Anwalt im Interview: „Die Kündigungswelle wird kommen“
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Trotz Corona-Krise sind die Hürden für eine betriebsbedingte Kündigung immer noch hoch – besonders, wenn die betreffenden Unternehmen Kurzarbeit angemeldet haben.
© Quelle: Christin Klose/dpa-tmn
Geschlossene Läden und Büros, Kurzarbeit und Angst vor Insolvenzen – auch 2021 leidet Deutschlands Wirtschaft weiter unter der Corona-Pandemie. Der Bremer Arbeitgeberanwalt Dr. Amel Saric befürchtet, dass Kündigungen kaum zu vermeiden sind; selbst, wenn die wirtschaftlichen Zeiten besser werden. Warum das so ist und wie realistisch Corona-Kündigungen sind, erklärt der Jurist im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Herr Dr. Saric, Sie sagen eine Kündigungswelle für 2021 voraus – sogar dann, wenn die Pandemie überstanden ist. Warum?
Ich vertrete und berate vor allem mittelständische Unternehmen. Ich spüre, dass es in den Chefetagen eine ziemliche Unruhe gibt und glaube, dass eine Kündigungswelle kommen wird. Durch die Corona-Pandemie haben Unternehmer gemerkt, wie schnell man wirtschaftlich in eine Schieflage geraten kann. Selbst wenn sie 2020 durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht geschützt waren und es derzeit noch durch Kurzarbeit und Hilfspakete des Staates sind, werden viele Unternehmen 2021 die Insolvenz nicht verhindern können. Und wer überlebt, wird spätestens nach der Pandemie Bilanz ziehen.
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Die Pandemie und wir
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Und wie wird diese Bilanz ausfallen?
Ich glaube, dass kein Unternehmen, das durch die Corona-Krise gegangen ist, einfach so weitermachen wird wie vorher. Ich bin sicher, dass Unternehmen ganz stark ihre Personalkostenpositionen prüfen werden und sich sowohl von geringqualifiziertem Personal als auch von Führungskräften trennen werden, um in einer eventuell neuen Krise besser gewappnet zu sein. Hinzukommt, dass Unternehmer wegen der Unsicherheit aktuell investitionsscheu sind. Das wird dazu führen, dass weniger neue Arbeitsplätze entstehen.
Welche Branchen werden von diesen Nachwirkungen besonders betroffen sein?
Gedanken zu Umstrukturierungen werden sich garantiert alle Unternehmen machen. Wir haben ja gesehen, dass es jeden treffen kann. Bestes Beispiel ist der Weltkonzern Lufthansa. Aber auch die große Friseurkette Klier hat wegen Corona Insolvenz anmelden müssen. Der kleine Bäcker um die Ecke mit drei Angestellten hingegen konnte sich vielleicht noch über Wasser halten. Eine Ausnahmesituation wie die Corona-Pandemie ist einfach unberechenbar.
Das bedeutet, demnächst verlieren viele Angestellte wegen Corona ihren Job?
Ganz so ist es nicht. Corona ist kein Kündigungsgrund. Allein wegen der Pandemie können Mitarbeiter nicht entlassen werden; selbst dann nicht, wenn es durch Corona zu einem Umsatzrückgang kam.
Corona hebelt das Kündigungsschutzgesetz also nicht aus?
Genau. Ist ein Arbeitnehmer seit mehr als sechs Monaten im Unternehmen beschäftigt und hat der Betrieb über zehn Arbeitnehmer, gilt das Kündigungsschutzgesetz nach wie vor – auch in Corona-Zeiten. Dennoch sind Kündigungen unter gewissen Umständen möglich und werden sicher auch umgesetzt. Der wichtigste Kündigungsgrund während der Pandemie ist dabei die betriebsbedingte Kündigung. Hier muss der Arbeitgeber nachweisen, dass die geplanten Kündigungen durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sind und dass die betroffenen Arbeitsplätze dauerhaft – also über die Corona-Krise hinaus – wegfallen. Nun haben aber viele Unternehmen Kurzarbeit angemeldet. Das erschwert eine solche Kündigung.
