Ewigkeitschemikalien: Was sind PFAS – und warum sollen sie verboten werden?
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Die Stoffe finden sich in Alltagsgegenständen wie Anoraks, Pfannen und Kosmetik.
© Quelle: Franziska Gabbert/dpa-tmn
Berlin. Es ist ein bislang einmaliger Vorstoß: In der EU soll die Chemikaliengruppe PFAS mit geschätzt mehr als 10.000 einzelnen Substanzen weitgehend verboten werden. Die Stoffe finden sich in Alltagsgegenständen wie Anoraks, Pfannen und Kosmetik. Sie sind aber auch Teil von Industrieprozessen und technischen Anwendungen.
Das extrem breite Verbot ist auch deshalb besonders, weil nur für relativ wenige der Substanzen tatsächlich direkt nachgewiesen ist, dass sie eine Gefahr darstellen. Wegen der enormen Vielfalt an Verbindungen ist ein Großteil der Stoffe bislang noch gar nicht untersucht. Bei dem Verbot handelt es sich also um eine Art Vorsichtsmaßnahme. Der Gedanke dabei: Wenn einige der Substanzen nachweislich schädlich sind, könnten es viele andere, bislang nicht untersuchte Vertreter der Stoffgruppe auch sein.
Das grundlegende Verbot sei notwendig für den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt, wo sich die extrem langlebigen Chemikalien immer weiter anreichern, sagen die Initiatoren. Die Industrie hält den Schritt hingegen für unverhältnismäßig.
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Was sind PFAS?
Bei dem geplanten Verbot geht es um die Stoffgruppe der sogenannten per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS). Diese Chemikalien kommen nicht natürlich in der Umwelt vor, sie sind also allesamt künstlich hergestellt. Die PFAS (gesprochen: Pifas) haben – grob gesagt – gemeinsam, dass sie auf molekularer Ebene aus mehr oder weniger langen Kohlenstoffketten bestehen (darauf bezieht sich die Silbe Alkyl), bei denen Wasserstoffatome ganz (per-) oder teilweise (poly-) durch Fluoratome ersetzt sind (-fluoriert).
PFAS werden auch als Ewigkeitschemikalien bezeichnet, weil sie sich in der Umwelt anreichern und nur sehr langsam abgebaut werden. „Je nach Stoff überdauern sie mehrere Jahrzehnte bis Jahrhunderte in der Umwelt“, sagte Wiebke Drost, PFAS-Expertin beim Umweltbundesamt (UBA), der Deutschen Presse-Agentur. Das UBA ist an dem Verbotsvorstoß maßgeblich beteiligt.
Welche Eigenschaften haben PFAS?
Aufgrund ihrer einzigartigen Merkmale werden PFAS heute in einer Vielzahl vor allem industrieller Produkte verwendet, wie der Bundesverband der Deutschen Industrie in einem Positionspapier aus dem Jahr 2021 schreibt. Die Stoffe seien chemisch stabil, auch große Hitze mache ihnen nichts aus. Zudem haben sie eine sehr niedrige Oberflächenspannung und sind dadurch sowohl öl- als auch wasserabweisend. Ferner gelten sie als sehr belastbar und haben eine hohe Abrieb- und Verschleißbeständigkeit.
Wo werden PFAS eingesetzt?
PFAS haben einen sehr breiten Anwendungsbereich. Sie kommen in Alltagsprodukten wie Kosmetika, Regenjacken und Pfannenbeschichtungen vor. Aber auch in industriellen Prozessen spielen sie eine große Rolle. Der BDI nennt zwölf Branchen, die von einem Verbot betroffen wären. Darunter sind die Halbleiterfertigung, die Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien und Brennstoffzellen, die Automobil- und Elektroindustrie, die Textilindustrie sowie der Maschinen- und Anlagenbau.
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Wie gelangen PFAS in die Umwelt?
PFAS können laut UBA beispielsweise durch die Abluft von Industriebetrieben in Böden und Gewässer kommen. Da PFAS auch in Alltagsprodukten enthalten sind, treten sie auch in der Raumluft auf. Über Kläranlagen finden einige PFAS ihren Weg in Flüsse, Seen und Meere. Über die Luft und über das Wasser der Flüsse und Ozeane gelangen sie in entlegene Gebiete. So findet man die Stoffe beispielsweise bereits an den Polen.
Im vergangenen Jahr ergab eine Studie, dass PFAS selbst in den entlegensten Weltregionen im Regenwasser nachweisbar sind – und zwar in Konzentrationen, die die Schwellenwerte der US-Umweltbehörde um ein Vielfaches überschreiten. „Mit der Aufnahme von PFAS aus verunreinigten Böden und Wasser in Pflanzen und der Anreicherung in Fischen werden diese Stoffe auch in die menschliche Nahrungskette aufgenommen“, schreibt das UBA. Menschen können PFAS zudem über die Luft und das Trinkwasser aufnehmen.
Wenn wir darauf warten, bis die Toxizität für jeden einzelnen Stoff nachgewiesen ist, kann es zu spät sein.
Wiebke Drost,
PFAS-Expertin beim Umweltbundesamt
Wie gefährlich sind PFAS?
Einige PFAS sind bereits weitgehend verboten, weil sie als gefährlich gelten. „Von den relativ wenigen gut untersuchten PFAS gelten die meisten als mittel- bis hochtoxisch, vor allem für die Entwicklung von Kindern“, schreibt die Europäische Umweltagentur (EEA). Insgesamt sind rund ein Dutzend Einzelstoffe oder kleine Stoffgruppen reguliert. Die bekanntesten davon sind Perfluoroktansäure (PFOA) und Perfluoroktansulfonsäure (PFOS).
