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Interview mit Umweltaktivistin Tharaka Sriram

„Die hohe See ist Wilder Westen“: Wer schützt das Meer – und warum ist das so wichtig?

„Ich halte auch nichts von den aktuellen Initiativen, das Plastik aus dem Meer zu holen. Das funktioniert nicht.“

„Ich halte auch nichts von den aktuellen Initiativen, das Plastik aus dem Meer zu holen. Das funktioniert nicht.“

Tharaka Sriram zog einst vom Schwarzwald in die weite Welt, um das Meer zu schützen. Dafür gründete die 37-Jährige ihre eigene Organisation Ocean Education, um über die Bedeutung des Meeres aufzuklären. Zum Meeresschutz kam die Frau, deren Eltern aus Sri Lanka kommen, eher zufällig – als sie bemerkte, dass erst das Meer gerettet werden muss, ehe Frauenrechte und Antirassismus möglich sind.

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Frau Sriram, Ihr Ziel ist es, dass bis 2030 30 Prozent des Meeres geschützt sind. Warum braucht es diese Blue Parks?

Sie sind wichtig, weil das Meer wichtig für uns ist. Wir atmen dank des Meeres. Jeder zweite Atemzug kommt aus dem Meer. In den 80er-Jahren lag der Fokus auf dem Regenwald, und dessen Schutz ist nach wie vor wichtig. Aber wenn es um das Thema Sauerstoff geht und wieso wir überhaupt atmen können, ist der Meeresschutz wichtiger. Es ist das Phytoplankton, das pflanzliche Plankton, das den größten Teil des Sauerstoffs produziert. Trotzdem sind nur ungefähr 7 bis 8 Prozent des Meeres weltweit überhaupt geschützt. Wenn man sich vorstellt, dass das Meer über 70 Prozent unseres Planeten ausmacht, dann ist das sehr wenig, vor allem, wenn man sich dann genauer anschaut, wo diese Gebiete liegen und wie streng der Schutz erfolgt. Diese Schutzgebiete können nicht auffangen, was im restlichen Meer passiert an Verschmutzung, an Versauerung, an Überfischung.

Woran liegt es denn, dass das Meer so wenig geschützt wird? Fühlt sich niemand verantwortlich?

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Es hat vor allem mit wirtschaftlichen Interessen zu tun. Die meisten Umweltorganisationen, Regierungen und auch die meisten Menschen an sich sehen das Meer als so eine Art Grabbeltisch, als etwas, wo sich jeder bedienen kann. Es ist nicht beliebt, sich zu dem Thema Fischerei kritisch zu äußern, weil nach wie vor die Überzeugung vorherrscht, es gebe nachhaltige Fischerei. Die existiert aber nicht. Jede Fischerei, die stattfindet, ist nicht nachhaltig, weil der Mensch nicht in diesen nachhaltigen Kategorien denken kann, vor allem die Wirtschaft, die darauf ausgelegt ist, stetig zu wachsen. Dazu gehört das Thema Blue Economy, bei der man überlegt, wie man das Meer nachhaltig nutzen kann. Leider ist das oft Blue Washing. Die andere Sache ist die politische Zuständigkeit, die hohe See ist so eine Art Wilder Westen.

Reicht es für den Meeresschutz, nur Schutzgebiete auszurufen?

Nein. Die wichtigste Sache ist, dass man aufhört, Meerestiere zu essen. Ich finde es völlig irrwitzig zu denken, dass man das Meer retten kann, indem man angeblich nachhaltige Fischerei promotet. Es ist eine unvorstellbare Zahl an Meerestieren, die jeden Tag, jede Minute gefangen und getötet werden. Aber das Meer ist nicht unerschöpflich. Hierzulande ist es gut machbar, wir haben so viele andere Nahrungsquellen. Wie das in den Communities ist, die an der Küste leben und vielleicht sonst keine anderen Möglichkeiten haben, sich zu ernähren, darauf habe ich noch keine Antwort. Aber in dem Moment, in dem wir diesen Menschen den Fisch wegfangen, berauben wie diese Communities ihrer Nahrungsquelle. Das habe ich auf meinen Reisen gesehen. Du kannst bei dem Klima in tropischen Ländern nicht viel anbauen.

