Erdbeben in Haiti: Laut Experten drohen jetzt Krankheiten „im hohen Maße“
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Die Zerstörung der Kanalisation, extreme Armut und eine untätige Regierung lassen das Risiko für Epidemien in Haiti steigen.
© Quelle: Joseph Odelyn/AP/dpa
Hannover. Ein Erdbeben mit einer Stärke von 7,2 erschütterte am Samstagnachmittag die Küste Haitis. Die Zahl der Todesopfer ist inzwischen auf 1297 gestiegen, wie der Zivilschutz des Landes am Sonntagabend (Ortszeit) auf Twitter bekannt gab. Das ganze Ausmaß der Zerstörung wird sich wohl erst in den kommenden Tagen zeigen, und es drohen bereits die nächsten möglichen Gefahren: Krankheiten, die sich verbreiten.
Dafür verantwortlich ist vor allem der „Zusammenbruch der ganzen Kanalisation“ nach einem Erdbeben, weiß Andreas Pobielski. Er ist Krankenhaushygieniker der Universitätsmedizin Rostock und Direktor des Instituts für medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene. Der Experte erklärt: „Es ist eines der größten hygienischen Verdienste der Menschheit, dass man Trinkwasser und Abwasser voneinander getrennt hält. Wenn das nicht der Fall ist, hat man all das, was aus dem Darm der Menschen rauskommt, in dem nächsten Menschen wieder drin. Folge sind Durchfallerkrankungen und Hepatitiden.“
Diese und weitere Krankheiten drohen jetzt „im hohen Maße“ in Haiti, warnt der Experte. Denn auch schon vor dem Erdbeben sei das Abwassersystem „katastrophal“ gewesen. Wenn zudem Abwasser auslaufe oder stehen bleibe, ziehe das Ratten und weitere Nagetiere an, die wiederum von Tieren übertragbare Krankheitserreger in der Bevölkerung verbreiteten.
Cholera wird wieder „aufflammen“
Darüber hinaus kämpfe Haiti immer wieder mit Choleraepidemien, und auch aktuell sei das Risiko einer neuen Epidemie hoch: „Jedes Mal, wenn dort etwas passiert, wie das jetzige Erdbeben, flammt die Cholera wieder neu auf. Das zeigt natürlich auch, dass die Cholera die ganze Zeit da ist, nur eben auf einem niedrigen Level. Wenn die Menschen noch enger zusammenrücken, wird die Krankheit für alle sichtbar.“
Bei Cholera brauchte es eine relativ hohe Dosis an Erregern, um sich zu infizieren, wie Pobielski erklärt. Viele Menschen hätten eine gewisse Grundimmunität gegen die Erreger, doch in Katastrophensituationen, wie sie in Haiti herrscht, ist die Verbreitung sehr viel schneller.
Letzte Epidemie 2010 brach nach Erdbeben aus
Die letzte Choleraepidemie begann im Jahr 2010 – zehn Monate nach einem verheerenden Erdbeben. Nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC starben bis 2019 mehr als 10.000 Menschen an der Krankheit, 820.000 infizierten sich. Laut US-Hilfsorganisation PAHO gab es den letzten offiziellen Cholerafall Ende Januar 2019. Damals sei ein fünf Jahre alter Junge positiv getestet worden, der sich kurze Zeit später von der Krankheit erholte.
Generell ist Haiti von etlichen Krankheiten geplagt: „Wahrscheinlich gibt es kaum eine Infektionskrankheit der Tropen- und Subtropen, die dort sowieso vorhanden ist, und jetzt, zumindest kleinepidemisch, aufflammt“, so der Krankenhaushygieniker. Neben der Cholera sei dies vor allem das Denguefieber, eine hochfieberhafte Viruserkrankung.
Eine untätige Regierung
Was Epidemien in Haiti immer wieder antreibt, sind weitere, jahrzehntealte Probleme. Zum einen die enorme Armut im Karibikstaat: „Nur die Reichen können sich Medizin leisten. Für die anderen gibt es einfach keine medizinische Versorgung.“ Die Regierung mache nach Ansicht des Experten zudem auch in normalen Zeiten „nichts“ für die breite – arme – Bevölkerung, „daher lebt diese in einer fortwährenden Katastrophe.“
In Bezug auf Corona-Fallzahlen hält Pobielski jegliche Angabe für „am ehesten Kaffeesatzleserei“. Denn: „Kein Mensch weiß, was Sache ist. Die Masse der Bevölkerung hat keinen Zugang zum Gesundheitssystem, wird nicht untersucht, die öffentlichen Institutionen können bestenfalls spekulieren. Das macht die ganze Sache extrem undurchsichtig.“
Sauberes Wasser und Abstandhalten – nur wie?
Das Wichtigste, um Infektionsrisiken zu minimieren und die Menschen zu schützen, sei sauberes Trinkwasser. Die Keime, mit denen die Haitianer und Haitianerinnen zu kämpfen haben, würden meist durch Kontakte oder Tiere übertragen, daher sei Abstand zu Mensch und Tier wichtig. Doch beides ist nur schwer umsetzbar.
„Sauberes Wasser kostet Geld, und das haben die meisten Menschen nicht.“ Wer noch ein Dach über dem Kopf habe, könne sich glücklich schätzen – viele Menschen leben derzeit allerdings auf der Straße oder in überfüllten Notunterkünften. „Mir können die Menschen in Haiti nur leidtun – es bleibt zu hoffen, dass wenigstens kurzfristig die technische Unterstützung aus dem Ausland hilft“, fasst Pobielski die dramatische Lage für die Betroffenen zusammen.