Das Ende einer „Traumreise“: Matthias Maurer und sein „kosmischer Kuss“
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Esa-Astronaut Matthias Maurer genießt den Blick aus der Cupola. Bald wird er die Erde wieder vom Boden aus betrachten können.
© Quelle: ESA/NASA-K.Barron
Es ist ein Abenteuer, das Esa-Astronaut Matthias Maurer wohl sein Leben lang nicht mehr vergessen wird. Knapp sechs Monate lebte und forschte er auf der Internationalen Raumstation ISS, mehr als 400 Kilometer entfernt von Freundinnen und Freunden sowie Familie. Rund 2800-mal umrundete er währenddessen mit einer Geschwindigkeit von 28.000 Stundenkilometern die Erde, erlebte 16-mal am Tag Sonnenauf- und Sonnenuntergänge, feierte in der Schwerelosigkeit Geburtstage, Weihnachten, Silvester und Ostern. Wie muss es sich für ihn anfühlen, jetzt wieder auf den Planeten zurückzukehren, den er monatelang von oben durch die millimeterdicken Scheiben des Beobachtungsturms der ISS, der Cupola, beobachtet hat?
„Ich freue mich auf zu Hause, werde aber auch ein bisschen wehmütig, dass es bald vorbei ist“, schrieb Maurer noch vor wenigen Tagen auf Twitter. Mittlerweile befindet sich der 52-Jährige bereits auf dem Rückflug. Geplant ist, dass die Besatzung der Crew-3-Mission – zu der neben Maurer auch die US-amerikanischen Astronauten Raja Chari, Thomas Marshburn und Kayla Barron gehören – am frühen Freitagmorgen auf der Erde eintrifft. Am Donnerstag hatte die Crew-Dragon-Kapsel „Endurance“ des privaten Raumfahrtunternehmens SpaceX, die die vier Raumfahrerinnen und Raumfahrer transportiert, erfolgreich von der ISS abgedockt.
Für Maurer war es eine „Traumreise“
Die weiteren Forschungsarbeiten auf der Raumstation übernehmen jetzt die vier Mitglieder der Crew-4-Mission, darunter die italienische Raumfahrerin Samantha Cristoforetti, die Maurer Ende April im All willkommen hieß. „Ich bin überzeugt, dass sie die hervorragende Arbeit fortsetzen wird, die von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern am Boden, aber auch hier oben vorbereitet wurde“, sagte er am Montag bei einer Live-Schalte über seine Esa-Kollegin. Maurer selbst war während seines Aufenthalts auf der ISS an mehr als 100 Experimenten beteiligt gewesen, davon 34 aus Deutschland. „Ich hoffe, dass wir einige sehr gute Resultate gebracht haben.“
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Die Internationale Raumstation ISS war sechs Monate lang das Zuhause von Matthias Maurer.
© Quelle: dpa
Doch seine Zeit in der Weltraum-WG war für den deutschen Astronauten mehr als nur eine Forschungsreise. Seine Mission mit dem Namen „Cosmic Kiss“ sollte die Faszination des Menschen für das Weltall widerspiegeln und sie gleichzeitig daran erinnern, wie kostbar und schützenswert die Erde ist. „Ich möchte die Menschen auf diese Traumreise mitnehmen“, hatte er kurz vor seinem Abflug am 11. November vergangenen Jahres – der sich wegen schlechter Wetterbedingungen, einem erkrankten Crewmitglied und dem Rückholflug anderer Astronautinnen und Astronauten mehrmals verzögert hatte – im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erklärt.
Ob ihm das gelungen ist? Eindrucksvolle Ereignisse hat es in den vergangenen sechs Monaten auf der ISS auf jeden Fall gegeben. Mehrfach musste die Raumstation beispielsweise Trümmerteilen im All ausweichen und die Besatzung in den angedockten Raumkapseln Schutz suchen. Anfang April konnten Maurer und seine Kolleginnen und Kollegen wiederum die Crew der Ax-1-Mission, der ersten privaten Raumfahrtmission der Firma Axiom Space, an Bord begrüßen.
Esa-Astronaut absolviert Weltraumspaziergang
Alles hielt der 52-jährige Esa-Astronaut auf seinem Twitter-Account fest. Der Kurznachrichtendienst wurde zu seiner Verbindungsbrücke zur Erde. Dort berichtete er zudem über seine zahlreichen Experimente, gab Einblick in seinen Alltag in der Schwerelosigkeit und teilte Fotos von Städten und Ländern aus der Vogelperspektive. Und auch ein persönliches Highlight von Maurer ist auf Twitter archiviert: sein Weltraumspaziergang.