Es gibt tatsächlich etliche Hürden, die das Kündigen für Arbeitgeber schwer machen.
Dr. Amel Saric
Warum?
Wer Kurzarbeit anmeldet, drückt damit automatisch aus, dass er nur von einem vorübergehenden Auftragsrückgang ausgeht und der betroffene Arbeitsplatz nicht dauerhaft überflüssig wird. Die Voraussetzung einer betriebsbedingten Kündigung ist aber genau das: Dass der Arbeitsplatz dauerhaft wegfällt. Kurzarbeit und betriebsbedingte Kündigungen stehen sich also gewissermaßen im Weg. Unternehmen, die Kurzarbeit angemeldet haben, müssen sehr genau nachweisen, dass aus dem kurzfristigen Umsatzrückgang aufgrund geänderter Umstände ein langfristiges betriebliches Problem entstanden ist, wodurch Arbeitsplätze dauerhaft wegfallen.
Angestellte in Corona-Kurzarbeit müssen also eher nicht um ihre Jobs bangen?
Es gibt tatsächlich etliche Hürden, die das Kündigen für Arbeitgeber schwer machen. Aber natürlich können sie mit den richtigen Argumenten auch in der Corona-Pandemie und in der Zeit danach betriebsbedingte Kündigungen aussprechen und damit auch erfolgreich sein. Es kommt auf den Einzelfall an und wie gut das Unternehmen die betrieblichen Kündigungen vor Gericht rechtfertigt. Das ist manchmal ein schmaler Grat.
Sie beraten und vertreten Arbeitgeber in Kündigungsschutzverfahren. Wie gehen Ihre Mandanten mit der Verantwortung um?
Ich empfinde sie als äußerst verantwortungsvoll. Gerade Mittelstandsunternehmen versuchen, ihre Mitarbeiter so lange wie möglich zu halten. Ich habe noch kein Unternehmen erlebt, das leichtfertig Kündigungen ausgesprochen hat. Das zeichnet aber vielleicht auch den Mittelstand im Besonderen aus. Mittelständische Unternehmen sind oftmals inhabergeführt. Der Inhaber kennt seine Mitarbeiter häufig mit Namen und sogar den privaten und familiären Hintergrund. Er denkt weniger in Quartalszahlen, sondern generationenübergreifend. Da bildet sich nach meiner Erfahrung eine besondere Unternehmenskultur heraus, die familiärer ist und bei der man sich schwerer tut, sich von Arbeitnehmern zu trennen als in einem internationalen Konzern, bei dem die Entscheidung über den Stellenabbau womöglich in Übersee getroffen wird.
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Dr. Amel Saric ist seit 2016 Arbeitsrechtler in der Kanzlei Büsing Müffelmann & Theye in Bremen. Er ist auf das Arbeitsrecht für Arbeitgeber spezialisiert und berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen im Arbeitsrecht. Darüber hinaus ist Amel Saric Lehrbeauftragter der Universität Bremen im Studiengang Wirtschaftspsychologie und Arbeitsrecht.
© Quelle: Büsing Müffelmann & Theye
Und wie geht es den Arbeitnehmern? Haben sie in der Corona-Zeit überhaupt die Kraft, sich gegen eine Kündigung zu wehren?
Das kommt häufig auf die Branche an. In der Gastronomie wehren sich gekündigte Arbeitnehmer beispielsweise eher selten. Generell sollten Arbeitnehmer wissen, dass sie kein großes Risiko tragen – selbst, wenn sie verlieren. Sie müssen zumindest in der ersten Instanz vor dem Arbeitsgericht dann nicht die Prozesskosten des Gegners übernehmen. Wichtig ist auch, dass sie innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung klagen. Versäumen sie die Frist, gilt die Kündigung als wirksam.
