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Die EZB ist auf dem Zinsgipfel angekommen

Zum zehnten Mal steigen die Leitzinsen im Euro-Raum. Das entschied die EZB am Donnerstag.

Zum zehnten Mal steigen die Leitzinsen im Euro-Raum. Das entschied die EZB am Donnerstag.

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Es war eine der schwierigsten Entscheidungen, vor denen die Europäische Zentralbank je stand. Manche waren dramatischer, aber den geldpolitischen Krisenmodus haben die Notenbanker längst verinnerlicht. Doch dieses Mal ging es um eine Abwägung: Zum zehnten Mal die Zinsen erhöhen – mit dem Risiko, so endgültig eine Rezession zu provozieren? Oder eine Pause einlegen – wohl wissend, dass der Ruf als Inflations­bekämpfer endgültig ruiniert wäre, falls die Teuerung wieder zulegt?

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Sie haben sich für die Erhöhung entschieden, denn nichts ist schlimmer für Notenbanker als eine beschädigte Glaubwürdigkeit. Streng sachlich gäbe es gute Gründe, jetzt erst einmal die Wirkung der bisherigen Leitzins­erhöhungen abzuwarten. Immerhin wirken sie in Gestalt einer gebremsten Konjunktur und deshalb sinkenden Inflation. Doch die jüngsten Daten haben gezeigt, dass die Teuerung hartnäckig ist, und vor allem hinterließen sie Spuren in den Köpfen: Die Inflations­erwartungen sind wieder gestiegen.

Die EZB muss gegen ihr Versäumnis anarbeiten

Das ist fatal, denn wenn Unternehmen und Konsumenten mit weiter stark steigenden Preisen rechnen, handeln sie entsprechend – und treiben selbst die Inflation: Lohn­forderungen fallen höher aus, Verkaufs­preise werden in Erwartung steigender Kosten erhöht. Die Erwartungen in den Griff zu bekommen ist deshalb die wichtigste Aufgabe einer Notenbank bei der Inflations­bekämpfung.

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Das war der EZB bisher nur zum Teil gelungen – auch, weil sie nun wirklich keinen beeindruckenden Ruf in dieser Richtung hatte. Zehn Jahre lang hatten die Währungs­hüter lockere Geldpolitik zu einer Art Allheilmittel erhoben und Inflation zum Fall für die Geschichts­bücher erklärt. Entsprechend lange haben sie gebraucht, um das Gegenteil zur Kenntnis zu nehmen. Auch gegen dieses Versäumnis muss die EZB jetzt anarbeiten.

Sie geht dafür ein erhebliches Risiko ein. Denn Inflations­bekämpfung gibt es nicht zum Nulltarif: Höhere Zinsen sollen die Nachfrage bremsen – also die Konjunktur schwächen. Doch die steht ohnehin schon auf wackligen Beinen. Die EZB hat am Donnerstag demonstrativ ihren Auftrag über andere Interessen gestellt: Die Inflation wird bekämpft, auch wenn die Wirtschaft dafür vielleicht in die Rezession rutscht. Seit gut einem Jahr agiert die Zentralbank in dieser Hinsicht sehr konsequent. Hätte sie es schon früher getan, müsste sie ihre Entschlossenheit jetzt vielleicht gar nicht mehr beweisen.

Inflationsrate sinkt nur langsam: 6,1 Prozent im August

Die Teuerung in Deutschland hält sich trotz eines erneuten Rückgangs hartnäckig über der Marke von 6 Prozent.

Dieser Zinsschritt dürfte der letzte gewesen sein

Die Folgen könnten gerade für die deutsche Wirtschaft spürbar sein, denn sie gehört aktuell zu den schwächeren in Europa und reagiert mit ihrer kapital­intensiven Industrie besonders auf Zins­änderungen. Der Rest Europas mag das als ausgleichende Gerechtigkeit verstehen: Die deutsche Industrie hat auch in besonderem Maß von der Nullzins­politik profitiert.

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Für Sparer könnten nun tatsächlich bessere Zeiten anbrechen. Nicht nur, dass die Zinsen für kurzfristige Geldanlagen noch einmal steigen dürften. Gleichzeitig sinkt die Inflation, und so kommt langsam eine positive Real­verzinsung in Reichweite: Das Ersparte könnte schneller wachsen, als die Inflation es auffrisst. Und die berühmten „Häuslebauer“? Trotz Leitzins­erhöhung wird die Hypothek nicht mehr wesentlich teurer, vielleicht sogar im Gegenteil: Am Kapitalmarkt sind die langfristigen Zinsen nach dem EZB-Beschluss gefallen.

Die scheinbar paradoxe Reaktion zeigt, dass die Zentralbank ihr wichtigstes Ziel erreicht hat. Sie hat nun endlich die nötige Glaubwürdigkeit als Kämpferin gegen die Inflation erlangt. Dieser jüngste, vielleicht schon nicht mehr nötige Zinsschritt dürfte der letzte in einem beispiellosen Zyklus gewesen sein. Der Zinsgipfel ist wohl erreicht, das Vertrauen in einen nachhaltigen Rückgang der Inflation wächst wieder. So hat die Europäische Zentralbank viel richtig gemacht – nur zu spät.

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