Atomkraft, aber anders: Löst die Kernfusion unser Energieproblem?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/DZTBM32NGVCEJHIOHSATYJPB6M.jpg)
Blick in das Plasmagefäß der Fusionsanlage ASDEX Upgrade. In Garching bei München laufen Reaktorexperimente.
© Quelle: IPP, Volker Rohde
Es ist die große Vision: Forschende wollen auf der Erde eine Art Minisonne erschaffen. Gelingt das, könnte womöglich mit einem Schlag das Jahrhundertproblem der Energieversorgung gelöst werden. Die Rede ist von der Kernfusion. Funktioniert die Technologie im großen Stil, so die Hoffnung, gäbe es quasi eine unerschöpfliche Energiequelle für die Menschheit.
Klar ist: Kohle, Gas, Öl haben ausgedient. Die Welt muss klimaneutral werden. Nur so kann die Erde auf lange Sicht bewohnbar bleiben – darin sind sich Klimaforschende einig. Auch die Atomenergie fällt bald weg, zumindest in Deutschland, wo bis Ende 2022 die letzten Kraftwerke stillgelegt werden sollen. Es braucht also dringend neue Energiequellen. Für die große Transformation stehen Wind, Wasserkraft, Biomasse und Sonnenlicht bereit. Aber auch Kraftwerke mit Kernfusionsreaktoren könnten noch eine wichtige Rolle spielen.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Spotify Ltd., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Nur wann? Das Vorhaben ist ambitioniert. Sonne und Sterne schaffen es seit über vier Milliarden Jahren im Weltall, Atomkerne von Wasserstoff zu Helium zu verschmelzen und dabei gigantische Energiemengen freizusetzen. Wir Menschen auf der Erde stehen hingegen noch relativ am Anfang.
Kernfusion hätte Vorteile als Energiequelle
Um Energie herzustellen, wird bei der Kernfusion rund eine Millionen Mal weniger Brennstoffmasse verbraucht als im Kohlekraftwerk – das ist ein Riesenvorteil.
Hartmut Zohm,
Plasmaphysiker
In der Theorie weiß man, dass das Erzeugen von Energie mit Fusionsreaktoren funktioniert. „Um Energie herzustellen, wird bei der Kernfusion rund eine Millionen Mal weniger Brennstoffmasse verbraucht als im Kohlekraftwerk – das ist ein Riesenvorteil“, berichtet Hartmut Zohm, der am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching forscht und an Fusionsexperimenten in Deutschland und Frankreich beteiligt ist. „Es wird auch kein Kohlendioxid produziert.“
500 Megawatt, ein Gigawatt: Ein Fusionskraftwerk der Zukunft könnte dem Experten zufolge mindestens so viel Energie wie ein Kernkraftwerk oder ein großes Kohlekraftwerk erzeugen. Man könne sich solche Anlagen dann von der Größenordnung wie Atomkraftwerke vorstellen. Es bräuchte vielleicht rund zehn bis 15 davon in ganz Deutschland, die jeweils eine Region versorgten. Darin liege auch der Vorteil im Gegensatz zu Sonne und Wind: Die Technologie bräuchte für viel Energie vergleichsweise wenig Fläche.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/6MKLBRCNGNHXLJ7TDC7UVGIRD4.webp)
Die Fusionsanlage ASDEX Upgrade in Garching bei München ging 1991 in Betrieb. Dort werden Kernfragen der Fusionsforschung unter kraftwerksähnlichen Bedingungen untersucht.
© Quelle: IPP, Jan Michael Hosan
Ein weiterer Vorteil: Auch wenn es eine Art Kernenergie ist, entsteht bei dieser Technologie kaum radioaktiver Müll, der über Millionen von Jahren endgelagert werden muss. „Tritium ist nur kurze Zeit radioaktiv, die Primärbrennstoffe Lithium und der Wasserstoff Deuterium aus dem Meer sind es überhaupt nicht“, erklärt Plasmaphysiker Zohm. Komme es zu Störfällen im Kraftwerk, führe das auch nicht zu einer Kernschmelze oder dazu, dass sich die Anlage zerstört – wie in Fukushima oder Tschernobyl geschehen.
