Dürfen wir uns über hohe Preise beklagen, wenn andere Menschen im Krieg sterben?
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Teurer Einkauf: Die Inflationsrate lag im März bei 7,3 Prozent – ein neuer Höchststand seit der Deutschen Wiedervereinigung, heißt es vom Statistischen Bundesamt.
© Quelle: Fabian Sommer/dpa
Herr Heidbrink, das Leben in Deutschland wird gerade teurer. Doch wenn man bedenkt, woran das liegt: Dürfen wir uns dann überhaupt beschweren oder ist es unethisch, wo doch gerade woanders Menschen sterben?
Wir wissen zunächst nicht genau, ob die Preise jetzt durch den Ukraine-Krieg steigen oder ob sie durch die schon vorher existierende Inflation steigen. Das macht die Sache natürlich kompliziert für uns Verbraucher. Wenn wir aber nun davon ausgehen, dass die Preise zum Teil durch den Ukraine-Krieg steigen: Das gibt der Markt vor. Preissteigerungen sind ökonomische Folgen von Knappheiten. Und diese werden jetzt durch den Krieg verstärkt. Wenn man das also bis zum Ursprung zurückverfolgen will, müsste man im Grunde Russland für die Preissteigerungen verantwortlich machen.
Möchte man aber einen moralischen Beitrag für die Ukraine leisten, indem man die Preissteigerung hinnimmt und sich beim Bezahlen das Gefühl verschafft, etwas moralisch Gutes zu tun, dann halte ich das für irreführend. Es ist moralisch nicht sinnvoll, dass wir das Bezahlen der Preise in irgendeiner Weise für uns als ethische Handlung verbuchen. Die Preise sind ökonomisch bedingt. Wenn wir moralisch handeln wollen, dann sollten wir das auf anderen Wegen tun.
Experten warnen vor „höchst unsozialer Inflation“: Auf was sich Verbraucher einstellen müssen
Im Gespräch mit dem RND geben DIW-Chef Marcel Fratzscher und Wirtschaftsweise Veronika Grimm ihre Einschätzungen zur Entwicklung der deutschen Wirtschaft.
© Quelle: RND
Dahinter steckt ja oftmals der Gedanke: „Aber anderen geht es doch schlechter als mir.“ Ist der Gedanke sinnvoll oder löst er eher Schuldgefühle aus?
Ich halte unsere Reaktionen für verständlich, aber wie gesagt nicht für sinnvoll. Wir reagieren erst einmal moralisch auf die Preissteigerung, das ist ganz normal. Wir fragen uns: „Sind wir jetzt verpflichtet, diese höheren Preise aus moralischen Gründen zu zahlen?“ Das ist aber nur dann sinnvoll, wenn wir dadurch etwas moralisch Gutes bewirken. Aber das tun wir nicht, weil die höheren Preise nicht bei den Menschen in der Ukraine ankommen, sondern wir nur auf die Knappheit der Güter am Markt reagieren.
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Ludger Heidbrink ist Professor für praktische Philosophie und Konsumethiker Ludger Heidbrink an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Er forscht zu verschiedenen Bereichen der Philosophie und Ethik – von sozialen bis wirtschaftlichen Fragen. Dabei beschäftigt er sich insbesondere mit Verantwortungstheorien.
© Quelle: CAU Kiel
Es gibt in der Philosophie den sogenannten effektiven Altruismus, der von dem Philosophen Peter Singer mitbegründet wurde. Der effektive Altruismus sagt, wir sollen auf eine nützliche Weise altruistisch, also moralisch wohltätig, sein. Es ist nicht nützlich, höhere Preise zu bezahlen, wenn diese nicht den Ukrainern helfen.
Wir können höchstens unser schlechtes Gewissen beruhigen, indem wir sagen: „Es kostet uns jetzt mehr, aber es geht uns im Vergleich zu den Ukrainern doch viel besser.“ Das hilft uns dabei, dass wir die Preissteigerungen von Benzin, Weizen oder Öl eher runterschlucken und akzeptieren. Das schlechte Gewissen beim Kauf ist verständlich, aber es ist keine moralische Handlung, sondern nur eine moralische Reaktion. Wir tun auf diesem Weg nichts für die Ukrainer, sondern für uns: Wir verschaffen uns damit ein besseres Gewissen.
Als Konsumenten können wir die ukrainische Wirtschaft unterstützen, solange sie noch funktioniert.
Die Preise also hinzunehmen und damit das Gewissen zu erleichtern, ist eine verständliche, aber wenig nützliche moralische Reaktion. Und wie können wir moralisch richtig handeln?
Wir können auf jeden Fall moralisch bessere Handlungen vollziehen, indem wir mehr Geld an professionelle Organisationen spenden und die Ukrainer auf anderem Wege, etwa mit Hilfsgütern, unterstützen. Oder den nach Deutschland geflüchteten Ukrainern mit einer Unterkunft oder Kleidung im Alltag helfen.
Also könnte das ursprünglich schlechte Gewissen dann zu moralisch guten Handlungen führen.
Es könnte uns dazu bringen, zu überlegen, was wir Besseres tun sollten, als nur die höheren Preise zu zahlen. Das bedeutet allerdings nicht, dass wir keine Waren aus der Ukraine mehr kaufen sollten. Es ist ja nicht so, dass die ukrainische Wirtschaft komplett zerstört ist, bestimmte Bereiche funktionieren dort noch. Wir sollten deshalb weiterhin ukrainische Waren, wie Weizen und Sonnenblumenöl, kaufen. Als Konsumenten können wir die ukrainische Wirtschaft unterstützen, solange sie noch funktioniert.
Und wenn wir uns doch mal beschweren: Passiert das dann nicht dennoch aus einer privilegierten Position heraus?
Wenn man sich beschwert, macht man normalerweise jemanden verantwortlich. Wir machen zu Recht Russland für den Ukraine-Krieg verantwortlich. Dann wäre es eigentlich geboten, keine höheren Preise zu bezahlen, weil das zum Teil auch Russland zugutekommt und die russische Wirtschaftskraft stärkt.
Über ein Embargo wird ja seit Längerem diskutiert, also kein Gas und kein Öl aus Russland mehr zu beziehen, um Russland wirtschaftlich zu schädigen. Solche Boykottaktionen sind in der Konsumentenethik sehr weit verbreitet. Russland zu boykottieren, indem wir kein Gas mehr von dort beziehen und die Öleinkäufe einstellen, ist eine andere effektive Möglichkeit, aktiv zu werden. Interessanterweise sind aber laut einer Umfrage 57 Prozent der Deutschen gegen ein solches Embargo. Die meisten wollen das nicht, weil die Gas- und Ölpreise und damit auch die Benzinpreise noch weiter steigen würden. Die Bereitschaft, dafür Geld auszugeben, ist begrenzt.
Viele Menschen sorgen sich also, dass die Preise noch weiter steigen. Wie können diejenigen, die sich die Preissteigerungen kaum noch leisten können, richtig handeln?
Wir können unsere Ernährungsgewohnheiten ändern und die Preissteigerungen, jedenfalls zum Teil, durch veränderte Einkäufe auffangen. Den ärmeren Menschen kann durch staatliche Unterstützungen geholfen werden. Subventionen oder steuerliche Änderungen halte ich nicht für sehr sinnvoll. Eher schon Preiskontrollen und wettbewerbsrechtliche Eingriffe. Das alles hilft aber nur begrenzt. Die Zeit des Wohlstands und des unbegrenzten Konsums ist wohl erst einmal für alle vorüber.