Es war einer seiner großen Träume, über den er zuvor im RND-Interview gesprochen hatte: einmal die ISS verlassen und schwerelos einen Außeneinsatz absolvieren. Dafür hatte er vor seinem Abflug intensiv an einem Nachbau eines Moduls der Raumstation im überdimensionalen Swimmingpool des Nasa Johnson Space Centers in Houston (Texas) trainiert. Am 23. März war es schließlich soweit: Zusammen mit seinem US-amerikanischen Kollegen Raja Chari führte Maurer fast siebenstündige Wartungsarbeiten an der ISS durch – die am Ende ereignisreicher verliefen als geplant. Denn im Helm des 52-Jährigen wurden nach seinem Außeneinsatz geringe Mengen Wasser festgestellt, was sich später glücklicherweise als gefahrlos herausstellte.
Krieg überschattet Maurers Raumfahrtmission
Am Ende war Maurers Aufenthalt im All eben von Höhen und Tiefen geprägt, von Glücksgefühlen und Euphorie, aber auch von Besorgnis, Corona und vor allem Krieg. Nichts dürfte die Mission „Cosmic Kiss“, die für friedliche Zusammenarbeit im Weltraum und auf der Erde steht, so überschattet haben, wie der russische Angriff auf die Ukraine.
Auch auf der ISS machte sich der Konflikt bemerkbar. Die Raumstation wurde zum politischen Spielball: Die russische Raumfahrtbehörde Roskosmos drohte eine überstürzte Aufkündigung der internationalen Zusammenarbeit an der Raumstation an. Wenn sich die Amerikanerinnen und Amerikaner weigerten, mit Russland zu kooperieren, „wer wird dann die ISS vor einem möglicherweise unkontrollierten Absteigen aus der Umlaufbahn und einem Absturz auf amerikanisches oder europäisches Territorium bewahren?“, sagte etwa Roskosmos-Chef Dmitri Rogosin Ende Februar im Nachrichtenkanal Telegram.
Maurer träumt von Flug zum Mond
Die russische Weltraumbehörde hatte Mitte März schließlich die Kosmonauten Oleg Artemjew, Denis Matwejew und Sergej Korssakow zur Raumstation geschickt. Esa-Astronaut Maurer war dabei gewesen, als die drei Männer in einer Live-Schalte zur Erde in auffälligen blau-gelben Raumanzügen, den Farben der ukrainischen Flagge, über ihre Ankunft berichtet hatten. Ob die Farbwahl nur Zufall gewesen ist oder doch eine Sympathiebekundung für die Ukraine und ein Statement für ein friedliches Miteinander, ist nach wie vor umstritten.
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In diesem von Roskosmos zur Verfügung gestellten Video sind die russischen Kosmonauten Sergej Korsakow (von links), Oleg Artemjew und Denis Matwejew während einer Begrüßungszeremonie nach ihrer Ankunft auf der Internationalen Raumstation zu sehen.
© Quelle: Uncredited/Roscosmos/AP/dpa
Eine Antwort liefert auch das Twitter-Tagebuch von Matthias Maurer nicht. Dort bleibt der Krieg gänzlich unerwähnt. Bei seiner letzten Live-Schalte am Montag fand das Thema dann aber doch kurz Erwähnung. Auf die Frage, was sein größter Wunsch sei, antwortete der gebürtige Saarländer: Er hoffe, dass die politischen Entscheidungsträger auf der Erde „unser wunderschönes Europa, unseren wundervollen Planeten Erde wieder zu einem friedlichen Platz machen, wo die Menschen zum Nutzen der gesamten Menschheit zusammenarbeiten“.
Ein großer Wunsch – aber nicht der einzige, den er hat. Mit der Weltraummission zur ISS konnte er sich zumindest zwei große Träume bereits erfüllen: ins All fliegen und mindestens einmal die Erde umrunden, sowie einen Weltraumspaziergang machen. Übrig auf seinem Wunschzettel ist noch ein Flug zum Mond. Er wäre der erste deutsche und europäische Astronaut auf dem Erdtrabanten. Wird das vielleicht sein nächstes unvergessliches Abenteuer?
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