Großes Ego: Wenn der Hang zur Selbstüberschätzung zum Verhängnis wird

Viele Menschen neigen dazu, ihre Fähigkeiten und Intelligenz überdurchschnittlich hoch einzuschätzen.

Viele Menschen neigen dazu, ihre Fähigkeiten und Intelligenz überdurchschnittlich hoch einzuschätzen.

Niemand kennt einen besser als man selbst, nicht wahr? Das glaubt zumindest der gesunde Menschenverstand. Psychologen hingegen glauben das schon länger nicht mehr. Und daran hat auch Simine Vazire ihren Anteil. Die Forschung der Psychologin von der University of California in Davis zeigt: Bei inneren Dingen wie Gedanken und Gefühlen wie Traurigkeit oder Angst ist unsere Selbsteinschätzung meist genauer als die Bewertungen von Freunden und Fremden.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Den eigenen Angstpegel kennt man wahrscheinlich ziemlich gut. Während andere vielleicht von außen nicht so gut in der Lage sind, das zu beurteilen. Schließlich kann man seine inneren Gefühle ziemlich gut verbergen. Im Gegensatz dazu bereitet es Menschen aber Schwierigkeiten, sich in Bereichen zu beurteilen, die wünschenswert oder unerwünscht sind. Vazire zufolge kann man die eigene Intelligenz, Kreativität und Attraktivität nur schwer objektiv beurteilen – denn es steht viel auf dem Spiel: Schließlich möchte jeder als intelligent, kreativ und attraktiv gelten.

Der “Besser als der Durchschnitt”-Effekt

Aber woran liegt es überhaupt, dass Menschen sich selbst oft schmeichelhafter einschätzen? Ein wissenschaftlich gut belegtes Phänomen ist der “Better than average”-Effekt. Die Mehrheit der Menschen hält sich in vielen Belangen für besser als der Durchschnitt, obwohl das alleine schon statistisch meist nicht möglich ist. Das gilt nicht nur beim Thema Autofahren, bei dem sich in Umfragen regelmäßig 80, 90 Prozent für überdurchschnittlich gute Autofahrer halten.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Auch bei Persönlichkeitseigenschaften schlägt der Effekt zu: So glauben beispielsweise Collegestudenten, sie seien im Vergleich zu ihren Kommilitonen überdurchschnittlich verlässlich. Kein Einzelfall, wie Forscher um den Psychologen Ethan Zell von der University of North Carolina at Greensboro in einer Untersuchung aus diesem Jahr zeigten: Sie werteten im Rahmen einer Metaanalyse 124 Studien aus ­– in denen sich die Probanden durchgängig positiver als der Durchschnitt einschätzten. Dabei übertrieben sie eher ihre vorteilhaften Eigenschaften, als dass sie ihre negativen Eigenschaften untertrieben.

Realistischere Einschätzung von Freunden erhalten

Bleibt nur die Frage: Warum taten sie das? “Es gibt verschiedene Gründe, warum sich Menschen teilweise zu positiv einschätzen”, sagt der Persönlichkeitspsychologe Michael Dufner von der Uni Witten/Herdecke. “Zum einen suchen Menschen gerne nach Informationen, die das eigene Selbst in ein positives Licht rücken.” Menschen versuchen, ihren Selbstwert zu schützen und teilweise zu erhöhen durch Vergleiche, die sie ziehen. Und dadurch, wie sie Ereignisse interpretieren. “Zum anderen neigen Menschen dazu, das Selbstbild, das sie einmal gefasst haben, zu bestätigen. Das gibt Menschen ein Stück weit Sicherheit.”

Was also soll man tun, wenn man sich selbst realistischer einschätzen möchte? Michael Dufner rät, ein Urteil von außen nicht bei Freunden einzuholen. “Denn das wäre wie ein Empfehlungsschreiben, das man ja auch nur von jemandem einholt, der einen positiv beurteilt.” In Studien habe sich gezeigt, dass “Feinde” im Gegensatz zu Freunden noch einmal eine ganz andere Perspektive auf die eigene Persönlichkeit liefern und deren Einschätzung auch ein Körnchen Wahrheit enthält. “Und ansonsten gibt es mittlerweile seriöse Tests im Internet, mit denen man seine Persönlichkeit bestimmen kann.”

