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Riff nicht wieder gesund

Korallen­dichte nimmt zu: trügerischer Hoffnungs­schimmer am Great Barrier Reef

Im Norden und im Zentrum des Great Barrier Reef haben Forschende die höchste Korallen­bedeckung seit über drei Jahrzehnten gemessen. Doch leider bedeutet dies nicht, dass das Riff wieder gesund ist. Bild: Eine Taucherin schnorchelt über ausgebleichte Korallen des Great Barrier Reef vor Australiens Nordostküste.

Im Norden und im Zentrum des Great Barrier Reef haben Forschende die höchste Korallen­bedeckung seit über drei Jahrzehnten gemessen. Doch leider bedeutet dies nicht, dass das Riff wieder gesund ist. Bild: Eine Taucherin schnorchelt über ausgebleichte Korallen des Great Barrier Reef vor Australiens Nordostküste.

Die Zahlen, die das Australian Institute of Marine Science (AIMS) Ende der vergangenen Woche veröffentlichte, waren auf den ersten Blick ermutigend: Im Norden und im Zentrum des Great Barrier Reef hat die Korallen­bedeckung zugenommen. Derzeit sind im Norden des Riffs beispiels­weise 36 Prozent mit Korallen bedeckt, ein Rekord, seitdem die Überwachung des Riffs vor über drei Jahrzehnten begann. Bisher waren es meist nur zwischen 20 und 30 Prozent.

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Vor allem im Internet wurde die Nachricht gefeiert: Denn das Great Barrier Reef, das aus 3000 Einzel­riffen besteht und die Heimat von 1500 Fisch­spezies und 400 Korallen­arten bildet, ist nicht nur für Australiens Biodiversität von höchster Wichtigkeit – auch der wirtschaftliche Aspekt für die Menschen ist nicht zu unterschätzen: 60.000 Menschen in Australien arbeiten in einem Beruf, der mit dem Great Barrier Reef in Verbindung steht.

Erholt sich das Riff tatsächlich wieder?

In gewisser Weise überraschten die Nachrichten aber auch: Denn erst Anfang des Jahres ging die Nachricht einer weiteren Massen­bleiche des Riffs um die Welt. Es war die sechste seit 1998 und die vierte seit 2016. Ein Bericht im Mai zeigte das Ausmaß der Verwüstung: Von den insgesamt 719 Riffen, die zwischen der Torres-Straße und der Capricorn Bunker Group am südlichen Ende des Riffsystems untersucht wurden, zeigten 654 Riffe Zeichen einer Bleiche. Auch AIMS-Chef Paul Hardisty verwies in seinen Ausführungen auf diese immer häufiger auftretenden Massen­bleichen: „In den 36 Jahren, in denen wir den Zustand des Great Barrier Reef überwacht haben, haben wir Bleich­ereignisse noch nie so nah beieinander gesehen“, merkte er an. Doch die neuen Erkenntnisse würden zeigen, dass sich das Riff in Perioden ohne größere Störungen auch wieder erholen könne.

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In den Tagen nach der Veröffentlichung reagierten mehrere Forschende jedoch mit Vorbehalt auf diese Auslegung. Ein Rekordhoch der Korallen­bedeckung in Teilen des Great Barrier Reef bedeute nicht unbedingt, „dass unser geliebtes Riff bei guter Gesundheit ist“, schrieb Zoe Richards, eine Forscherin der Curtin University, im akademischen Fach­magazin „The Conversation“. Eine hohe Korallen­bedeckung könne „trügerisch“ sein, da sie von nur wenigen dominanten Arten stammen könnte, die nach einer Störung wie beispiels­weise einer Massen­bleiche schnell wachsen würden. „Dieselben Korallen sind jedoch extrem störanfällig und werden wahrscheinlich innerhalb weniger Jahre aussterben“, so Richards.

Dominante Pioniere

Auch der renommierte australische Korallen­forscher Terry Hughes merkte an, dass das rasche Wachstum „durch die Rekrutierung von Larven und das schnelle Wachstum junger ‚Unkraut­korallen‘ angetrieben“ werde. „Eine tote, 50 Jahre alte Koralle lässt sich nicht in fünf Jahren ersetzen“, schrieb er auf Twitter. Tatsächlich stammt der größte Teil der neuen Korallen von genau einer Art: der schnell wachsenden Acropora. Acropora-Korallen sind bekannt für einen sogenannten „Boom and Bust“-Lebens­zyklus: Nach einem Zyklon beispiels­weise würden Acropora-Arten häufig als „Pioniere“ fungieren, erläuterte Richards. „Sie rekrutieren und besiedeln schnell kahle Flächen, und die seitlich wachsenden platten­förmigen Arten können schnell große Flächen bedecken.“

Auch nach Massen­bleichen würden sie in der frühen Phase der Erholung dazu neigen, das Riff zu dominieren. Dieselben Korallen seien dabei jedoch oft auch anfällig für Schäden, die Wellen, Krankheiten oder neue Korallen­bleichen verursachen. Oftmals würden sie innerhalb weniger Jahre wieder eingehen. Auch wenn es „verlockend“ sei, auf die zunehmende Korallen­bedeckung „optimistisch“ zu reagieren, so sei es doch eher ratsam, „Vorsicht“ walten zu lassen, meinte die Wissenschaftlerin. Die Erholung und die Widerstands­fähigkeit des Riffs würden durch die immer häufigeren und schwereren Hitze­wellen und Wirbel­stürme leider sehr beeinträchtigt.

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Unesco hält ein Auge auf das Riff

Das weltgrößte Riff kränkelt seit Jahren: Zusätzlich zu den höheren Wasser­temperaturen und Stürmen machen den Korallen auch Abwässer aus der Land­wirtschaft, der Ausbau von Kohle­häfen und die invasive Art des Dornen­kronen­seesterns zu schaffen. Erst im November zeigte eine Studie, die im Fach­magazin „Current Biology“ veröffentlicht wurde, dass inzwischen bereits 98 Prozent der Einzelriffe seit 1998 einer Bleiche ausgesetzt waren. Im Oktober 2020 war eine weitere Studie zu dem Schluss gekommen, dass die Anzahl der kleinen, mittleren und großen Korallen am Great Barrier Reef seit den 1990er-Jahren um mehr als 50 Prozent zurück­gegangen ist.

Die Unesco hatte Ende März eine Delegation ans Riff geschickt, um dessen Gesundheits­zustand zu überprüfen. In der nächsten Sitzung des Welterbe­­komitees, die für Juni anvisiert war, nun aber auf ein unbestimmtes Datum verschoben wurde, soll die Debatte wieder aufgenommen werden, ob das Riff als gefährdet eingestuft wird. In diesem Fall würde es auf der sogenannten „Roten Liste“ der Unesco landen – letzteres wäre eine große Blamage für Australien. Im vergangenen Jahr war das Riff nach einer groß angelegten Marketing­kampagne der australischen Regierung nicht aufgenommen worden.

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