Tharaka Sriram setzt sich für Meeresschutz ein - um Frauenrechte zu stärken und Rassismus zu bekämpfen.

Tharaka Sriram setzt sich für Meeresschutz ein - um Frauenrechte zu stärken und Rassismus zu bekämpfen.

Sie sagen, dass Meeresschutz auch mit Rassismusbekämpfung zu tun hat. Ist das ein Beispiel dafür?

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Ja. Rassismus, Sexismus und Meeresschutz gehören zusammen. 2010 war ich über einen Freiwilligendienst in Bolivien und mir ist ein Artikel von „National Geographic“ in die Hände gefallen, in dem es um die Qualität von Küsten ging. Einige waren dreckig und in keinem guten Zustand, und da waren viele dabei, die ich kannte und als relativ sauber wahrgenommen hatte. Damals habe ich gedacht: „Wie ist es dann wohl an den Plätzen, die total schlecht eingestuft worden sind?“ Es war das erste Mal, dass ich mich damit befasst habe, dass der Zustand des Meeres an den verschiedenen Orten nicht gleich ist.

Die Plastikverschmutzung im Meer ist omnipräsent. Wie könnten Meeresschutzgebiete dabei helfen, Plastik im Meer zu vermeiden?

Das ist ein wirtschaftliches Thema, die Plastiklobby ist sehr stark. Aber ich glaube auch, dass der Mensch sehr bequem ist. Wir sind es gewohnt, mit Plastikprodukten umzugehen. Die Frage ist, ob es zukünftige Generationen schaffen werden, davon wegzukommen. Jede Art von Müll, die Mikroplastik enthält, kann ins Meer gelangen und von den Organismen dort aufgenommen werden. Was das für eine Auswirkung hat, können wir im Moment noch gar nicht abschätzen, weil es diese Entwicklung noch nie gab. Und bei den Auswirkungen der Umweltgifte sind wir schnell beim Thema Frauen: Es gibt Studien, die eine höhere Krebsrate vor allem bei Frauen festgestellt haben. Frauen sind stärker von der Umweltbelastung und von Mikroplastik betroffen, weil Körper von Frauen einen höheren Fettanteil haben als die von Männern, dadurch lagern sich die Umweltgifte besser an.

Die Vorstellung ist bei den Leuten oft, dass da kleine Teilchen im Meer oben schwimmen und man die abschöpfen kann. So funktioniert das leider nicht. Die Teilchen sind zu klein.

Tharaka Sriram

Ist das ein Grund, warum Sie von der Frauenarbeit in den Meeresschutz gewechselt sind?

Ich komme aus der Frauenarbeit, ich habe Spanisch, Politikwissenschaften und Gender Studies studiert. Ich war mit einer Frauenorganisation unterwegs und in Peru habe ich erfahren, dass die Frauen von Fischern von ihren Ehemännern misshandelt werden. Weil die Männer immer weniger Fisch gefangen haben, wurden sie aggressiv – ihren Frauen gegenüber. Das war für mich das erste Mal, dass ich in Berührung gekommen bin mit dem Thema Überfischung und was mit dem Meer passiert.

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Das heißt, mit einem besseren Meeresschutz würden auch Rassismus und Frauenfeindlichkeit bekämpft?

