Frauen leben immer länger als Männer? So einfach ist es nicht
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Männer sterben global betrachtet durchschnittlich vier Jahre früher als Frauen.
© Quelle: Thomas Warnack/dpa/dpa-tmn
Odense. Frauen leben länger als Männer: Diese seit Langem bestehende Behauptung wird durch eine dänische Studie relativiert. Demnach ist die durchschnittliche Lebenserwartung ein viel zu grobes Maß, das den Blick auf Abweichungen vom Mittelwert verstellt. Tatsächlich würden etwa Männer, die verheiratet sind und einen Hochschulabschluss haben, wahrscheinlich sogar länger leben als Frauen.
In Deutschland lag die durchschnittliche Lebenserwartung 2021 nach Angaben des Statistischen Bundesamts für neugeborene Mädchen bei 83,2 Jahre und für neugeborene Jungen bei 78,2 Jahre. Ein derartiger Unterschied zwischen den Geschlechtern gilt nicht nur für Deutschland. Einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge sterben Männer global betrachtet durchschnittlich vier Jahre früher als Frauen.
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Lebensdauer ist stark vereinfachtes Maß
Als Grund für diese Diskrepanz werden verschiedene Erklärungen genannt: Mal werden genetische Vorteile von Frauen als entscheidend gesehen, dann wieder umwelt- oder verhaltensbedingte Faktoren – etwa dass Männer tendenziell ungesünder leben oder seltener zum Arzt gehen.
Ausgangspunkt solcher Analysen ist gewöhnlich ein Vergleich der Lebenserwartung, also der durchschnittlichen Lebensdauer. Dies sei allerdings ein stark vereinfachtes Maß, schreiben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Süddänischen Universität in Odense im Fachjournal „BMJ Open“. Dieses Maß berücksichtige jedoch Schwankungen der Lebensspannen zwischen den Geschlechtern nicht.
Männer haben eine gute Chance, länger als Frauen zu leben
Um ein umfassenderes Bild zu gewinnen, stützt sich das Team auf einen anderen Ansatz – die sogenannte Überlebensstatistik. Damit untersuchten sie Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei der Sterblichkeit in 199 Ländern über einen Zeitraum von etwa 200 Jahren.
Resultat: „Obwohl die Lebenserwartung von Männern im Allgemeinen niedriger ist als die von Frauen und die Sterberate von Männern in allen Altersgruppen höher ist, haben Männer eine beträchtliche Chance, länger zu leben als Frauen“, schreibt die Gruppe um Marie-Pier Bergeron-Boucher. Sie nennt sogar einige wenige Beispiele für Länder, in denen Männer zeitweilig mit einer Wahrscheinlichkeit von über 50 Prozent älter wurden als Frauen: Island gegen Ende des 20. Jahrhunderts, Jordanien und Iran in den 1950er-Jahren oder Bhutan von 1995 bis 2010.
Doch generell schwankte die Wahrscheinlichkeit, dass Männer länger leben als Frauen, in fast allen untersuchten Jahren und Populationen zwischen 25 und 50 Prozent. Anders ausgedrückt: In den vergangenen 200 Jahren lebten von vier Männern ein bis zwei (25-50 Prozent) länger als Frauen.
Kleine Jungen sterben häufiger als kleine Mädchen
Damit werde zwar noch immer die Mehrheit der Frauen älter als Männer, schreiben die Autoren: „Aber die Minderheit, die das nicht tut, ist nicht klein.“ Bei Weitem nicht alle Männer lebten kürzer als Frauen, was bei reinen Vergleichen der Lebenserwartung übersehen werde. Der Unterschied der Lebenserwartung beruhe auch darauf, dass ein kleiner Teil der männlichen Bevölkerung vielerorts nur sehr kurz lebe. „Zum Beispiel sterben in den meisten Ländern mehr kleine Jungen als kleine Mädchen“, heißt es in der Studie.
Tatsächlich zeichnet die Überlebensstatistik ein komplexeres Bild als ein reiner Vergleich der durchschnittlichen Lebenserwartungen. Dass Variationen durch äußere Faktoren bedingt sein können, zeigen Daten aus den USA: Dort lag die Wahrscheinlichkeit, dass Männer länger leben als Frauen, zwischen 2015 und 2019 bei 40 Prozent. Die Analyse zeigt jedoch, dass Männer mit einem niedrigeren Bildungsniveau und unverheiratete Männer eine besonders geringe Aussicht hatten, eine Frau zu überleben. Verheiratete Männer und solche mit einem Universitätsabschluss tendierten hingegen dazu, länger zu leben als Frauen, die unverheiratet waren oder keinen Highschool-Abschluss hatten.
Lebensspanne ergibt sich aus individueller Kombination
Die Länge der Lebensspanne sei Ergebnis einer individuellen komplexen Kombination aus biologischen, Umwelt- und Verhaltensfaktoren, betont das Team. „Die Tatsache, ob man männlich oder weiblich ist, wirkt sich zwar auf die Lebenserwartung aus, ist aber nicht die einzige Determinante, die zu Ungleichheiten beiträgt.“
Umso wichtiger sei ein differenzierter Blick: „Diese Ergebnisse widerlegen den allgemeinen Eindruck, dass „Männer nicht so lange leben wie Frauen“, und offenbaren eine nuanciertere Ungleichheit in der Lebenserwartung von Frauen und Männern.“ Die pauschale Behauptung, dass die Hälfte der Bevölkerung durch geschlechtsspezifische Unterschiede in der Lebenserwartung benachteiligt sei, führe in die Irre: „Die Ungleichheiten sind vielschichtiger.“ Bemühungen zur Verringerung von Unterschieden in der Lebensspanne müssten daher auf verschiedene Faktoren, Ursachen und Altersgruppen abzielen.
RND/dpa
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