„Zinsberechnung auf Gutsherrenart“ – vernichtendes Zeugnis für Sparkassen
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Die Sparkassen stehen wegen unzulässiger Zinsanpassungsklauseln in Prämiensparverträgen und Riester-Banksparplänen in der Kritik.
© Quelle: Julian Stratenschulte/dpa
München. Zeugnisse wurden am Freitag in Schulen mehrerer Bundesländer verteilt. Das für den Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) hat es in sich. Es strotzt derart vor versetzungsgefährdenden „Ungenügend“ und „Mangelhaft“ in Fächern wie Zinsberechnung oder Akzeptieren der Rechtsprechung, dass DSGV-Präsident Helmut Schleweis die Annahme verweigert hat. Ein „Gut“ in Selbstdarstellung konnte daran nichts ändern.
Im Rahmen einer Protestaktion übergeben werden sollte das vernichtende Zeugnis von einem Bündnis aus Verbraucherzentrale Dresden, der Bürgerbewegung Finanzwende und dem Geldratgeber Finanztip. „Der Missstand wird volljährig“, betont Finanztip-Chef Hermann-Josef Tenhagen. Vor 18 Jahren habe der Bundesgerichtshof (BGH) erstmals die Praxis von Sparkassen zur Zinsberechnung moniert.
Zahlreiche erfolgreiche Klagen
Es geht um Prämiensparverträge, wie sie vor allem solche Institute hunderttausendfach unter die Sparerinnen und Sparer gebracht haben. „Es war an sich eine gute Produktidee“, so Tenhagen. Dann aber hätten die Sparkassen versucht, ihre Kundinnen und Kunden per „Zinsberechnung auf Gutsherrenart“ über den Tisch zu ziehen. Bundesweit führen allein Verbraucherzentralen deshalb im Namen betroffener Sparer bislang 15 Musterfeststellungsklagen gegen die Zinspraktiken. Bisherige Urteile bis hinauf zum BGH als höchster Instanz geben ihnen reihenweise recht.
Allein 2021 hat der BGH dreimal geurteilt, dass die von Sparkassen verwendeten Zinsanpassungsklauseln nicht rechtens seien. Vor ziemlich genau einem Jahr hat sich auch die Finanzaufsicht Bafin per Allgemeinverfügung auf die Seite der Sparerinnen und Sparer gestellt und Sparkassen aufgefordert, proaktiv auf Sparerinnen und Sparer zuzugehen und sie zu informieren, dass bei der Zinsberechnung etwas zu ihren Ungunsten gelaufen ist. Bundesweit sind etwa eine Million Sparverträge betroffen, schätzt die Bafin.
„Aber die Sparkassen stellen sich tot“, kritisiert Finanzwende-Sprecher Julian Merzbacher. Weder informierten sie ihre Kundinnen und Kunden, noch würden sie Zinsen nachzahlen. Das wird mittlerweile zum drängenden Problem, weil Kündigung im dritten Jahr nach Vertragsende droht. Damit begonnen, solche Prämiensparverträge loszuwerden, haben Sparkassen 2017/18 im Osten der Republik. Westdeutsche Institute haben mit Kündigungen etwas später nachgezogen.
Wie viele Fälle schon bis Ende 2021 verjährt sind, weiß Andrea Heyer als Vizechefin der Verbraucherzentrale Sachsen nicht. Denn dazu würden Sparkassen jede Auskunft verweigerten. Heyers Verbraucherzentrale ist bundesweit federführend bei den Musterfeststellungsklagen und hat deshalb den Überblick. Tausende Sparerinnen und Sparer werden allein von ihr vertreten. Hunderte klagen im Alleingang. Bei einer Million Fälle ist das aber wenig mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Nun dränge die Zeit, nicht nur wegen drohender Verjährung, warnt Heyer.
Es geht um Tausende Euro pro Vertrag
„Die Betroffenen sind oft im Rentenalter“, klärt sie auf. Viele seien auf das Geld angewiesen, um ihre Pflege zu finanzieren. Sparerehepaare, die einen Rechtsstreit begonnen haben, seien in mehr als nur Einzelfällen mittlerweile allein, weil ein Partner schon verstorben ist. „Nach unseren Berechnungen geht es im Schnitt um 3600 Euro pro Vertrag, bei einem Einzelfall sogar um 97.000 Euro“, sagt Heyer.
Mit ihrer Aktion vor der DSGV-Zentrale wollen die drei Bündnispartner öffentlichen Druck aufbauen und die Sparkassen dazu bringen, ihr Spiel auf Zeit zu beenden. Dazu haben sie auch eine Onlinepetition namens „Zahlt endlich die Zinsen“ gestartet, bei der nicht nur betroffene Prämiensparerinnen und -sparer unterschreiben können.
„Sparkassen sind öffentlich-rechtliche Institute mit besonderer Verantwortung“, redet Merzbacher den Bankern ins Gewissen. Bislang würden die aber nur verzögern und auf Verjährung setzen oder darauf, dass die Kundschaft wegstirbt.
Der Wirbel, den das Bündnis jetzt veranstaltet, soll auch weitere Prämiensparer und Prämiensparerinnen dazu bringen, sich den für sie kostenlosen Musterklagen anzuschließen. Denn nur wer Ansprüche anmeldet, sei vor Verjährung geschützt, warnen die Aktivisten. Man habe auch schon die Sparkassen aufgefordert, auf Verjährung zu verzichten und Abschlagszahlungen zu leisten. Bis auf wenige Ausnahmen habe das aber kein Institut getan, rügt Heyer.