In der Corona-Pandemie gibt es viele Unsicherheiten, welches Verhalten zu einer Kündigung führen kann. Was passiert zum Beispiel, wenn ein Angestellter krankheitsbedingt lange ausfällt, weil er bewusst in ein Risikogebiet gereist ist und sich dort mit Corona infiziert hat?
Hier reden wir von dem sogenannten außerdienstlichen Verhalten – sprich: von der Freizeit des Angestellten. Und die ist grundsätzlich seine Privatsache. Er muss also in der Regel keine Kündigung befürchten. Sie wäre vielleicht maximal denkbar, wenn der Arbeitgeber nachweisen kann, dass sein Mitarbeiter tatsächlich bewusst in ein Risikogebiet gefahren ist, um sich anzustecken, damit er sich seiner Arbeitspflicht entzieht. Das wird ein Arbeitgeber aber so gut wie niemals beweisen können und ist eher ein hypothetischer Fall. Was aber passieren kann, ist, dass der Arbeitgeber keine Entgeltfortzahlungen zahlt, weil sein Arbeitnehmer die Krankheit selbst verschuldet hat.
Droht eine Kündigung, wenn Arbeitnehmer aus Angst vor Ansteckung nicht am Arbeitsplatz erscheinen?
Ja, das ist schon realistischer. Ein Arbeitnehmer kann nicht einfach aus einer Befürchtung heraus der Arbeit fernbleiben. Damit riskiert er eine Abmahnung. Fehlt er länger, hat der Arbeitgeber gute Chancen, dem Arbeitnehmer wirksam zu kündigen.
Und was passiert, wenn der Arbeitnehmer trotz eigener Corona-Infektion zur Arbeit erscheint?
Damit es arbeitsrechtliche Sanktionen geben kann, müsste auch hier der Arbeitgeber nachweisen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich wusste, dass er infiziert war und dass er wissentlich eine andere Person angesteckt hat. Es ist fast unmöglich für den Arbeitgeber, das zu beweisen.
Wie sieht es mit Impfverweigerern aus? Dürfen ihnen Unternehmen mit Kündigungen drohen, falls sie ungeimpft bleiben?
Nein, das ist nicht möglich. Es gibt keine Impfpflicht, sodass Ungeimpfte nach aktueller Rechtslage keine Konsequenzen befürchten müssen.
Eine Kündigung ist in der Regel ein emotionales Ereignis. Wie können Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Situation am besten meistern?
Das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist mit einer Partnerschaft zu vergleichen. Wer sich trennen möchte, sollte das in beiden Fällen respektvoll tun – wenn möglich mit einem offenen Gespräch. Es gibt natürlich auch Fälle, in denen Arbeitgeber anders handeln sollten. Das ist immer individuell. Generell kann man aber sagen: Hatte ein Arbeitgeber ein gutes Verhältnis zu seinem Arbeitnehmer, sollte ein Trennungsgespräch stattfinden, in dem die schriftliche Kündigung im Beisein eines Zeugen überreicht wird. Ich habe schon erlebt, dass Angestellte viel Verständnis für die Lage der Firma aufbrachten, wenn man sie ihnen gut erklärt und nicht per Postkasteneinwurf aus dem Nichts heraus mit der Lage konfrontiert hat. Tränen fließen häufig aber natürlich trotzdem.
Zur Person: Dr. Amel Saric ist seit 2016 Arbeitsrechtler in der Kanzlei Büsing Müffelmann & Theye in Bremen. Er ist auf das Arbeitsrecht für Arbeitgeber spezialisiert und berät und vertritt nationale und internationale Unternehmen im Arbeitsrecht. Darüber hinaus ist Amel Saric Lehrbeauftragter der Universität Bremen im Studiengang Wirtschaftspsychologie und Arbeitsrecht.