Die Mode des Jahrzehnts: Revivals statt Revolution

Maria Grazia Chiuri machte bei Dior schon mit dem „We should all be feminists“-Shirt Furore. Später folgte der Pullover dazu: „Nein heißt Nein, Nein und nochmals Nein“.

Maria Grazia Chiuri machte bei Dior schon mit dem „We should all be feminists“-Shirt Furore. Später folgte der Pullover dazu: „Nein heißt Nein, Nein und nochmals Nein“.

Selbst die Haute Couture ist nun endlich für alle da. Jedenfalls können alle bei der großen Enthüllung der neuesten Luxuskollektion dabei sein. Der digitale Wandel macht’s möglich. Er hat auch die Modewelt gehörig umgekrempelt.

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Giorgio Armani, dessen Name für unaufdringliche, klassische Eleganz steht, präsentierte 2007 als erster Luxusdesigner seine Frühjahrs- und Sommerschau live im Internet. Die Branche rümpfte die Nase: Haute Couture, die hohe Schneiderkunst für ein elitäres Publikum, sollte nun von den Massen begafft werden können? Ein Platz in der Front Row war plötzlich nicht mehr exklusiv.

Andererseits: Diese Exklusivität war für die Designer längst nicht mehr besonders einträglich. Mit Maßanfertigungen für ein paar Hundert zahlungskräftige Kunden ließ sich kaum noch Geld verdienen. Der bis dahin eher zugeknöpfte Markt musste sich öffnen. Die 2010er-Jahre sind das Jahrzehnt, in dem letztlich alle Luxusdesigner dazu übergingen, das Internet und die sozialen Medien als größtmögliche Werbeplattform für sich zu nutzen.

Das digitale Schaufenster generiert neue, vor allem junge Kunden. Und die Vernetzung von Marken wie Gucci oder Louis Vuitton mit Social-Media-Stars wie den Kardashian-Schwestern, Rapper Kanye West oder Sängerin Rihanna, die sich mit den Kreationen ausstaffieren und fleißig Fotos davon posten, sichert den Status als globale Modemarke. Deren Wert bemisst sich heute vor allem nach der Anzahl ihrer Follower.

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Outfits müssen möglichst instagrammable sein

Doch in dem schnelllebigen Geschäft mit jährlich sechs und mehr Kollektionen, bestehend aus möglichst instagrammablen Outifts, bleiben Imagekratzer nicht aus: In Sachen Nachhaltigkeit hinkt die Luxusmode dem Zeitgeist, dem sie eigentlich immer einen Schritt voraus sein will, hinterher. Durch die Vielzahl der Schauen und den Zwang, die Onlineshops ständig mit Neuheiten zu beliefern, entsteht ein gehöriges Maß an Überproduktion. Aus High Fashion ist High Fast Fashion geworden. Diese Entwicklung geht nicht zuletzt zulasten von Qualität, Handwerk und Kreativität. Um eine schnelle Produktion zu gewährleisten, wird oftmals in Billiglohnländern gefertigt, und man hält sich in Schnitt und Form an Grundformen und bewährte Klassiker. Etwas wirklich Neues kommt dabei nicht heraus.

Die legendäre britische Modekritikerin Suzy Menkes warnte 2015 in der „Vogue“ vor dem mörderischen Tempo in der Modebranche, das außer Kontrolle zu geraten drohe und auf Kosten der kreativen Köpfe gehe: „Wie Vögel in goldenen Käfigen haben die Kreativen in den großen Modehäusern alles – außer Zeit.“ Letztlich entstehe dadurch „nur ein Echoraum von Ideen; nichts wirklich Neues, nur Wiederholung als Erfindung verkleidet“. Diese Entwicklung ist Wirklichkeit geworden. Das vergangene Jahrzehnt hat keine eigene Ästhetik hervorgebracht. Die Ära der großen Couturiers ist vorüber. Mit Hubert de Givenchy und Karl Lagerfeld starben zwei der letzten großen Vertreter der hohen Schneiderkunst.

Starb in diesem Jahr: Der deutsche Modezar Karl Lagerfeld.