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Das Selbstbild regelmäßig updaten

Der Psychologin Lena Schiestel von der Ludwig-Maximilians-Universität München zufolge ist es derzeit nicht möglich, allgemeine Ratschläge zum Thema “bessere Selbsteinschätzung” aus der aktuellen Studienlage abzuleiten. Sie kann aber aus ihrer Erfahrung als Therapeutin einige Empfehlungen geben. “Der erste Schritt wäre, einen wohlwollend-neugierigen Blick auf sich selbst zu entwickeln.” Und dann gebe es verschiedene Wege, die man für eine bessere Selbsteinschätzung ausprobieren könne.

Als ersten Weg nennt Schiestel die nach innen gerichtete Selbstbeobachtung. Damit ist gemeint, möglichst unvoreingenommen eigene Gefühle und Gedanken wahrzunehmen und sie nicht zu schnell zu bewerten oder voreilige Schlüsse zu ziehen. Das ermöglicht es auch, sich von sich selbst überraschen zu lassen. Manchmal habe man sich nämlich eine Selbstaussage in der Vergangenheit zurechtgelegt, wie beispielsweise “Ich bin nicht gerne unter Leuten”. Und man speist neuere Erfahrungen, in denen man sich in Gruppen entspannt und zufrieden gefühlt hat, nicht in die Selbsteinschätzung mit ein. “Man hat quasi versäumt, sein Selbstbild upzudaten”, so die Münchner Psychologin.

Neues ausprobieren und Feedback annehmen

Ein weiterer Weg hin zu einer besseren Selbsteinschätzung besteht laut Lena Schiestel darin, das eigene Verhalten in neuen Situationen zu beobachten. Wie wir handeln und reagieren, ist natürlich auch abhängig von der jeweiligen Situation, in der wir uns befinden. Wer also Neues wagt und zum Beispiel einen Tanzkurs belegt, hat die Möglichkeit, sich selbst ganz neu zu erleben. Dann lässt sich ein Stück weit herausfinden, ob eine Reaktion nur in einem ganz bestimmten Rahmen auftritt – ob man sich beispielsweise nur unter den Kollegen unwohl fühlt oder ganz allgemein in Gruppensituationen. “In letzterem Fall würde man eher darauf schließen, dass es mit einem selbst als Person und weniger mit der konkreten Situation zu tun hat”, sagt Schiestel. An dem Unbehagen im Büro wären also nicht unbedingt die Kollegen schuld – sondern womöglich die eigene Unsicherheit.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Eine letzte Möglichkeit besteht darin, sich Feedback zu holen. “Natürlich sind die Rückmeldungen, die man bekommt, nur die subjektiven Eindrücke der jeweiligen Personen”, warnt auch die Psychologin Schiestel. Aber besonders dann, wenn sich Aussagen ähneln und wiederholen, lohne sich die Frage: Könnte da was dran sein – war das eigene Auftreten neulich in der Arbeit vielleicht wirklich etwas zu forsch und besserwisserisch? Dabei sei es wichtig, aufmerksam zuzuhören und nicht abwehrend zu reagieren, um das Gegenüber nicht zu entmutigen. “Das heißt nicht, dass ich jede Rückmeldung auch gleich in mein Selbstbild übernehmen muss”, sagt Schiestel. “Es erhöht aber die Wahrscheinlichkeit, dass ich eine ehrliche Rückmeldung bekomme.” Und wer weiß: Vielleicht ist Besserung ja sogar der erste Schritt zur Selbsterkenntnis.

Wie gut schätzen sich Menschen ein?

Grundsätzlich ist die Frage, wie man überhaupt feststellt, ob eine Selbsteinschätzung korrekt ist. Beim Thema Intelligenz ist das noch relativ einfach. Denn Intelligenz lässt sich messen. Und hier zeigt sich: Menschen halten sich gerne für schlauer, als sie sind. Aber bei vielen Persönlichkeitseigenschaften ist eine solche Messung nicht möglich. Und daher zieht man zum Vergleich Einschätzungen von anderen Menschen heran, etwa zu Persönlichkeitseigenschaften wie Ängstlichkeit. Und hier stimmen Eigen- und Fremdwahrnehmung einigermaßen häufig überein.

Mehr aus Wissen

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige
Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Outbrain UK Ltd, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.

 

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken