Geliebt, gehasst, verspottet – und immer wieder ignoriert
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Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hält 2019 während ihres Schulstreiks vor dem Reichstag ihr Schild mit der Aufschrift „Skolstrejk för klimatet“ (Schulstreik fürs Klima) in die Höhe. Mit diesem Schild wurde Greta Thunberg berühmt. Übersetzt bedeutet der Satz: Schulstreik für das Klima. Foto: Steffen Trumpf/dpa - Honorarfrei nur für Bezieher des Dienstes dpa-Nachrichten für Kinder +++ dpa-Nachrichten für Kinder +++
© Quelle: Steffen Trumpf/dpa
Berlin. Die ersten Meldungen tauchten Ende August 2018 in schwedischen Medien auf. Ein 15-jähriges Mädchen hatte sich vor den Reichstag in Stockholm gesetzt, vor sich ein selbst beschriftetes Schild.
Darauf zu lesen: „Skolstrejk för klimatet“ (Schulstreik fürs Klima).
Der 20. August 2018 war der erste Schultag für die noch unbekannte Greta Thunberg in der neunten Klasse. Dieser Tag machte den schwedischen Teenager wenig später zu einer der weltweit bekanntesten Personen, und er löste in der Folge international eine Lawine an internationalen Schulstreiks aus.
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Klima-Check
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Thunberg hatte offenbar den Nerv ihrer Generation getroffen. Zur schnell wachsenden Schar von Unterstützern zählten jedoch nicht allein Gleichaltrige. Wissenschaftler, einige Wirtschaftslenker und Klima-Politiker verstärkten die Botschaft der jungen Frau: Der Klimawandel muss unter allen Umständen gebremst, besser noch gestoppt werden.
Druck auf der Straße
Der Druck von der Straße wurde massiv – und war erfolgreich. In Deutschland etwa schnürte die Große Koalition 2019 ein umfängliches Klimapaket, gegen das unter anderem Fridays for Future trotzdem klagten. Erfolgreich. Aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts griff das Klimaschutzgesetz von 2019 zu kurz, so eine Entscheidung im vergangenen Jahr. Der Bundestag musste im Sinne der Klimaschützer nachbessern.
Ein Jahr nach ihrem ersten Schulstreik – als Fridays for Future bereits weltweit, aber vor allem in Deutschland eine einflussreiche Klimabewegung geworden war – sagte Thunberg, sie hätte das Gefühl gehabt, etwas tun zu müssen. Lange hätte sie sich schon mit Klimawandel und Erderwärmung auseinandergesetzt und sei daran verzweifelt, dass niemand etwas für das Klima unternehme. „Darum setzte ich mich vor das Parlament.“
Thunberg gab auch zu Protokoll, dass sie sich anfangs ziemlich allein und auch hoffnungslos fühlte. Doch sie nutzte in dieser Phase für ihre Klimamission die Instrumente, die vielen ihrer Generation eine Stimme gaben: Twitter, Facebook Instagram und Co. So begeisterte sie von Freitag zu Freitag immer mehr Schülerinnen und Schüler auf der ganzen Welt, ihrem Beispiel zu folgen.
Thunberg polarisiert
Es ist vor allem die Kompromisslosigkeit ihrer Forderungen, die die Meinungen über Greta Thunberg extrem auseinanderklaffen lassen. Es gibt kaum einen Menschen ihres Alters, der so polarisiert wie sie. Ihre Anhänger halten Thunberg für so etwas wie einen Messias und bringen sie immer wieder als Kandidatin für den Friedensnobelpreis ins Gespräch.
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Sie bejubeln Auftritte von Thunberg wie auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2019. „Ich will, dass ihr in Panik geratet“, sagt sie dort. „Ich will, dass ihr handelt, als würde euer Haus brennen, denn das tut es.“
Vor allem aber die regelmäßigen Battles mit US-Präsident Donald Trump, der die junge Frau in sozialem Medien mehr als einmal beleidigt, lassen ihre Popularität rasant wachsen. Ihr Umgang mit dem damals mächtigsten Mann der Welt wirkte – dank ihres Kommunikationsteams – sehr souverän.
Trump wettert
Bemerkenswert ihre Replik, als Trump 2019 auf Twitter gegen die Wahl der damals 16-Jährigen zur Person des Jahres durch das „Time Magazine“ ätzte. Der US-Präsident bezeichnete die Kür Thunbergs als „so lächerlich“. Und legte nach: „Greta muss an ihrem Problem mit Aggressionsbewältigung arbeiten und dann mit einem Freund einen guten alten Film anschauen! Entspann dich, Greta, entspann dich!“
Und Thunberg? Sie änderte quick & dirty ihre Selbstbeschreibung bei Twitter: „Ein Teenager, der an seinem Problem mit Aggressionsbewältigung arbeitet“, schrieb sie dort. „Gerade entspanne ich mich und schaue mir mit einem Freund einen guten alten Film an.“
Legendär auch ihr Auftritt 2019 vor den Regierungs- und Staatschefs der Welt beim UN-Klimagipfel in New York. „Menschen leiden, Menschen sterben, ganze Ökosysteme kollabieren. Wir sind am Anfang eines Massenaussterbens, und alles, worüber Sie reden können, sind Geld und Märchen vom ewigen wirtschaftlichen Wachstum. How dare you?“ – wie könnt ihr es wagen?
