Liebe auf Abstand? So verändert die Corona-Pandemie den Umgang mit Dating-Apps
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In der Corona-Pandemie verabreden sich viele Singles vor einem echten Date zu einem Videochat-Date.
© Quelle: Pixabay
London. Zu Beginn der Pandemie traf sich Jennifer Sherlock einige Male mit Männern, die sie über Dating-Apps kennengelernt hatte. Sie merkte aber recht bald, dass die Ausbreitung des Coronavirus auch die Suche nach einem passenden Partner schwieriger gemacht hatte. Die Dates seien merkwürdig gewesen, sagt sie. Inzwischen startet die 42-Jährige das Kennenlernen fast immer mit einer Verabredung zum Video-Chat – und damit ist sie nicht die einzige.
Bei einer Gelegenheit habe der Mann während eines Spaziergangs zwar eine Gesichtsmaske getragen – sie unmittelbar danach dann aber zu sich nach Hause eingeladen, erzählt Sherlock. Das sei ihr unverantwortlich und zugleich plump erschienen. „Draußen sollten wir also ohne Maske nicht sicher sein, aber in seiner Wohnung sollte es auch ohne Maske gehen?“ Ihre neue Strategie habe sich derweil so bewährt, dass sie sie wohl auch nach der Pandemie beibehalten werde, sagt die PR-Beraterin aus dem US-Staat New Jersey.
Dating-Apps vermelden großen Zulauf
Das Prinzip ist im Grunde naheliegend: Eine Vorauswahl kann tendenziell die Trefferquote erhöhen. Und wenn das Filtern online erfolgt, reduziert sich damit die Zahl der persönlichen Kontakte. Dies wiederum ist nicht nur in Zeiten der Pandemie ein Vorteil – zumal für Dating-App-Nutzer mit wenig Zeit. Die großen Portale haben den Trend erkannt. Einige haben ihr Angebot mittlerweile um passende Funktionen erweitert.
Obwohl praktisch in der ganzen Welt seit 18 Monaten Einschränkungen des Soziallebens gelten, vermelden führende Dating-Apps großen Zulauf. Der Anbieter Tinder hatte 2020 sein bisher erfolgreichstes Jahr. Hinge verdreifachte von 2019 bis 2020 den Umsatz – und für das laufende Jahr erwartet das Unternehmen eine weitere Verdoppelung. Offenbar suchen also gerade wegen der erzwungenen Isolation viele Singles nun verstärkt im Internet nach Kontakten.
Virtuelle Dates auch nach der Pandemie
Als Reaktion auf das veränderte Umfeld kündigte Tinder im vergangenen Monat eine Reihe von neuen Tools an. Diese sollen es Nutzern ermöglichen, sich bereits vor einem persönlichen Treffen besser kennenzulernen. „Traditionell waren die Kunden zurückhaltend damit, per Video Kontakt aufzunehmen, weil sie keine Notwendigkeit dafür sahen“, sagt Jess Carbino, eine Soziologin und Online-Dating-Expertin, die für Tinder und Bumble gearbeitet hat. Wegen Corona würden jetzt aber viele Menschen mehr „Screening“ erwarten.
Eigene Untersuchungen hätten gezeigt, dass Video-Chats wohl auch in einer Zeit nach Corona ein wichtiger Teil des Online-Dating-Prozesses bleiben dürften, heißt es von den Anbietern. Knapp die Hälfte der Tinder-Nutzer und -Nutzerinnen soll sich während der Pandemie mit einem „Match“ zum Video-Gespräch verabredet haben. Und 40 Prozent gaben den Angaben zufolge an, das auch weiterhin tun zu wollen. Treiber dieses Trends sind laut Tinder vor allem Menschen Anfang 20 oder in den späten Teenager-Jahren – eine Generation, die mehr als die Hälfte der Nutzer der App ausmache. Bei Hinge gaben in Großbritannien 69 Prozent der Nutzer an, auch künftig auf „virtuelle Dates“ setzen zu wollen.
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Zwanglose Begegnungen stehen nicht mehr im Vordergrund
Die Expertin Carbino sieht derweil noch eine weitere Veränderung beim Umgang mit Dating-Apps. Seit Beginn der Pandemie seien die Nutzer und Nutzerinnen zunehmend auf engere Kontakte aus und nicht mehr so sehr auf zwanglose Begegnungen, sagt sie. Dies stellte auch die Spanierin Maria del Mar fest, als sie sich Anfang des vergangenen Jahres auf eine Tinder-Bekanntschaft einließ, ohne eigentlich eine feste Beziehung im Sinn zu haben.
Im April 2020, als sich Spanien in einem Lockdown befand, begann die 29-Jährige, über Tinder mit einem Mann zu chatten. Die Raumfahrt-Ingenieurin war von Barcelona aus zurück ins Haus ihrer Eltern in der Stadt León gezogen. Eher aus Langeweile hatte sie sich bei der App angemeldet. Sie war dann aber überrascht, wie viele Gemeinsamkeiten sie mit dem Mann hatte, der heute ihr fester Partner ist.
Nutzer: Grindr steht für spontane Begegnungen
Erst nach Wochen des Chattens trafen sich die beiden zum ersten Mal persönlich – zu einer Wanderung, bei der sie sich an die zu diesem Zeitpunkt geltenden Abstandsregeln halten konnten. Inzwischen sind sie zusammengezogen. „Ohne die App hätten sich unsere Wege wahrscheinlich nicht gekreuzt“, sagt Del Mar.
Der in London lebende Fernando Rosales nutzte vor der Pandemie oft die bei homosexuellen Männern beliebte App Grindr. Inzwischen favorisiert er Tinder. Bei Grindr gehe es um spontane Begegnungen, während Tinder „etwas eher Geselliges“ sei, sagt der 32-jährige Mitarbeiter einer britischen Kaffeehaus-Kette. Manchmal nutze er die App einfach nur, um sich mit anderen zum Online-Computer-Spielen oder zum Plaudern zu verabreden.
Veränderungen könnten dauerhaft sein
Die Berliner Drag-Künstlerin „Ocean“ nutzt seit Beginn der Pandemie die LGBTQ+-App Taimi, um Menschen aus aller Welt kennenzulernen. Die Video-Chats mit Fremden aus Ländern wie den Philippinen oder den USA seien großartig gewesen, sagt die 26-Jährige, deren bürgerlicher Name Kai Sistemich ist, die sich in ihrer Rolle als Drag-Künstlerin aber als Frau identifiziert. Die dazu in der App eingerichtete Funktion werde sie auch nach der Pandemie nutzen.
Auch die US-Amerikanerin Sherlock geht davon aus, dass sich die Veränderungen im Umgang mit Dating-Apps als dauerhaft erweisen werden. Kürzlich habe sie bei zwei Männern, mit denen sie jeweils per Textnachrichten in Kontakt gewesen sei, vor echten Verabredungen zunächst um Video-Chats per Facetime gebeten. Vor Corona hätte sie so etwas laut eigenen Angaben nicht getan. Die Dating-Welt sei verrückt, sagt sie. „Also ist es wichtig, Zeit zu sparen.“
RND/AP