Die Nachteile der Technologie: hohe Kosten und ungelöste Fragen
Allerdings ist noch unklar, wann und ob die Technologie überhaupt startklar ist. Es laufen zwar vielversprechende Experimente. Aber kein Fusionskraftwerk ist jemals in Betrieb gewesen, erst recht nicht zu kommerziellen Zwecken. Dabei tüfteln Forschende bereits seit den 1950ern mit der Kernfusion. Die größte Herausforderung: Es gelingt noch nicht, mehr Energie zu produzieren, als zum Heizen in den Fusionsreaktor hineingesteckt wird.
Zudem sind Planung und Aufbau von Forschungsanlagen aufwendig – und damit auch teuer. In Deutschland gibt es inzwischen zwei Fusionsreaktoren, mit denen Forschende eine je unterschiedliche Bauweise testen – in Greifswald (Wendelstein 7X) und Garching (ASDEX Upgrade). Die Bedingungen in den Laboren sind extrem, berichtet Plasmaphysiker Zohm: Bis zu 150 Millionen Grad heiß wird es im Zentrum so einer Anlage, die eine Minisonne imitieren soll. Nur wenige Meter entfernt, da, wo die Forschenden ihre Experimente begleiten, herrscht mittels Wärmeisolation dann wieder Raumtemperatur.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/Z7QAQ7GM4BCP5NTSUAQS2QQUPQ.webp)
Blick in eines der Module der Experimentieranlage Wendelstein 7-X: Man erkennt das Plasmagefäß, eine Magentspule, die Außenhülle sowie zahlreiche Leitungen für Kühlmittel und Strom. Der Forschungsreaktor wird in Greifswald vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik betrieben.
© Quelle: IPP, Wolfgang Filser
Wie muss ein Fusionskraftwerk gebaut werden?
In den letzten 20 Jahren haben wir verstanden, wie so ein Magnetfeld gebaut werden muss, damit man Nettoenergie gewinnen kann.
Hartmut Zohm
„Wir wollen lernen, wie ein Magnetfeld das Plasma einschließen kann“, erklärt Zohm den Hintergrund der Experimente. „In den letzten 20 Jahren haben wir verstanden, wie so ein Magnetfeld gebaut werden muss, damit man Nettoenergie gewinnen kann.“ Eine wichtige Erkenntnis sei etwa, dass Magnetfeldspulen supraleitend statt aus Kupfer sein müssten, damit sie ausreichend gekühlt werden und dann länger in Betrieb sein können.
Auch anderswo in der Welt verstehen Forschende immer besser, an welchen Knöpfen wie stark gedreht und wie so eine Anlage gebaut werden muss. Jüngstes Beispiel: Am Massachusetts Institute of Technologie in den USA wurde gezeigt, dass mit einem veränderten Typ eines Supraleiters ein doppelt so großes Magnetfeld entstehen kann. „Wenn das wirklich im großen Stil klappt, wäre das schon eine kleine Revolution, weil man Anlagen dann schneller, wirtschaftlicher und kompakter bauen könnte als bislang gedacht“, sagt dazu Experte Zohm. Auch diese Ergebnisse zeigten, dass die Kernfusionstechnologie „echtes Potenzial“ habe.
Ein Problem sieht Zohm bei diesem Ansatz aber auch: Eine so gefertigte Spule mit doppelt so großem Magnetfeld entfaltet auch viermal so starke Kräfte. „Und die muss man erst einmal unter Kontrolle bringen.“ Es sei noch nicht klar, ob sich mit diesem Ansatz wirklich ein kompletter und funktionsfähiger Fusionsreaktor bauen lässt. Erst in drei bis fünf Jahren, nach weiteren Experimenten, sei klar, ob das wirklich ein „Gamechanger“ sei.
