Feministin Liv Strömquist: „Männer sollten öfter weinen und Frauen wütender sein“

Eine gewisse Wut ist in der feministischen Bewegung unumgänglich – weil es Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen eben gibt. (Symbolbild)

Eine gewisse Wut ist in der feministischen Bewegung unumgänglich – weil es Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen eben gibt. (Symbolbild)

RND: Frau Strömquist, der rechtskonservative amerikanische Radiomoderator Rush Limbaugh hat den Begriff „Feminazi“ für Feministinnen geprägt. Sind Sie ein „Feminazi“?

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Strömquist (lacht): Nein, das bin ich nicht.

Gut, das ist auch ein schwieriger Begriff. Aber Feministinnen wird gern Wut und Verbissenheit nachgesagt. Sind Sie wütend?

Eine gewisse Wut ist in der feministischen Bewegung unumgänglich. Weil es eben Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen gibt – und das macht Frauen natürlich wütend. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass Wut die Ursache des Feminismus ist. Und sie kann positiv genutzt werden, weil sie Energie gibt.

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Sollten mehr Frauen wütend sein?

Ich habe mal eine psychologische Studie gelesen, die besagte, dass Frauen oft wütend sind, aber stattdessen so tun, als seien sie traurig. Also weinen sie, wenn sie wütend sind. Bei Männern ist es genau andersherum. Sie drücken ihre Traurigkeit oft in Wut aus, werden aggressiv und bekommen einen Wutausbruch, wenn sie eigentlich weinen sollten. Ich finde, Männer sollten öfter weinen und Frauen wütender sein.

In Ihrem Comicband „Der Ursprung der Welt“ zeigen Sie ein authentisches Bild des weiblichen Körpers und der Menstruation. Ist das heutzutage überhaupt noch ein Tabubruch?

Ja. Das habe ich gemerkt, als ich Comics von Frauen mit Blutflecken im Schritt in der Stockholmer U-Bahn ausgestellt habe. Solche Bilder sieht man normalerweise ja nicht. Die Leute haben darauf unterschiedlich reagiert, manche sehr negativ. Die Plakate wurden einige Male zerstört und mit Farbe beworfen. Die rechtspopulistische Partei in Schweden wollte die Bilder sogar verbieten.

Und das im progressiven Schweden.

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Schweden ist schon sehr fortschrittlich in vielen Dingen. Es gab zum Beispiel eine Reform zur Kinderbetreuung, jetzt nehmen immer mehr Väter Elternzeit. Dennoch gibt es Themen, bei denen wir uns immer noch weiter nach vorn bewegen müssen – auch in Schweden.

Themen wie Menstruation?

Ich sage ja nicht, dass wir Menstruationsblut immer und überall zeigen sollten. Aber als Gesellschaft sollten wir analysieren und diskutieren, warum wir ein Tabu überhaupt haben. Es gibt viele Tabus, nicht alle sind schlecht. Aber speziell dieses trifft Frauen sehr hart – und Männer nicht.

Wie trifft es die Frauen?

Das Tabu hält Frauen zurück, etwas zu sagen, wenn sie Probleme haben. Wenn sie etwa prämenstruale Krämpfe haben oder einen Tampon brauchen. Oder aber, sie hinterlassen einen Blutfleck auf dem Laken oder in der Hose. Dafür schämen sie sich. Das Tabu beeinflusst, wie Frauen sich mit ihrem Körper fühlen.

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Wieso gibt es dieses Tabu denn? Es ist doch nur ein bisschen Blut.

Das hängt damit zusammen, dass dieses Blut aus dem weiblichen Geschlechtsorgan kommt. Und das ist sehr von kulturellen Tabus umgeben. Es interessiert ja niemanden, wenn man aus der Nase blutet. Es hängt also mit Sexualität und den historischen Vorstellungen des weiblichen Körpers zusammen. Das zeigt sich auch beim Thema Geburt. Die vaginale Geburt und die verschiedenen Verletzungen, die Frauen dadurch bekommen können, sind tabuisiert. Daher reden viele Frauen nicht offen über solche Verletzungen. Das beeinträchtigt das Leben von Frauen. Und es kommt daher, dass Männer immer mehr Macht in der Gesellschaft hatten und entschieden haben: Das ist schmutzig, und daher reden wir einfach niemals darüber.

Also sind männliche Genitalien weniger tabuisiert?

Absolut. Es gibt schließlich den Ausdruck, dass jemand eine Pussy ist. Das ist etwas Negatives, dann ist er schwach. Aber wenn jemand Eier hat, ist er mächtig und stark und kann für sich selbst einstehen. Das männliche Geschlechtsteil ist sehr positiv konnotiert – und viel sichtbarer in der Kultur. Und so einfach zu zeichnen. Man sieht immer einen gemalten Penis, wenn man eine öffentliche Toilette betritt. Es ist so einfach, einen Penis zu malen.

Aber sind Vaginas nicht genauso einfach zu malen?

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Trotzdem ist der Penis einfach sichtbarer in der Gesellschaft. Und er ist etwas, worüber man Witze machen kann – zum Beispiel über die kleinen Pullermänner bei kleinen Jungs. Bei der Pussy gibt es das nicht. Es ist schwer, überhaupt ein gutes Wort dafür zu finden.

Nun gibt es diese Tabus heute immer noch trotz der Arbeit vieler Feministinnen der vergangenen Jahrzehnte – und auch Mythen, etwa wie der weibliche Orgasmus aussieht. Wie werden wir diese Tabus und Mythen los?