Es hängt alles zusammen. Ich sehe seit Jahren, dass die meisten Machtpositionen auf der Welt von weißen Cis-Männern besetzt sind, ob das in der Wissenschaft ist oder in Organisationen oder in Regierungen. Diese vom Patriarchat geprägten Strukturen verhindern, dass alle mit am Tisch sitzen können, um Entscheidungen zu treffen, um Fragen zu stellen und ihre Meinungen zu vertreten. Je diverser du den Tisch gestaltest, an dem Beschlüsse gefasst werden, je mehr Perspektiven einbezogen werden, desto mehr Lösungen kann man entwickeln. Auch in den Ländern des globalen Südens sind es Eliten, die mitbestimmen, die sind auch meistens männlich, obwohl in der Fischerei beispielsweise die Tätigkeiten wie Ausnehmen, Weiterverarbeitung, Verkauf von Frauen geleistet werden. Aber wer bestimmt über die Fischereiindustrie? Das sind keine Frauen.

Sie haben den Klimawandel angesprochen. Welche Rolle spielt der Meeresschutz dabei?

Das Meer ist eine essentielle CO₂-Senke. Wir haben viele Jahre nichts vom Klimawandel mitbekommen, weil das Meer das ganze CO₂ aufgenommen hat. Wenn das mit dem Klimawandel so weitergeht und immer mehr CO₂ ausgestoßen wird, dann wird der Punkt kommen, an dem das Meer das nicht mehr aufnehmen kann. Das Meer ist jetzt schon erwärmt, es versauert. Und wenn wir so weitermachen, kann das Meer das auch nicht mehr auffangen. Das Meer ist unsere Lebensversicherung, damit wir weiter auf diesem Planeten existieren können.

Wenn wir über Plastik im Meer und Meeresschutz sprechen – wie kann das Problem behoben werden? Brauchen wir eine Art Müllabfuhr im Meer, die regelmäßig aufräumt?

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Es gibt dafür keine Lösung. Ich halte auch nichts von den aktuellen Initiativen, das Plastik aus dem Meer zu holen. Das funktioniert nicht. Man hat inzwischen nachgewiesen, dass Meeresbewohner dort leben, wo viel Plastik ist, die docken quasi an. Generell kann man sich das vorstellen, wie wenn man bei einer Suppe versucht, das Fett oder ein paar winzige Kräuter herauszufischen. Wie will man das denn machen? Viele Leute stellen sich vor, dass da kleine Teilchen im Meer oben schwimmen und dass man die einfach abschöpfen kann. Die Teilchen sind dafür aber zu klein. Das meiste Plastik ist längst auf den Meeresboden abgesunken. Klar, kann man öffentlichkeitswirksam ein paar größere Teile absammeln, wie zum Beispiel Geisternetze oder Flaschen, aber damit ist das Thema Plastik nicht abgeschlossen. Die einzige Lösung ist, den Plastikwasserhahn an Land zuzudrehen.

Keine Meeresbewohner mehr essen ist das eine. Was können wir sonst im Privaten tun? Müssen wir auf Tauchen, Schnorcheln, Bootstouren verzichten?

Es ist ein Frage des Mindsets – ob wir es als Verzicht sehen. Man kann reisen, man kann tauchen. Aber ich bin ein Fan davon zu sagen, nur Luftblasen oder Fußspuren, aber sonst keinen Müll zu hinterlassen. Und man behält seine Hände bei sich. Man fasst keine Meerestiere an, man hängt sich nicht dran und lässt sich von ihnen ziehen. Und man verfolgt sie auch nicht mit der Kamera. Man muss jetzt nicht unbedingt diesen Meeresschildkröten 30 Minuten lang hinterherschnorcheln. Die hat Angst und Panik, aber die Pseudo-Instagram-Fotografen müssen unbedingt jetzt ein Foto mit der haben. Das gilt auch für Tiere in Deutschland. Ich habe neulich in Frankfurt beobachtet, wie eine Familie hinter einer Nilgans hergerannt ist. Das Tier hatte Panik und die haben das als Spaß angesehen. Natürlich bin ich dorthin und habe gesagt: „Können Sie das bitte unterlassen? Das Tier hat Angst, das Tier läuft nicht weg, weil es Fangen spielen will.“ Ich finde, es ist kein Verzicht, wenn man versteht, dass ein anderes Lebewesen auch Rechte hat.

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