Wirecard-Skandal immer größer - was wusste die Politik?
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Aschheim Bei München: Der Schriftzug von Wirecard ist an der Firmenzentrale des Zahlungsdienstleisters zu sehen.
© Quelle: Tobias Hase/dpa/imago-images/RND Montage
München/Berlin. Der Betrugsskandal beim Dax-Konzern Wirecard erreicht eine neue Dimension: Die Münchner Staatsanwaltschaft geht mittlerweile von “gewerbsmäßigen Bandenbetrug” seit 2015 aus, wie die Ermittlungsbehörde mitteilte, mehr als drei Milliarden Euro könnten verloren sein. Derweil gerät die Bundesregierung politisch weiter unter Druck, weil Kanzlerin Angela Merkel (CDU) noch 2019 in China bei der Pekinger Führung für den geplanten Markteintritt des Konzerns in der Volksrepublik warb.
Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft laufen darauf hinaus, dass der Dax-Konzern womöglich seit 2015 von einer kriminellen Bande geführt wurde - ein in der Geschichte der deutschen Börsen-Oberliga noch nicht da gewesener Vorgang. "Banken in Deutschland und Japan sowie sonstige Investoren stellten, durch die falschen Jahresabschlüsse getäuscht, Gelder in Höhe von rund 3,2 Milliarden Euro bereit, die aufgrund der Insolvenz der Wirecard AG höchstwahrscheinlich verloren sind", hieß es in der Mitteilung der Ermittler.
Ex-Vorstandschef Markus Braun wurde nun zum zweiten Mal innerhalb eines Monats in Untersuchungshaft genommen - und anders als Ende Juni auch nicht mehr gegen Millionenkaution auf freien Fuß gesetzt. Das teilte die Münchner Staatsanwaltschaft mit. Ebenfalls mit Haftbefehl hinter Gittern sitzen nun der frühere Finanzvorstand Burkhard Ley und der Chef der Buchhaltung.
Der größte Betrugsfall der Nachkriegsgeschichte?
Sollten sich die Vermutungen bestätigen, könnte Wirecard zum größten Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte werden. Bisheriger Spitzenreiter ist das badische Unternehmen Flowtex, das in den 1990er Jahren mit dem Verkauf nicht existenter Spezialbohrmaschinen einen Schaden von gut zwei Milliarden Euro angerichtet hatte.
Auch für die Bundesregierung wird der Skandal immer ungemütlicher. Kanzlerin Merkel warb 2019 in China noch für Wirecard, als bei der Finanzaufsicht Bafin die Vorwürfe gegen das Unternehmen längst bekannt waren. Als Fürsprecher von Wirecard betätigte sich auch der Ex-Geheimdienstkoordinator der Regierungszentrale, CDU-Politiker Klaus-Dieter Fritsche. Innerhalb der Koalition ist längst ein Streit über Verantwortlichkeiten ausgebrochen.
Wirecard-Manager waren mehrfach im Kanzleramt
Das Bundeskanzleramt bestätigte, dass es seit Ende 2018 mehrmals Kontakt mit Wirecard-Managern und Beratern gab. Unter anderem wandte sich der von 2014 bis zum Frühjahr 2018 für die Geheimdienste zuständige Ex-Staatssekretär Fritsche an das Kanzleramt und bat um einen Gesprächstermin für die Wirecard AG. Zur Vorbereitung bat das Kanzleramt beim Finanzministerium um Informationen zum Unternehmen. Das Finanzressort schickte dann “öffentlich verfügbare Informationen” ans Kanzleramt - darunter Antworten der Regierung auf Anfragen der Opposition, bei denen es um Vorwürfe gegen Wirecard ging, etwa zu Unregelmäßigkeiten bei der Rechnungslegung.
Auf ihrer China-Reise im September 2019 sprach Merkel bei der Pekinger Führung das Thema der geplanten Übernahme des chinesischen Unternehmens AllScore Financial durch Wirecard an. Merkel habe zum Zeitpunkt der Reise “keine Kenntnis von möglichen schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei Wirecard” gehabt, so der Sprecher. Dass deutsche Spitzenpolitiker einschließlich der Kanzlerin auf Auslandsreisen für deutsche Firmen werben, ist Usus.
Scholz wehrt sich gegen Vorwürfe
Laut Kanzleramt hat Ex-Vorstandschef Braun auch bei diesen Kontakten in die deutsche Regierungszentrale noch die Fälschungsvorwürfe bestritten. Linke-Fraktionsvize Fabio De Masi sagte zu den neuen Details: "Die Affäre Wirecard wird immer undurchsichtiger."
Derweil bekommt Finanzminister Scholz mittlerweile Beistand von seinem Parteivorsitzenden: ”Aus meiner Sicht reagiert das Ministerium klar und sauber. Es wird nicht gemauert”, sagte Norbert Walter-Borjans der Süddeutschen Zeitung. Scholz ist in Bedrängnis, nachdem Wirecard im Juni Luftbuchungen in Höhe von mutmaßlich 1,9 Milliarden Euro eingeräumt hatte und wenig später Insolvenz anmeldete.
Kommt ein Untersuchungsausschuss?
Bereits seit Jahren gab es Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei dem Konzern, der Finanzaufsicht Bafin lagen Indizien schon im Februar vergangenen Jahres vor. Damals witterten viele allerdings eine Attacke von Spekulanten auf Wirecard. Staatsanwälte ermittelten gar gegen Journalisten der Financial Times, die über Vorwürfe gegen Wirecard berichtet hatten. Und die dem Finanzministerium unterstellte Bafin verbot Leerverkäufe von Wirecard-Anteilen, worauf Spekulanten an Finanzmärkten angewiesen sind.
Dass es nicht um eine Attacke von Spekulanten, sondern möglicherweise um Bandenbetrug durch Wirecard-Manager geht, wird nun immer klarer - was auch Fragen an die zuständigen Politiker aufwirft. Die Opposition wartet nun auf eine Sondersitzung des Finanzausschusses im Bundestag, bei der sich Scholz und Wirtschaftsminister Altmaier Fragen zum Wirecard-Skandal stellen sollen. Längst ist aber auch die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss im Gespräch.
RND/hö/dpa