Kritik an Atlantik-Törn
Thunberg muss aber mit der Zeit auch inhaltliche Kritik einstecken. Bei Klimaschützern umstritten war beispielsweise ihr Atlantiksegeltörn zum New Yorker Gipfel. Da mehrere Segler in die USA fliegen mussten, um das Boot wieder nach Europa zu bringen, war die Klimabilanz dieser PR-trächtigen Atlantiküberquerung ziemlich mies.
Andere Kritiker hielten die teure Aktion für einen Beleg zunehmender Abgehobenheit Thunbergs. Wer kann sich solch eine Reise mit einer Hochseejacht schon leisten? Ein Vorbild für CO₂-freie, alternative Reiseformen war sie jedenfalls nicht.
Hetze in Australien
Das australische Massenblatt „Herald Sun“ rückte zur Hochzeit der internationalen Klimabewegung Thunbergs Asperger-Erkrankung in den Vordergrund. Die erzkonservative Zeitung des Verlegers Rupert Murdoch bezeichnete sie als der „zutiefst verstörte Messias der Erderwärmungsbewegung“. Weiter schrieb der Kolumnist Andrew Bolt: „Ich habe noch nie ein so junges Mädchen mit so vielen psychischen Störungen gesehen, die von so vielen Erwachsenen wie ein Guru behandelt wird.“
Greta Thunberg, die ihre Asperger-Erkrankung selbst als Vorteil bezeichnet, muss lernen, mit den Anfeindungen umzugehen. Sie macht scheinbar ungerührt weiter. Später räumt sie in Interviews ein, dass dies für sie und vor allem ihre Eltern – die Opernsängerin Malena Ernman und der Schauspieler Svante Thunberg nicht einfach gewesen sei. „Man kann heute nicht mehr für etwas Gutes stehen, ohne dafür infrage gestellt zu werden, Todesdrohungen zu erhalten und gehasst zu werden. Es ist sehr traurig, wohin wir da gekommen sind.“
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Greta Thunberg, Klimaaktivistin aus Schweden, steht an Board der Hochseejacht "Malizia", die sie nach New York brachte.
© Quelle: Ben Birchall/PA Wire/dpa
Die Pandemie dämpfte den Furor Thunbergs und der Klimabewegung ab 2020 mächtig. Sie selbst machte ihre Infektion nach einer Europareise mit dem Vater öffentlich und riet Kindern und Jugendlichen, sich bei Anzeichen einer Infektion in Selbstquarantäne zu begeben, um andere Menschen zu schützen. Wie beim Klimathema verbreitet sie auch in der Pandemie ihre Überzeugung: „Hört auf die Wissenschaft.“
Pro Atomkraft
Neben Engagements für Unicef oder andere Organisationen blieb Thunberg stets mit anderen Klimaschützern am Ball, schrieb offene Briefe an Regierungen, sprach auf Klimastreiks oder anderen Veranstaltungen und erinnert die Regierungen der Welt immer wieder daran, dass selbst nach Krisen wie der Pandemie oder dem ersehnten Ende des russischen Angriffskriegs in der Ukraine eines bliebe: der sich beschleunigende Klimawandel.
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Umso erstaunter waren Umweltschützer, als Thunberg zuletzt in der deutschen TV-Sendung „Maischberger“ sagte, sie teile die Einschätzung eines Berichts des Weltklimarats, wonach Atomkraft ein kleiner Teil einer großen Lösung sein könne – um bei der Energieerzeugung ohne fossile Brennstoffe auszukommen.
Neue Autorität
Dass sich darauf Politiker wie FDP-Chef Christian Lindner bei der Argumentation gegen die Abschaltung restlicher deutscher Atomkraftwerke ausgerechnet auf Greta Thunberg beriefen, war erstens aberwitzig und zweitens Beleg für die Autorität, die die junge Schwedin inzwischen besitzt.
Klimaaktivistin bleibt sie ihr Leben lang, sagt sie heute. Und sie wirkt entspannter als jemals zuvor. Als Sandra Maischberger sie fragt, was Thunberg heute über die Greta von vor ein paar Jahren denke, sagt sie lächelnd: „Viele Dinge. Ich versuche, nicht zu hart mit mir zu sein.“
Thunberg spricht sich für Weiterbetrieb von deutschen Atomkraftwerken aus
Die Energiekrise regt die Überlegungen an, eine vorzeitige Abschaltung der verbleibenden deutschen AKWs zu verschieben.
© Quelle: dpa
Das Klima-Buch
Dass sie bald keine Schulstreiks mehr machen könne, da sie die Schule beende, diesen Gedanken schiebt die 19-Jährige noch vor sich her, meint Thunberg. Sie konzentriere sich auf jeden Tag. Und die Zukunft? Greta Thunberg möchte „wahrscheinlich“ Sozialwissenschaften studieren, um dann für Nichtregierungsorganisationen zu arbeiten.
An diesem Donnerstag legte sie erst mal ein Buch vor. Das 500 Seiten starke Werk heißt ganz unprätentiös „Das Klima-Buch“. Greta Thunberg hat darin eine Auswahl an Texten von über 100 führenden Klimafachleuten zusammengestellt.
Neben renommierten Forschenden wie Johan Rockström, Michael Mann, Katherine Hayhoe, Friedrike Otto, Stefan Rahmstorf, Saleemul Huq und Carlos Nobre finden sich hier auch Koryphäen wie Thomas Piketty, Tedros Adhanom Ghebreyesus, Naomi Klein und Amitav Ghosh, so der S. Fischer-Verlag.