Kinderbetreuung: Väter sollten mehr Gleichberechtigung einfordern
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/LHPUTMGAFREZDBEWVBPXTIJQVI.jpg)
Väter in Elternzeit – das ist auch eine Frage der männlichen Gleichberechtigung.
© Quelle: Patrick Pleul/dpa
Große Überraschungen oder gar neue Erkenntnisse bringt der Väterreport des Bundesfamilienministeriums 2021 nicht. Eine Mehrheit der Väter wünscht sich mehr Gleichberechtigung bei der Betreuung der Kinder. Auch die Arbeitszeit wollen viele reduzieren. Bei der Umsetzung hapert es weiterhin. Nur jede vierte Familie lebt Gleichberechtigung, nur 8 Prozent der Väter haben ihre Arbeitszeit reduziert.
Selbst die Gründe dafür sind altbekannt – geringeres Einkommen der Partnerin, Angst vor beruflichen Nachteilen, traditionelle Rollenerwartungen und strukturelle Hürden. Ein paar kleine Schmunzler enthält die Umfrage dann doch. So halten die Väter ihren Anteil an der Arbeit zu Hause für bedeutender als er aus Sicht der Mütter wirklich ist. Insgesamt liest sich das Ganze aber ernüchternd, trotz kleiner Zeichen des Wandels.
Wir brauchen Mut zum radikalen Wandel
1993 beschäftigten sich Väter unter der Woche zwei Stunden pro Tag mit ihren Kindern, 2019 schon drei. Doch reicht das? Nein, wir brauchen endlich Mut zur Radikalität und grundlegendem Wandel. Wir brauchen mehr Väter, die schon locker am Morgen die drei Stunden Beschäftigung mit den Kindern schaffen, ganz selbstverständlich den Haushalt schmeißen, ihrer Frau den Rücken freihalten und auch in Teilzeit arbeiten, für die Familie.
Warum? Die Liste der Gründe ist lang, hier nur ein kleiner Auszug. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gelingt besser auf vier Schultern verteilt als auf zwei. Die Erwerbstätigkeit der Frauen ist wichtig, für die Wirtschaft in Zeiten des Fachkräftemangels, zur Selbstverwirklichung und als Prävention von Altersarmut. Und nicht zu vergessen: Von aktiver Vaterschaft profitieren auch unsere Kinder. Würden wir diese Gründe ernst nehmen, gäbe es einen wirklich spannenden Väterreport.
Gleichberechtigung kann auch unbequem sein
Doch scheitert der Wandel nur an den Männern? Ja und Nein! Es gibt Männer, die keine Lust haben in Elternzeit zu gehen, denen Gleichberechtigung und die Care-Arbeit einfach zu unbequem sind, die sich in Rollenbildern der Sechzigerjahre wohlfühlen und nicht bereit sind, für die Familie beruflich kürzer zu treten.
Es wäre aber falsch, die Schuld für fehlende Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit allein den Männern in die Schuhe zu schieben – auch wenn unser Anteil daran nicht zu übersehen ist, als Väter, aber auch als Verantwortliche in Politik und Wirtschaft. Schließlich gibt es hinreichend Väter, die unter diesem Ideal des hart arbeitenden und die Familie versorgenden Mannes leiden, aber sich vielleicht nicht trauen, mit gesellschaftlichen Konventionen zu brechen oder sich gegen bestehende Hürden aufzulehnen.
Und genau für sie braucht es eine Politik und Wirtschaft, die Väter und Mütter, die es anders machen wollen, unterstützt. Genau davon sind wir noch weit entfernt. Viele Führungskräfte glauben immer noch, dass Männer eine 60-Stunden-Woche schieben und gleichzeitig aktive Väter sein können. Wenn Papa um 15 Uhr das Büro verlässt, um bei seinem Kind zu sein, wird das nicht unbedingt wertgeschätzt, sondern viel zu oft belächelt. Das soll und kann keine Generalentschuldigung sein.
Mutige und medial präsente Vorreiter gesucht
Doch auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung und Vereinbarkeit brauchen wir nicht nur mutige und medial präsente Vorreiter, sondern nicht weniger als einen Kulturwandel in der Arbeitswelt – mit 30 Stunden als neuer Wochenarbeitszeit, mit mehr Mitbestimmung über die Gestaltung unserer Arbeit – egal ob im Homeoffice oder direkt am Menschen.
Wahrscheinlich bräuchten wir auch eine Frauenquote in der Führungsebene von DAX-Konzernen, um die verstaubten Vorstellungen von Rollenbildern und Familie aus den Unternehmen zu schütteln und mehr Familienfreundlichkeit zu schaffen. Und natürlich ist auch die Politik gefragt, wenn es darum geht, gesellschaftlichen Wandel zu bewirken.
Mehr Investitionen in die Bildung!
Die Qualität der Kinderbetreuung vom ersten bis zum 18. Lebensjahr muss sich verbessern. Es braucht mehr Plätze, mehr pädagogische Fachkräfte, bessere Betreuungsschlüssel und bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung. Es braucht mehr Investitionen in die Bildung.
Dabei geht es nicht nur um die Entlastung der Familien, sondern um die Zukunft und Bildungschancen unserer Kinder. Die Politik muss Eltern stärker finanziell unterstützen, zum Beispiel durch die Abschaffung von vorsintflutlichen Steuerkonzepten wie dem Ehegattensplitting, höheres Elterngeld bei gleichberechtigter Aufteilung oder mit der Überwindung des Gender Pay Gaps. Denn nur so können wir uns wirklich aussuchen, wer seine Stunden reduziert und lange in Elternzeit geht – Mama oder Papa. Was wäre der Lohn einer Umsetzung? Eine gerechtere, gleichberechtigtere Gesellschaft – und Väterreports mit erfreulichen Ergebnissen.
In 30 Jahren sind acht Monate Vaterschaftsurlaub normal
Ich habe da ein Bild vor Augen: In 30 Jahren unterhalte ich mich mit meinem Sohn über den bald kommenden Enkel. Dass er selbst acht Monate in Elternzeit geht, ist selbstverständlich, das machen doch alle Männer so. Und danach möchte er vielleicht seine 30-Stunden-Stelle als Dinoforscher reduzieren, um mehr Zeit für die Familie zu haben. Das machen doch alle Männer so. Doch wie kommen wir dahin? Vielleicht, indem wir als Väter und Mütter gemeinsam mehr Gleichberechtigung einfordern und wagen, statt bei Umfragen nur davon zu träumen.
Mit einer so lauten Stimme, mit einer so großen Vehemenz, mit einer so großen Radikalität, dass Politik und Wirtschaft sie nicht überhören können. So schwer kann das doch nicht sein, oder?