Wie schnell kann man abgeschaltete Atomkraftwerke wieder hochfahren?
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Drei Atommeiler sind in Deutschland noch am Netz – einer davon ist der Block Neckarwestheim II im Kreis Heilbronn.
© Quelle: Marijan Murat/dpa
Köln. Wegen befürchteter Stromengpässe sollen zwei deutsche Atomkraftwerke auch über das Jahresende hinaus als Notreserve dienen. Das hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Montag bei der Vorstellung des Ergebnisses der von der Bundesregierung beauftragten Prüfung der Stromnetze in Berlin mitgeteilt. Habeck sagte, dass die beiden Meiler Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg und Isar 2 in Bayern bis längstens April 2023 für Notfälle zur Verfügung stehen sollen. Er betonte zugleich, dass dies auch bedeute, dass die drei aktuell noch betriebenen AKW wie geplant zunächst Ende 2022 vom Netz gehen.
„Am Atomausstieg, wie er im Atomgesetz geregelt ist, halten wir fest“, erklärte Habeck. Neue Brennelemente würden nicht geladen. Spätestens Mitte April nächsten Jahres sei auch mit der Reserve Schluss. Eine periodische Sicherheitsüberprüfung könne in dieser Zeit nicht abgeschlossen werden. Die Reserve-Meiler sollen nur „im Fall der Fälle“ zum Einsatz kommen. Dass es eine Hochrisikotechnologie sei, stelle niemand infrage, betonte der Minister. Er sprach aber angesichts der aktuellen Lage von einer vertretbaren wie notwendigen Entscheidung.
Der Stresstest der Netzbetreiber war zum Ergebnis gekommen, dass „stundenweise krisenhafte Situationen im Stromsystem“ im bevorstehenden Winter zwar unwahrscheinlich seien, „aktuell aber nicht vollständig ausgeschlossen werden können“. Unter bestimmten Umständen könnten sich Risiken bündeln.
Robert Habeck will zwei AKW als Notreserve behalten
Der Bundeswirtschaftsminister öffnet die Tür für einen zeitweisen Weiterbetrieb von zwei Atomkraftwerken - im Notfall.
© Quelle: dpa
Wie erzeugt ein Atomkraftwerk Strom?
Nun stellen sich zwei grundlegende Fragen: Kann man einmal abgeschaltete AKW unproblematisch wieder ans Netz anschließen? Und wie lange dauert das überhaupt? Um das beantworten zu können, muss man erst mal verstehen, wie ein Atomkraftwerk überhaupt funktioniert.
„Im Prinzip arbeitet ein Kernkraftwerk auch nicht anders als ein Kohlekraftwerk“, sagt Uwe Stoll, wissenschaftlich-technischer Geschäftsführer bei der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS). „Es wird Dampf erzeugt, die eine Turbine mit Generator antreibt, und die macht dann den Strom.“
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Wie genau läuft das in einem AKW ab? „Hier werden Atomkerne gespalten und zwar durch kleine Teilchen, Neutronen. Dabei entsteht die erforderliche Wärme“, erklärt Stoll. „Wo also im Kohlekraftwerk die Kohle ist, ist im Kernkraftwerk der Kernbrennstoff – in Deutschland meist Urandioxid – in stäbchenförmigen Brennstäben. Die wiederum sind zu Brennelementen gebündelt. Uran wird durch Neutronen gespalten; dabei entstehen wieder neue Neutronen, die erneut Uranatome spalten können.“ So könne eine selbst erzeugende Kettenreaktion in Gang gesetzt werden.
„Durch die Kernspaltung entsteht eine enorme Wärme – das Wasser, das aus dem Reaktor kommt und den angeschlossenen Dampferzeuger erhitzt, wird bis 330 Grad heiß“, erklärt Stoll weiter. „Die Energie von Wasserdampf wird schließlich genutzt, um an Stromgeneratoren gekoppelte Turbinen anzutreiben.“
Spaltbares Material fehlt
Ein Atomkraftwerk ist also ein komplexes System. Lässt sich das auch nach einer längeren Pause wieder aktivieren? „Im Prinzip ja“, sagt Stoll. „Technisch kann man relativ unproblematisch ein Kernkraftwerk wieder in Betrieb nehmen.“ Schließlich gebe es in jedem AKW routinemäßig jedes Jahr eine Revision, bei der die Anlage runter und wieder hochgefahren werde, so Stoll.
Praktisch gibt es – auf die Situation in Deutschland bezogen – einige Hürden. So fehle es in den gerade abgeschalteten AKW und auch in denen, die schon abgeschaltet sind, an spaltbarem Material. „Die Betreiber haben sich auf die vereinbarte Laufzeit eingerichtet und so mit dem Brennstoff geplant.“ Das gilt auch für die Atomkraftwerke, die bald vom Netz gehen sollen.
Ein Brennelement hält circa fünf Jahre. „Um passende Brennelemente herzustellen, braucht man zwölf bis 15 Monate – das ist ein langwieriger Prozess“, sagt Stoll. Auch müssten spezielle Teile wie zum Beispiel die Röhren für die Brennstäbe neu gefertigt werden. „Da gibt es keine Lagerbestände.“ Andere Länder hätten Abmessungen, die in den deutschen AKW nicht passen würden.
Außerdem schränkt Stoll ein: „Haben sich die Betreiber darauf eingerichtet, die Anlage abzubauen, wird sie mit scharfen Chemikalien gereinigt – also dekontaminiert.“ Das aber greife unter Umständen das Material der Rohre und Messleitungen so stark an, dass sie aus Sicherheitsgründen nicht mehr eingesetzt werden könnten.
TÜV sieht die Pläne kritisch
Der Energieversorger Eon, der das Atomkraftwerk Isar 2 betreibt, teilte indes mit, dass erst einmal technisch und organisatorisch überprüft werden müsse, ob der Plan der Bundesregierung machbar sei. Kernkraftwerke seien in ihrer technischen Auslegung keine Reservekraftwerke, die variabel an- und abschaltbar seien.
Auch Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV-Verbands, sieht die Pläne kritisch. Er erläuterte gegenüber der „Bild“ zwar: „Die drei laufenden Kernkraftwerke in Deutschland können derzeit schwankende Energieerzeugung aus Wind und Sonne kurzfristig ausgleichen und das Stromnetz stabil halten.“ Allerdings könnten die Kernkraftwerke diese zeitkritische Funktion „in der Notreserve praktisch so nicht wahrnehmen, da das Anfahren aus dem Kaltbetrieb ein mehrtägiger Prozess ist“.
Bühler betonte: „Wie schnell die Kernkraftwerke aus einer sogenannten Notreserve in den aktiven Streckbetrieb angefahren werden können, hängt vom Zustand des jeweiligen Kraftwerkes ab, wir gehen aber davon, dass es mindestens mehrere Tage in Anspruch nehmen wird.“
Eon versicherte derweil zumindest, dass Isar 2 auch bei einem Weiterbetrieb über den 31. Dezember hinaus alle sicherheitsrelevanten Anforderungen erfülle und „zu den sichersten Anlagen der Welt“ gehöre.
Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und epd