Die FED ist kein Vorbild: EZB könnte Rezession verschärfen
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Die Zentralbank sollte vorsichtig agieren, sagt der Wirtschaftsweise Achim Truger.
© Quelle: Andreas Arnold/dpa
Hannover. Dies wie jenseits des Atlantiks gehen Zentralbanken immer entschlossener gegen die Inflation vor: Am Mittwochabend verkündete die US-Notenbank FED die dritte Zinserhöhung in Folge, wieder steigt der Leitzins um satte 0,75 Prozentpunkte. Und auch bei der Europäischen Zentralbank deutete Chefin Christine Lagarde zuletzt weitere, ebenfalls kräftige Zinsschritte an – um „unmissverständlich“ zu demonstrieren, „dass wir die Inflation auf unser mittelfristiges Ziel zurückführen wollen“, wie sie jüngst bei einer Rede in Frankfurt sagte.
Zunächst war am Mittwochabend FED-Chef Jerome Powell am Zug: Auf 3 bis 3,25 Prozent erhöhte der Notenbanker den Leitzins. Ob das eine Rezession in den USA auslöst, wollte Powell nicht beurteilen. Schmerzlose Wege zur Reduzierung der bei 8,3 Prozent liegenden Inflation gebe es aber nicht, erklärte Powell – der außerdem betonte, dass langfristig eine hohe Inflation größere Schäden verursache als ein abruptes Abflauen der US-Konjunktur.
Überrascht haben weder Marktteilnehmer noch Fachleute reagiert: „Der Zinsschritt der US-Notenbank war weitgehend erwartet worden“, sagte am Donnerstag Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank bei einer Tagung in Frankfurt. Und so knickte der US-Aktienindex Dow Jones zwar am Mittwoch um 1,7 Prozent ein, am Donnerstagvormittag erholte er sich allerdings wieder etwas, ebenso wie der zunächst deutlich gesunkene deutsche Aktienindex Dax.
Kurze, heftige Rezession in den USA
Ohnehin ist die Zinspolitik in den USA einigermaßen unstrittig: Die Konjunktur der größten Wirtschaftsmacht der Welt ist heißgelaufen. Massive Staatsausgaben der letzten beiden Regierungen haben die Nachfrage angefacht, während auch in Folge der Pandemie Arbeitskräfte fehlen und Lieferketten angespannt sind. Eine von der Notenbank induzierte „wahrscheinliche“ Rezession dürfte Schmieding zufolge schnell Wirkung zeigen: Schon im zweiten Halbjahr 2023 könnte die FED aus seiner Sicht wieder Spielraum für konjunkturfördernde Zinssenkungen haben.
Das Wort hat Christine Lagarde in Frankfurt schon länger nicht mehr in den Mund genommen, in der Euro-Zone stehen angesichts von 9,1 Prozent Inflation alle Zeichen auf Zinserhöhung. Um 75 Basispunkte, also 0,75 Prozentpunkte, setzten die hiesigen Währungshüter den Leitzins Anfang September hinauf, nun liegt er bei 1,25 Prozent. Deutlicher waren die Worte, die Lagarde am Montag in Frankfurt wählte: Sollten sich die Inflationserwartungen verfestigen, würde sie die Zinsen bis in den restriktiven Bereich erhöhen. Dann würde die Wirtschaftsleistung schrumpfen, um die Inflation wieder auf das mittelfristige EZB-Ziel von 2 Prozent zu drücken.
Angst vor radikalen Zinserhöhungen in Europa
Die demonstrative Entschlossenheit weckt allerdings neue Sorgen: „Es besteht die Gefahr, dass die EZB die Straffung übertreibt und am Ende eine ohnehin drohende Rezession verschärft“, warnte am Donnerstag der Wirtschaftsweise Achim Truger gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Grundsätzlich sei angesichts der Inflation nachvollziehbar, dass die EZB die Zinsen erhöhe, sagte Truger. Allerdings habe die Inflation hier andere Ursachen als in den USA: In Europa trieben sie Energiepreise an, in den USA sei es vor allem der angespannte Arbeitsmarkt samt des entsprechend hoch ausfallenden Lohnwachstums. „Vor diesem Hintergrund beunruhigt mich die aggressive Rhetorik der Verantwortlichen im Euro-Raum“, erklärte Truger – der außerdem betonte, dass der aktuelle Wirtschaftseinbruch hierzulande ohnehin automatisch die Inflationsrisiken senke.
Ob der Ökonom von der Universität Duisburg-Essen bei der Zentralbank auf Gehör stößt, ist allerdings offen: „Der öffentliche Druck auf die EZB ist sehr, sehr groß“, meint etwa Philippa Sigl-Glöckner vom Dezernat Zukunft. Denn lange hielten die Währungshüter die Inflation für ein „vorübergehendes“ Phänomen. Zwar sah auch kein Kritiker den heftigen Inflationsschub durch Energiekrise und Ukraine-Krieg voraus, doch spätestens seit März hätte die Zentralbank durchgreifen können, finden viele.
Die EZB hat Vertrauen eingebüßt
Womöglich geht es bei den markigen Worten der Zentralbankerinnen und -banker in Europa deshalb auch darum, einen Vertrauensverlust wettzumachen – den sich die Zentralbank zum Teil selber zuzuschreiben hat, wie Ökonomin Sigl-Glöckner findet: „Die Prognosen der EZB lagen in letzter Zeit ziemlich falsch, vermutlich aufgrund schlecht begründeter Annahmen hinter den Modellen.“
Zugleich sprach sich Sigl-Glöckner aber gegen radikale Schritte der Zentralbank aus, „es gibt bessere vertrauensbildende Maßnahmen: Prognosen, die zumindest in der Richtung stimmen und eine klare Erklärung der Zentralbank, welche Entwicklungen die Geldpolitik überhaupt beeinflussen kann“. Geht es nach Sigl-Glöckner, müsste die Zentralbank also eingestehen, dass sie die – vor allem mit Energiepreisen importierte – Inflation nicht so schnell drücken kann, wie es sich viele Bürger dieser Tage wohl wünschen.
Doch auf die neue Zinspolitik sollte man sich durchaus einstellen, rät derweil Hendrik Buhrs von „Finanztip“: Die Entscheidungen in den USA verteuern ihm zufolge Energieimporte weiter, durch den höheren Dollarwechselkurs werde dafür etwa Gold als Anlage attraktiver, ebenso wie durch die hiesigen Zinserhöhungen Sparzinsen zulegten – wohingegen sich Kredite weiter verteuern würden. Er rät, derzeit bei Anlagen breit zu streuen, etwa mit soliden Bankkonten und ETFs sowie – sofern möglich – mit Immobilien. „Am besten ist, weiterhin auf mehreren Hochzeiten zu tanzen, um rumpelige Zeiten zu überstehen“, empfiehlts Buhrs.
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