Containern: „Wir gehen nicht mehr einkaufen“
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Lenny (l) und Freja zeigen Obst, das sie aus den Abfallbehältern eines Supermarktes „gefischt“ haben.
© Quelle: Harald Tittel/dpa
Trier. Lenny und Freja holen sich ihre Lebensmittel immer abends. Sie wissen, welche Müllcontainer bei welchen Supermärkten sie ansteuern müssen, um fündig zu werden. Sie klettern mal über ein Tor, mal über einen Zaun – und holen sich Essen aus den Tonnen. „Es ist unglaublich, was da alles drin ist. Die Dinge sind alle verpackt und völlig in Ordnung“, sagt Lenny (20). Er und seine Freundin geben seit Monaten keinen Cent mehr für Lebensmittel aus, sondern „containern“ nur noch. „Essen zu kaufen ist für mich keine Option mehr“, sagt er. Zu viele Nahrungsmittel landeten im Müll: „Ich fühle mich dafür verantwortlich, das zu konsumieren, was weggeschmissen wird.“
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Am Morgen nach einer „ganz normalen Tour“, wie sie sagen, ist der Kühlschrank der Veganer wieder voll: Acht Brokkoli, ein Kilo Tomaten, zwei Kilo Spargel plus Heidelbeeren, Aprikosen. Und etliche Bananen und sechs Flaschen Olivenöl haben sie auch „herausgefischt“. Brot gebe es auch. Und auch Milchprodukte und Fleisch. Anfangs seien sie zwei Mal die Woche gegangen, erzählt Freja (19). „Aber jetzt containern wir bei einem Mal so viel. Das reicht für eine Woche.“ Sie seien selten alleine an den Tonnen: „Wir treffen jedes Mal andere Leute. Oft Studenten.“
Containern ist illegal
Dass das sogenannte Containern, auch Mülltauchen genannt, illegal ist, ist Lenny und Freja bewusst. Das Marktgelände zu betreten ist Hausfriedensbruch, die Mitnahme von Lebensmitteln Diebstahl, auch wenn sie im Müll liegen. Im Januar wurden in Bayern zwei Studentinnen wegen Diebstahls verurteilt, weil sie aus dem Container eines Supermarktes Gemüse und Obst mitgenommen hatten. Sie sind in Revision gegangen. Ein Vorstoß von Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne), das Containern straffrei zu machen, ist in der vergangenen Woche auf der Justizministerkonferenz in Lübeck-Travemünde gescheitert.
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„Ich denke, dass Containern auf jeden Fall legal sein soll“, hält Lenny dagegen. „Es ist keine Straftat, Lebensmittel zu retten, die weggeworfen werden.“ Der richtige Ansatz sei aber, generell weniger wegzuwerfen. „Im Endeffekt müsste man dann Containern gar nicht legalisieren. Dann hätte man dieses Problem nicht.“ Lenny findet nicht, dass er sich strafbar mache, wenn er Lebensmittel aus den Tonnen hole. „Ich handele nach meinem eigenen Rechtsgefühl. Und ich halte das, was ich mache, für sehr respektabel.“ Kriminell seien die, die so viel wegwerfen würden.
Supermärkte sollen Lebensmittel einfacher spenden können
Jährlich landen in Deutschland nach Berechnungen der Universität Stuttgart fast 13 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Mehr als die Hälfte davon (55 Prozent oder knapp 7 Millionen Tonnen) werfen die Verbraucher in den privaten Haushalten weg. Heruntergebrochen auf einen einzelnen Menschen sind das 85,2 Kilo Essen pro Jahr, die in Abfalltonnen wandern. Auch für Menschen in prekären Lebensverhältnissen gehört Containern zum Alltag.
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Gut gefüllt mit Obst, Gemüse und Eiern ist der Kühlschrank von Lenny und Freja, die noch genießbare Lebensmittel aus den Abfallbehältern eines Supermarktes sammeln.
© Quelle: Harald Tittel/dpa
In Frankreich seien Supermarktketten bereits seit längerem per Gesetz dazu verpflichtet, übrig gebliebene Lebensmittel zu spenden statt sie wegzuwerfen, sagt Freja. „Ich finde, dass ist ein sehr guter Weg. Das sollte es überall geben.“ In diese Richtung geht auch der jüngste Beschluss der Justizminister der Länder, die die Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung in den Mittelpunkt gestellt haben: Supermärkte sollten Nahrungsmittel einfacher beispielsweise an Tafeln spenden können, ohne dadurch Nachteile zu haben.
„Schimmelige Sachen essen wir nicht“
Ärger beim Containern haben Lenny und Freja in Deutschland bisher noch nicht bekommen. „Wir passen auch an den Containern immer gut auf, alles sorgsam wieder so zurückzulassen, dass wir niemanden verärgern.“ Zuvor waren sie in Griechenland und in Italien unterwegs: Da habe ein Ladenbesitzer sie mal zwingen wollen, die Produkte zurückzulegen. „Da haben wir so lange mit ihm diskutiert, bis er uns hat gehen lassen.“ Auch gesundheitliche Probleme hätten sie bislang keine gehabt. „Schimmelige Sachen essen wir nicht.“
Auch wenn sie nun ein halbes Jahr kein Geld mehr für Lebensmittel ausgegeben hätten: „Es geht uns nicht ums Geld“, sagt Freja. Sie machten es aus Überzeugung: „Die weggeworfenen Lebensmittel sind Symptom einer Krankheit, die diese Gesellschaft befallen hat.“ Für die Produktion von Lebensmitteln würde viel Energie aufgebracht, teils würden die Produkte über lange Strecken eingeflogen. „Und dann landen sie einfach im Müll. Das kann ich nicht unterstützen.“
Lenny und Freja wollen ihre eigenen Lebensmittel anbauen
Daher wollen Lenny und Freja nun auch ganz umsteigen – und ihre eigenen Lebensmittel anbauen. Permakultur heißt das Konzept. Dazu planen sie zurzeit Projekte in Dänemark, auf Sizilien und in Trier. „Wir wollen nur noch die Nahrung essen, die um uns herum wächst“, sagt Lenny. Vorher werden sie aber noch bei der Aktion des Bündnisses Ende Gelände vom 19. Juni im rheinischen Braunkohlerevier dabei sein – und sich für den sofortigen Kohleausstieg und Klimagerechtigkeit stark machen. „Es ist eine Zeit, in der man handeln muss.“
Von RND/dpa