Crowdfarming: Der Traum vom Baum
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© Quelle: Sean Mungur/Unsplash
Valencia im Herbst kann neidisch machen. Während sich über weiten Teilen Europas das Wetter in seiner miesesten Form austobt, während Regen gegen die Scheiben prasselt und man ganz hinten im Schrank die Winterjacke hervorholt, klettert hier im Osten Spaniens das Thermometer immer noch auf 20 Grad. Perfektes Wetter für einen der großen Exportschlager des Landes: Orangen.
Genau in dieser Jahreszeit hatten zwei junge Orangenbauer auf der Farm Naranjas del Carmen nördlich von Valencia vor ein paar Jahren eine geradezu revolutionäre Idee. Weil sie zuvor nicht immer ihre gesamte Ernte verkaufen konnten, erfanden Gonzalo und Gabriel Úrculo einen neuen Vertriebsweg: Crowdfarming. Angebaut wird dabei nur das, was Verbraucher vorab auch wirklich bestellt haben. Keine Verschwendung, keine unnötigen Investitionen, der Traum eines jeden Betriebswirtschaftlers.
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Gaben ihre Bäume zur Adoption frei: Die Crowdfarming-Brüder Gonzalo (l.) und Gabriel Úrculo.
© Quelle: Crowdfarming
Einen Orangenbaum adoptieren
Die Direktvermarktung von Orangen ist längst eine feste Größe auf dem Markt – die Betriebe heißen unter anderem Citrus Ricus, Delicado 48 oder Fet a Sóller, sie stammen meist aus Spanien und sie liefern ihre Ware per Paketdienst nach ganz Europa. Die Innovation der Úrculo-Brüder aber war die direkte Einbindung der Kunden in Form von Baumpatenschaften. Und die funktionierte: Innerhalb von nur zwölf Monaten waren alle Orangenbäume von den Feldern der Úrculos durch Kunden aus ganz Europa adoptiert. Die Schwarmintelligenz war damit auf den Feldern Spaniens angekommen.
Die Úrculo-Brüder entwickelten daraus gleich eine ganze Plattform. Auf der Internetseite crowdfarming.com bieten heute zahlreiche Bauern aus ganz Europa ihre Waren an und ihre Pflanzen zur Adoption feil. „Die Landwirte legen den Verkaufspreis selbst fest und können damit kostendeckend arbeiten“, verdeutlicht Lena Manz, Pressesprecherin von Crowdfarming. „Dank des Beitrages eines jeden, der eine Adoption übernimmt, kann der Produzent ruhigen Gewissens anbauen und arbeiten, da er den endgültigen Betrag seiner Erzeugnisse kennt, den Preis einer Adoption.“ Heute gibt es über das Portal nicht nur Orangen, sondern neben vielem anderen auch Mangos, Avocados oder Wein. Knapp 200 Landwirte und Erzeuger verschicken ihre Produkte inzwischen über Crowdfarming unter anderem nach Deutschland. Das ist zusammen mit Frankreich, Österreich, der Schweiz und den nordischen Länder der wichtigste Markt für die Direktvermarkter-Community.
Viele sehen darin einen wirtschaftlichen Vorteil: In einer internen Umfrage gaben 90 Prozent der beteiligten Bauern an, durch Crowdfarming ihre Einnahmen erhöht zu haben. Knapp 79 Prozent erklärten, dadurch ihren Angestellten mehr Lohn zu zahlen, 71 Prozent sagten, so zudem zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen zu haben.
Keine Kühlung der Früchte notwendig
Der Vorteil liegt aber nicht nur in der sicheren Kalkulation. „Aufgrund der Vorausplanung bei den Lieferungen ist es nicht notwendig, das Produkt im Kühlhaus zu lagern, da die Zeit zwischen Abholung und Versand minimal ist“, erläutert Mitgründer Gonzalo Úrculo.
Unsere Idee ist nicht in einer Garage beim Programmieren einer Website entstanden, sondern auf Orangenfeldern in Valencia.
Gonzalo und Gabriel Úrculo, Gründer von Crowdfarming
Nachhaltigkeit und Menschlichkeit sind nach Unternehmensangaben feste Säulen der Crowdfarming-Idee. „Unsere Idee ist nicht in einer Garage beim Programmieren einer Website entstanden“, betonen die Úrculo-Brüder, „sondern auf Orangenfeldern in Valencia.“ Wenn es nach ihnen geht, sind dieser Art der Direktvermarktung kaum Grenzen gesetzt: „Unser Traum ist es, dass Crowdfarming zu einer wirklichen Konsumalternative wird und das beinhaltet natürlich, dass noch mehr Produkte Teil davon werden“, sagt Sprecherin Manz. Inzwischen können Crowdfarmer beispielsweise auch Shiitake-Pilze, Goji-Beeren oder Tee kaufen.
Während sich viele mit dem Foto ihres adoptierten Baums zufriedengeben, das im Konto eines Nutzers hochgeladen wird, reisen manche auch für ein Selfie direkt auf den Bauernhof. „Die Besuche sind ein Herzstück von Crowdfarming“, hat Manz beobachtet. Vor der Pandemie seien jede Woche mehrere Baumpaten aus ganz Europa auf die Orangenfelder von Naranjas del Carmen gekommen, der Wiege des Crowdfarmings.
Orangen bis an die Haustür
Doch wie klimafreundlich ist es, sich seine Orangen direkt aus Spanien schicken zu lassen, per Paketdienst bis an die Haustür? „Das kommt immer auf den Transportweg an“, betont Katrin Wenz, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim BUND. Auch Orangen aus dem Supermarkt kommen oft aus Spanien und anderen entfernten Ländern.
Grundsätzlich kann der Transportweg durch Crowdfarming etwa bei Mangos und Avocados kürzer werden – diese Früchte werden nun ebenfalls in Portugal und Spanien angebaut, während sie in den Supermärkten in der Regel aus sehr viel weiter entfernten Ländern etwa in Südamerika stammen. „Die Frage ist jedoch, ob man durch Crowdfarming nicht auch Leute anspricht, die solche Früchte sonst aus ökologischen Gründen nie gekauft hätten“, gibt Agrarexpertin Katrin Wenz zu bedenken. Grundsätzlich sollte man ihrer Ansicht nach darauf achten, Produkte in der jeweiligen Saison und aus der näheren Umgebung zu kaufen.
Die Hofläden boomen.
Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes
Das wird auch hierzulande immer einfacher: Direktvermarktung hat sich zu einem echten Trend entwickelt. „Die Hofläden boomen“, sagt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes. „In der Corona-Pandemie hat die Nachfrage nach regional erzeugten Lebensmitteln und damit auch das Interesse an den direktvermarkteten Produkten unserer Bauern stark zugenommen.“ Der Vorteil für Direktvermarkter sei, dass sie keine Abschläge hinnehmen müssen.
Die ökonomischen Vorteile sieht auch BUND-Expertin Wenz: „Crowdfarming kann es Landwirten und Landwirtinnen ermöglichen, ihre Produkte zu besseren Preisen zu vermarkten und führt zu einer höheren Wertschätzung von Produkten.“