Starb in diesem Jahr: Der deutsche Modezar Karl Lagerfeld.

An die Stelle klassischer Modeschöpfer, die sich über Schnittführung und Details noch ausgiebig Gedanken machten, sind Kreativdirektoren getreten, die sich auf Gewinnmaximierung durch Vermarktung konzentrieren – allen voran Alessandro Michele für Gucci, Virgil Abloh für die Herrenlinie von Louis Vuitton und das Label Off-White sowie Demna und Guram Gvasalia für Vetements.

Modische Revolutionen sind in dieser Dekade weitgehend ausgeblieben. Stattdessen gab es jede Menge Revivals. Die Sechziger-, Siebziger-, Achtziger- und Neunzigerjahre feierten ihr Comeback. Es wurde viel kopiert und neu interpretiert: Neonfarben, opulente Muster, Discolook und Power Dressing kehrten zurück, ebenso wie Miniröcke, Maxikleider, Leggins, Bomberjacken, Crop Tops und Radlerhosen, die Bauchtasche und der Rucksack.

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Insgesamt wurde es mit dem hippiehaften Bohemian-Style, der Boyfriend-Jeans und der Mom-Jeans als Nachfolger der Skinny-Version sowie dem Athleisure-Trend mit bürotauglichen Jogger-Pants lässiger und bequemer. Dazu passte das breite Sneakerspektrum in der Schuhmode, das vom smarten Stan-Smith-Klassiker bis zum klobigen Ugly-Modell reichte. Haarmäßig werden vor allem der Hipsterbart bei Männern und der Undone-Dutt bei Frauen in Erinnerung bleiben.

Ein großer Trend wird wohl auch noch die nächsten Jahre anhalten: Die pelzverbrämte Kapuze ist nicht totzukriegen. Ironischerweise sind trotz Klimaerwärmung die Winterjacken immer polarkreistauglicher geworden. Immerhin haben sich immer mehr große Labels wie Prada oder Chanel dazu verpflichtet, keinen Echtpelz mehr zu verarbeiten. Ansonsten sind gesellschaftspolitische Statements aus der Luxusmodebranche eher halbherzig.

Luxusmode bleibt abgekoppelt von der Realität

Nachdem im April 2013 das mehrstöckige Rana-Plaza-Textilfabrikgebäude am Rande von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka einstürzte und mehr als 1100 Menschen unter sich begrub, gerieten die zum Teil katastrophalen Produktionsbedingungen der Textilindustrie, in der zumeist Frauen arbeiten, in die Kritik. Wie Hohn mutete da ein Jahr später Lagerfelds Chanel-Show im Zeichen von Frauenrechten an: Supermodels liefen mit Transparenten über den Laufsteg, auf denen Sätze standen wie „Women’s Rights Are More Than Alright“. Für Frauenrechte einzustehen war plötzlich chic.

2016 machte sich das Maria Grazia Chiuri mit ihrer Debütkollektion für Dior zunutze: Ihr weißes T-Shirt mit der Aufschrift „We Should All Be Feminists“ wurde im Internet gehypt – vor allem, weil sich Stars wie Kendall Jenner und Jennifer Lawrence damit zeigten. Menschen, die sich das Shirt für 550 Euro locker leisten können.

Doch solange Textilarbeiterinnen in Bangladesch oder Bulgarien monatlich so wenig verdienen, dass es nicht zum Leben reicht, bleibt die Luxusmode abgekoppelt von der Realität. Die fabelhafte Phoebe Philo mit ihrer Weniger-ist-mehr-Ästhetik kam im Konzert des Feminismuschors in der Mode noch am überzeugendsten rüber: In ihrer finalen Pre-Fall-Kollektion für Céline 2018 schickte sie die Models ungeschminkt über den Laufsteg und appellierte daran, natürlicher Schönheit mit all ihren Makeln den Vorzug zu geben.

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Zum Ende des Jahrzehnts wird es allerdings noch mal grell und überladen: Die Silvesteroutfits glitzern und funkeln ganz so wie die Abendmode der Zwanzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Damals rüstete man sich damit für den sprichwörtlichen Tanz auf dem Vulkan.

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