Iter wird zeigen, was die Zukunft bringt
Die größte Hoffnung von Forschenden und auch Regierenden ist ein größerer Forschungsreaktor, der ab 2025 in Südfrankreich anlaufen soll. Iter heißt das Projekt, die Kurzform für Internationaler Thermonuklearer Experimenteller Reaktor. Zwischen 15 und 20 Milliarden Euro kostet das wahrscheinlich und wird nicht nur von Europa, sondern auch von Japan, China, Russland, Indien, Südkorea und den USA mitfinanziert.
Die dort geplanten Experimente sollen im großen Stil zeigen, inwieweit die Kernfusion als Energiequelle der Zukunft taugen könnte. Man erwarte, dass zehnmal mehr Energie herauskomme, als man ins Plasma hineinstecke, sagt Zohm, der ebenfalls an dem Projekt beteiligt ist. Supraleitende Spulen sollen in der Anlage bis zu einer Stunde laufen. Der Testbetrieb müsse auch demonstrieren, ob man für das Freisetzen von millionenfach mehr Energie überhaupt das relevante Isotop Tritium im Reaktor herstellen könne.
Der Plasmaphysiker gibt sich aber optimistisch. „Ich bin mir sicher, dass die Anlage bis 2035 nach einer Experimentierphase zeigen wird, dass durch Kernfusion mehr Energie herauskommt, als man durch das Heizen hereinsteckt. Von diesem Punkt sind wir also noch rund 15 Jahre entfernt. Die Fusionsenergie ist nicht mehr 50 Jahre weit weg.“
Auch das Konsortium „Eurofusion“, das die Interessen der europäischen Fusionsforschung vertritt, spricht davon, dass die Kommerzialisierung der Fusionsenergie Schätzungen zufolge „in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts“ beginnt. Realistische Kostenabschätzungen dazu seien derzeit nicht möglich – und hingen nicht zuletzt von politischen Rahmenbedingungen ab.
Zohm räumt aber auch ein: Es bestehe natürlich auch das Risiko, dass die Iter-Experimente vor die Wand fahren. Es könnte sich zum Beispiel zeigen, dass die Technologie dahinter im Prinzip funktioniert, sich auf diese spezielle Weise aber kein verlässliches Kraftwerk konzipieren lässt.
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Spotify Ltd., der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Die Klimakrise wartet nicht
Je eher es die Ergebnisse der Iter-Experimente gibt, desto besser – denn die Zeit drängt. Deutschland und viele weitere Länder haben sich vorgenommen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Klimaforschende betonen, dass immer weniger Spielraum bleibt, um eine massive Erderwärmung noch abzuwenden. Kurzfristig kommt die Kernfusion also nicht infrage, um das Energieproblem zu lösen. Mittel- bis langfristig könnte die Technologie aber noch eine entscheidende Rolle spielen. Das große Versprechen aus der Forschung bleibt: Fusionsreaktoren könnten in Zukunft zusätzlich zu Wind, Sonne und Wasser den steigenden Energiehunger der Menschheit decken.
Noch ist aber unklar, ob die technologischen Rätsel in den kommenden Jahrzehnten wirklich geknackt werden, Regierende weiterhin bereit sind, die Investitionen für die Forschung zu tätigen und die Wirtschaft irgendwann aufspringt. Zumindest in der Theorie böte die Kernfusion im Gegensatz zu anderen Energiequellen aber vier große Vorteile: keine Emissionen treibhausaktiver Gase durch Verbrennen von Kohle, sehr viel weniger radioaktiver Abfall und weniger Sicherheitsrisiken als bei herkömmlichen Atomkraftwerken, kein allzu großer Flächenverbrauch – und keine Abhängigkeit vom Wetter wie bei den Erneuerbaren.