Tage war er auf der Raumstation ISS und hat mit einer Geschwindigkeit von rund 28.000 Kilometern in der Stunde mehr als 3000 Erdumrundungen hinter sich. Doch nur zwei Tage, nachdem er die Schwerelosigkeit hinter sich gelassen hat, ist Alexander Gerst kaum etwas von den körperlichen Strapazen anzumerken. Im Gegenteil: Er wirkt erstaunlich fit.
Er habe zwar etwas Muskelkater vom Gehen, jetzt, da er wieder laufen müsse. Aber bei den Trainingseinheiten im Orbit habe er viel Muskelmasse aufgebaut. "Und mein Körper hat offenbar den Vorteil, dass er sich schnell an neue Umgebungen anpassen kann", sagte er am Sonnabend bei seiner ersten Pressekonferenz im Astronautenzentrum der Europäischen Weltraumbehörde Esa in Köln nach seiner Rückkehr auf die Erde. Am frühen Donnerstagmorgen war Gerst mit seinen Kollegen, der US-Amerikanerin Serena Auñón-Chancellor und dem Russen Sergej Prokopjew, in der kasachischen Steppe gelandet.
Keine Weihnachtgeschenke, aber gute Ausrede
Rund 100 Journalisten und Fotografen sind nach Köln gekommen, mehrere hundert Menschen verfolgen die Veranstaltung über einen Livestream der Esa. Zwar hat Gerst die Deutschen auf der Erde wie noch kein anderer mit Informationen und Bildern aus dem Orbit versorgt. Doch es gibt jede Menge Fragen. Man will wissen, ob er jetzt schon etwas vom Weltraum vermisst („Meine Freunde da oben (...). Und natürlich den Ausblick auf die Erde“), was er als Kommandant konkret zu tun hatte („Vor dem Schlafen schwebt man dann noch einmal durch die Module und guckt, ob alle Kabel fest sitzen, oder ob es noch etwas zu reparieren gibt“) und ob er denn schon alle Weihnachtsgeschenke habe („Ich habe alle, nämlich keine – aber diesmal habe ich eine gute Ausrede“).
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Alexander Gerst mit zwei kleinen Weltraum-Fans.
© Quelle: GETTY IMAGES EUROPE
Es gibt auch sehr ernste Themen, etwa ein Loch in Gersts Raumkapsel, das Ende August auf der ISS zu einem Druckabfall geführt hatte. Die Ursache sei noch immer unklar, berichtet Gerst. "Es wurden Proben genommen, die jetzt auf der Erde untersucht werden." Über der Mission Horizons schien zeitweise kein guter Stern zu stehen. Bereits Mitte Oktober hatte es beim Start einer russischen Sojus-Rakete zur ISS eine Panne gegeben – die Raumfahrer überlebten den Fehlstart dank einer Notlandung.
Programmänderung nach Fehlstart
Deshalb mussten Gerst und seine Kollegen den Betrieb und die Forschung auf der ISS zu dritt aufrechterhalten, die beiden Außeneinsätze, die für „Astro-Alex“ geplant waren, entfielen. Gerst war zu diesem Zeitpunkt bereits Kommandant auf der ISS und sagt: „Wir mussten unser Programm für zwei bis drei Monate komplett ändern.“ Die kleine Crew sei in dieser Zeit mehr zusammengerückt, man habe immer zusammen gegessen und Kinoabende veranstaltet. Als Kommandeur sei er auch für die Sicherheit der Crew verantwortlich gewesen.
Auf dem Rückflug hatte es dann noch einmal Probleme gegeben: Das Funkkabel im Raumanzug von Prokopjew, der in der Kapsel das Kommando hatte, war offenbar defekt. So konnte das Kontrollzentrum zeitweise nicht mit ihm sprechen. Durch den Ausfall von Prokopjews Funksystem musste Gerst nahezu die gesamte Kommunikation zwischen Kapsel und Erde übernehmen. Insbesondere bei der Landung: „Das war wichtig, um die Bergungsteams zur genauen Landungsstelle zu dirigieren“, erklärt Gerst.
Experimente in der Schwerelosigkeit
Trotz der am Ende reduzierten Mannschaft hätten nahezu alle 300 geplanten Experimente auf der ISS durchgeführt werden können, sagt Gerst. Recht sachverständig berichtet der promovierte Geologe über die Versuche in der Schwerelosigkeit – aus dem Bereich der Medizin, der Materialwissenschaften oder der Quantenphysik. So hätten sie Krebszellen für Untersuchungszwecke und Proteinkristalle zur Bekämpfung der Parkinson-Krankheit oder auch Plasmakristalle für neue Robotiksysteme gezüchtet. „Das geht alles in der Schwerelosigkeit viel besser, als das, was wir auf der Erde machen können“, sagt Gerst und fügt hinzu: Wir können viel dazu beitragen, dass es den Menschen auf der Erde besser geht.“
Das freut Gersts Arbeitgeber, Esa-Chef Jan Wörner, der neben ihm sitzt. Er muss den hohen finanziellen Einsatz, der für den Betrieb der ISS und für die Ausbildung der Astronauten nötig ist, rechtfertigen. Wörner lobt einmal mehr die geopolitische Vorbildfunktion der Raumstation: „Wenn man da zwischen den Modulen der Nationen hin- und herschwebt, braucht man keinen Pass und kein Visum.“ Wörner warb auch noch einmal für den Fortbestand der Raumstation: „Wir sollten nicht das Ende einläuten“, sagt er hinsichtlich auf das derzeit von den USA und Russland anvisierte Ende von 2024. „Wir sollten sie nutzen, solange sie funktioniert.“
Zwei Tage mit Familie und Freunden
In den nächsten Wochen und Monaten muss Gerst nun zahlreiche wissenschaftliche und medizinische Untersuchungen über sich ergehen lassen. Er sei aber "glücklich und dankbar", dass er dennoch über Weihnachten zunächst zwei Tage mit seiner Familie und Freunden verbringen dürfe, sagt der Mann aus Künzelsau. Und er ist offenbar auch glücklich, wieder auf dem Planeten Erde sein zu können: "Ich genieße es, nachts durch den Nieselschauer zu spazieren, den Wind in meinem Gesicht zu spüren, den Wald und das Gras zu riechen – das ist schon etwas, dass auf der Erde sehr wichtig ist für uns."
Von Sonja Fröhlich/RND