Studien ließen darauf schließen, dass PFOS und PFOA unter anderem eine verringerte Antikörperantwort auf Impfungen bewirken können, schreibt das UBA auf seiner Website. Zudem gebe es „eindeutige Hinweise“ auf einen Zusammenhang mit erhöhten Serumspiegeln von Cholesterin. Ein erhöhter Cholesterinspiegel gilt als Risikofaktor für Herzinfarkt und Schlaganfall. Laut EEA werden PFOA und PFOS auch mit Leberschäden sowie Nieren- und Hodenkrebs in Verbindung gebracht. Auch negative Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen werden angenommen.
Von den allermeisten PFAS weiß man nicht, wie sie auf Mensch und Umwelt wirken. Viele Fachleute gehen aber davon aus, dass zumindest ein Teil davon negative Eigenschaften hat. „Es gibt Hinweise, dass auch andere PFAS gefährlich sind“, sagt UBA-Expertin Drost. Sie sieht den Bedarf, schnell zu handeln. „Wenn wir darauf warten, bis die Toxizität für jeden einzelnen Stoff nachgewiesen ist, kann es zu spät sein.“ Schließlich reicherten sich die PFAS in der Umwelt an und seien dort nicht oder kaum mehr herauszubekommen.
Warum sollen alle PFAS verboten werden?
Ein Problem bislang: Wird eine einzelne Substanz verboten, kann die Industrie sie durch einen ähnlichen, noch nicht regulierten Stoff ersetzen. Dieser kann aber genauso gefährlich oder gar gefährlicher sein als die ursprüngliche Substanz. Fachleute sprechen dann von Regrettable Substitution (auf Deutsch in etwa: bedauerlicher Ersatz).
Deshalb haben Behörden aus Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, Norwegen und Schweden vorgeschlagen, die Herstellung, die Verwendung und das Inverkehrbringen von PFAS fast komplett zu verbieten. Befürwortern wie Gegnern zufolge wäre ein solches Verbot ein bislang einmaliger Vorgang, weil Tausende Einzelstoffe und alle ihre Anwendungen betroffen wären. Aus Deutschland sind die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und das UBA beteiligt.
Der Vorschlag sehe je nach Anwendung Übergangsfristen von 1,5 bis 15,5 Jahren vor, schreibt die BAuA. Für einige wenige Bereiche seien unbegrenzte Ausnahmen vorgesehen. „Dies betrifft zum Beispiel Wirkstoffe in Pflanzenschutzmitteln, Biozidprodukten und Human- sowie Tierarzneimitteln.“
Welche Kritik kommt von der Industrie?
Die Industrie würde ein Totalverbot vor große Herausforderungen stellen. „Entspannt ist momentan wirklich niemand“, sagte Mirjam Merz, Expertin für Chemikalienpolitik und Gefahrstoffrecht beim BDI, der dpa. Für manche Technologien seien PFAS unersetzlich. So brauche man für viele Industrieprozesse etwa extrem stabile Anlagenteile wie zum Beispiel Dichtungen. Auch bei Halbleitern, Lithium-Ionen-Batterien oder Brennstoffzellen gebe es derzeit keine Alternativen. „Es scheint wenig Verständnis für die Probleme der Industrie zu geben“, beklagt Merz. Zudem sei unklar, was ein Totalverbot für Verbraucherinnen und Verbraucher heiße, schließlich seien PFAS in jedem Handy und jedem Auto unverzichtbar.
Dabei sehe der BDI durchaus, dass einzelne Substanzen toxisch seien und reguliert werden müssen. „Es ist richtig, zu reagieren, wo es ein Risiko gibt“, sagt Merz. Ein komplettes Verbot geht aus BDI-Sicht aber zu weit, da dann auch viele Anwendungen untersagt wären, von denen gar keine Gefahr ausgehe. „Als Kompromissvorschlag könnte diskutiert werden, kleinere Stoffgruppen von PFAS zu bilden und deren Toxizität aufgrund eines typischen Vertreters zu testen. Auf dieser Grundlage könnte dann diese Untergruppe reguliert werden – oder auch nicht.“
Was könnte im schlimmsten Fall passieren? „Ich gehe davon aus, dass die Auswirkungen der Beschränkung für viele Industriezweige erheblich wären“, sagt Merz. Derzeit werde in den Branchen noch geprüft, welche Bedeutung ein breites Verbot der PFAS im Detail hätte. „Die Unternehmen wissen teils selbst noch nicht, inwieweit sie betroffen sind“, sagt Merz. Bei zugelieferten Produkten stehe möglicherweise gar nicht drauf, ob oder welche PFAS enthalten sind. „Das macht es für Unternehmen besonders schwierig.“
Wie geht es jetzt weiter?
Erfüllt der Antrag alle Formalitäten, sollen am 22. März öffentliche Konsultationen beginnen. Für diesen Prozess sind sechs Monate eingeplant. Dabei können sich beispielsweise Industrievertreter für Ausnahmen starkmachen. „Der BDI ruft seine Unternehmen auf, daran teilzunehmen“, sagt Merz. UBA-Vertreterin Drost hält es für „schwer abschätzbar“, ob die Vorschläge für ein Totalverbot möglicherweise noch aufgeweicht werden. Bei den Übergangsfristen könne es sowohl laxer als auch strenger werden, sagt sie.
Mithilfe der Konsultationen machen sich zwei verschiedene Gremien der Europäischen Chemikalienagentur ein Bild und formulieren Empfehlungen. Der Ausschuss für Risikobeurteilung (RAC) hat dabei mehr die Risiken für Mensch und Natur im Blick, der Ausschuss für sozioökonomische Analyse (SEAC) eher Nutzen und Kosten für die Gesellschaft. Die Entscheidung trifft am Ende die Europäische Kommission gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten. Mit einem Entschluss kann laut BAuA 2025 gerechnet werden.