Wissen ist sehr wichtig, auch das Wissen um die historischen Zusammenhänge. Als ich mit der Recherche für „Der Ursprung der Welt“ anfing, wusste ich noch sehr wenig darüber. Klar, ich hatte das Grundwissen aus dem Biologieunterricht, aber kein Verständnis für die kulturelle Situation. In manchen Ländern in Afrika müssen Mädchen zum Beispiel mit zwölf oder 13 die Schule beenden, weil es keine Hygieneartikel gibt und sie nicht einfach zur Schule gehen und alles vollbluten können. Das Wissen darum ist wichtig. Und mir persönlich hat es viel Kraft gegeben, diese Fakten zu kennen.

Mal abgesehen von den Genitalien besteht ein genereller Unterschied darin, wie die Körper von Männern und Frauen betrachtet werden. In einigen japanischen Unternehmen dürfen die Mitarbeiterinnen an der Rezeption keine Brille tragen – weil das angeblich nicht hübsch genug wäre.

So etwas ist schockierend. Aber es stimmt leider: Die Körper von Frauen und Männern werden unterschiedlich angesehen – und dadurch können sich Männer anders verhalten als Frauen.

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Andererseits: Wer sich in den sozialen Medien umschaut, sieht viele junge Frauen, die sich freiwillig sehr stereotyp präsentieren als Frauen, die schön sind und sonst nichts. Warum geben sich so viele Frauen damit zufrieden anstatt aus dem Muster auszubrechen? Heute ist es doch einfacher denn je.

Es gibt viele Frauen, die sich in den sozialen Medien sehr traditionell weiblich darstellen. Andererseits zeigen immer mehr Frauen, dass der weibliche Körper nicht dünn sein muss, um attraktiv zu sein. Es gibt also eine Bewegung von Frauen im Internet, die andere, inklusive Ansichten ausdrücken. Aber auch bei denen, die sich sehr stereotyp zeigen, gibt es einen interessanten Aspekt: Wenigstens machen sie selbst die Fotos von sich. Und sie können Geld damit verdienen, das sie für sich selbst behalten.

Stimmt, das war früher anders.

Wenn man mal die Situation der Kardashians mit der von Marilyn Monroe vergleicht, dann ist die Situation der Kardashian-Schwestern viel besser. Es gibt da einen Fortschritt. Aber natürlich ist es auch lustig. Als ich in den Neunzigerjahren Feministin wurde, gab es große Proteste von Feministinnen gegen den „Playboy“, weil dort diese dreckigen, alten Männer Fotos von jungen, schönen Frauen gemacht und damit viel Geld verdient haben. Heute machen Frauen zwar genau dieselben Fotos, aber sie machen sie selbst und sie verdienen selbst Geld damit.

Wo Sie gerade schon von dreckigen, alten Männern sprachen: In Ihrem jüngsten Buch „I’m Every Woman“ listen Sie die unsäglichsten Liebhaber der Weltgeschichte auf – von Marx über Picasso und Einstein bis Elvis. Viele Menschen verehren diese Männer als Helden. Wieso sehen Sie das anders?

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Erst einmal sage ich gar nichts über die Arbeit dieser Männer. Tatsächlich bin ich ein großer Fan von Marx und Picasso. Aber ich wollte zeigen, dass all diese genialen Männer von Frauen umgeben waren, die sich wirklich für diese Männer geopfert haben. Die Frauen haben diesen Männern geholfen und sie mit Liebe und Zuneigung umsorgt. Andersherum sieht man es nicht so oft, dass sich ein junger Mann aufopferungsvoll um eine 50-jährige alkoholkranke Künstlerin für den Rest ihres Lebens kümmert, nur weil er denkt, ihre Kunst wäre so wichtig. Diese Beispiele gibt es in der Geschichte einfach nicht. Diese Ungleichheit will ich darstellen. Außerdem hatten wir früher nicht viele weibliche Künstlerinnen. Es gibt eine richtige Struktur, einen Kult um die männliche Genialität.

Ein wenig überraschend ist, dass Musiker Sting es auf Ihre Liste geschafft hat. Sie beziehen sich auf den Song „Every Breath You Take“ seiner Band The Police, in dem es um einen Stalker geht. Reicht das als Grund? Man muss schließlich zwischen dem Sänger und dem lyrischen Ich unterscheiden.

Natürlich muss man das. Aber der Punkt dieser Liste ist, dass sie witzig sein soll. Natürlich ist es nicht die Liste der tatsächlich schlimmsten Liebhaber aller Zeiten. Dafür hätten wir doch noch viel bessere Beispiele wie Heinrich VIII. Ich habe extra Männer ausgewählt, die jeder liebt und für gute Menschen hält. Ich fand es lustig, sie zu bewerten – aber eben nicht anhand ihrer Arbeit, sondern anhand der Frage: Wären Sie ein guter Partner? Bei Sting ist es außerdem lustig, sich den Song mal genauer anzusehen. Viele Menschen denken, „Every Breath You Take“ wäre ein Liebeslied.

Zur Person

Liv Strömquist wurde 1978 im südschwedischen Lund geboren. Sie hat Politikwissenschaften studiert und zeichnet regelmäßig für unterschiedliche schwedische Magazine und Zeitungen, darunter „Dagens Nyheter“. In ihren Comics thematisiert sie soziale Fragen, besonders zu den Themen Feminismus und Geschlechtergerechtigkeit. Drei ihrer Werke sind bisher auf Deutsch erschienen: „Der Ursprung der Welt“, „Der Ursprung der Liebe“ und „I’m Every Woman“. Ihr neues Buch „Ich fühl’s nicht“ (Avant) erscheint im März 2020 auf Deutsch.

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