Energieexperte: Risiko eines GAUs in der Ukraine „15-mal so groß wie in Fukushima“ – dennoch kein Grund zur Sorge
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Saporischschja ist das größte Atomkraftwerk Europas. Im Zuge des Kriegs in der Ukraine ist es unter Beschuss geraten.
© Quelle: Olexander Prokopenko/AP/dpa
Das Risiko einer Reaktorkatastrophe in einem Atomkraftwerk ist im Zuge des Kriegs in der Ukraine mittlerweile deutlich erhöht. Verglichen mit Fukushima, wo es 2011 zu einer Atomkatastrophe kam, sei das Risiko eines sogenannten größten anzunehmenden Unfalls (GAU) aktuell „15-mal so groß“, sagte ARD-Energieexperte Jürgen Döschner im „NDR 2 Update“ am Donnerstag. „Denn hier kommt ja hinzu, dass es nicht eine Naturkatastrophe oder eine ähnliche Verkettung von unglücklichen Umständen ist, sondern es ist eine Ballung von mehreren Risiken – wir haben Krieg“, betonte er.
Noch nie habe es ein derart hohes Risiko in der Welt gegeben, da noch nie Krieg in einem Land mit 15 aktiven Atomreaktoren und einer zu überwachenden Atomruine geführt worden sei.
Atomkraftwerke: Kontakt zu Saporischschja und Tschernobyl verloren
Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hat am Donnerstag den Kontakt zum größten europäischen Atomkraftwerk in der Ukraine, Saporischschja, verloren. In der vergangenen Woche hatten russische Truppen das AKW angegriffen und eingenommen. Der Grund für den Ausfall zur Datenverbindung zu den Überwachungsgeräten sei noch unklar, erklärte IAEA-Chef Rafael Grossi. Einen Tag zuvor hatte die IAEA aufgrund eines Stromausfalls auch den Kontakt zur von russischen Truppen besetzten Atomruine Tschernobyl verloren. Der Verbindungsverlust zu den beiden Atomstandorten sei laut der IAEA besorgniserregend.
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Im Fall von Tschernobyl sieht der Sicherheitsexperte Sven Dokter von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) „keinen Anlass zu größerer Sorge“, wie er am Mittwoch dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mitteilte. Zur Stromversorgung verfüge das frühere Atomkraftwerk über Notstromreserven. Und selbst bei einem kompletten Stromausfall bestehe keine Gefahr, dass radioaktive Stoffe in die Umwelt gelangen. Zum einen verhindere dies der 2018 erbaute Shelter, zum anderen seien die Brennelemente in Tschernobyl, die mit Strom in Wasserbecken gekühlt werden müssen, schon alt. „Deshalb ist die Nachzerfallsleistung so weit abgeklungen, dass sie kaum noch Wärme produzieren und auch ohne Kühlung keinen Schaden nehmen würden“, betonte er.
Fukushima als Warnbeispiel: „Ein aktives Atomkraftwerk braucht unbedingt Strom“
Bei aktiven Atomkraftwerken sieht die Lage schon besorgniserregender aus: Die Brennelemente sind hier frisch und können bei Überhitzung radioaktive Stoffe in die Umwelt freisetzen. Daher ist eine ununterbrochene Stromversorgung wichtig für die Sicherheit von AKW. Jedoch wurden aufgrund der Kämpfe in der Ukraine bereits vor einer Woche Stromkabel beschädigt, die das Kernkraftwerk Saporischschja versorgen. „Die russische Armee greift gezielt die Infrastruktur – insbesondere die Energieinfrastruktur – an, das haben wir mehrfach gesehen. Und das ist natürlich für die Atomkraftwerke in der Ukraine ein gigantisches Risiko“, sagte Döschner.
Döschner nannte dabei mehrere Risiken, die nun die Sicherheit der eingenommenen Atomkraftwerke in der Ukraine gefährden. Beispielsweise arbeiteten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wegen des Kriegs unter extremer Anspannung, was zu Fehlern führen könne. Außerdem könne ein versehentlicher Beschuss die Anlagen oder Stromversorgungsanlagen beschädigen. „Ein aktives Atomkraftwerk, selbst wenn es runtergefahren ist, braucht unbedingt Strom, und wenn der wegfällt, kann es eben zu einer Katastrophe wie in Fukushima kommen“, warnte Döschner. Damals habe ein umgefallener Strommast die Katastrophe ausgelöst – und auch die Notstromaggregate wurden wegen des Tsunamis überschwemmt.
RND/bk