Werte von 255 Milliarden Euro vernichtet: Klimawandel und La Niña fordern Tribut
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Sturmschaden: In Seelze stürzt ein Baum auf geparkte Autos.
© Quelle: Andreas Schulze
München. Wetterbedingte Naturkatastrophen sind ein Spiegel des Klimawandels. Das belegt eine jährliche Bilanz des Versicherungsriesen Munich Re für Schäden aus Überschwemmungen, Stürmen und anderen Naturgewalten. Die haben 2022 im globalen Maßstab Werte von 255 Milliarden Euro vernichtet. Ein Drittel ging auf das Konto von US-Hurrikan „Ian“.
Im Vergleich zu 2021 mit über 300 Milliarden Euro Gesamtschäden brachte das Vorjahr zwar einen Rückgang. Aber die Schadensbilanz 2022 entspricht dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre und ist somit kein Indiz für eine Entwarnung. Zudem blieb das Ausmaß versicherter Schäden mit 113 Milliarden Euro gegenüber 2021 konstant hoch. „Der Klimawandel fordert zunehmend Tribut“, betont Munich-Re-Vorstand Thomas Blunck.
2022 sei dominiert von Ereignissen, die nach dem Stand der Forschung mit Blick darauf stärker oder häufiger werden, manche auch beides, warnt der Versicherungsmanager. Warum unsere Breitengrade dabei traditionell glimpflicher davonkommen als die USA, erklärt Munich-Re-Chefklimatologe Ernst Rauch. „In Europa erreichen Naturereignisse an Größe und Intensität nicht diejenigen in Nordamerika, die Wertekonzentration dort ist vergleichsweise höher und das bei zugleich leichterer Bauweise.“
Florida: Zahl der Todesopfer nach Hurrikan „Ian“ steigt
Nach einem Hurrikan in dem US-Bundesstaat Florida kamen laut offiziellen Angaben mehr als 80 Menschen ums Leben.
© Quelle: Reuters
Was dennoch auch vor unserer Haustür passieren kann, wenn Klima und Natur aus den Fugen geraten, haben die Sturzfluten im Ahrtal 2021 gezeigt. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis sich Ähnliches wiederhole, stellt Rauch klar. Über 8 Milliarden Euro hat die Versicherungswirtschaft für die Katastrophe im Ahrtal berappen müssen. Es könnte schlimmer kommen. „Wir sind definitiv auf mehr vorbereitet“, räumt Rauch ein. 2022 war aber für Deutschland ein durchschnittliches Schadensjahr mit vernichteten Werten durch Stürme, Hagel und Starkregen im Umfang von rund 4,3 Milliarden Euro.
Einen Monsterhurrikan wie „Ian“ in den USA 2022 werde es in Europa absehbar auch nicht geben, schränkt der Experte ein. Der bis zu 250 Stundenkilometer schnelle Wirbelsturm hat allein Werte von 94 Milliarden Euro vernichtet. Inflationsbereinigt war er damit für die Assekuranz der zweitteuerste Sturm der Geschichte. Allgemein hätten zwei Faktoren die Naturkatastrophenbilanz 2022 geprägt, erklärt Rauch. Neben dem Klimawandel sei das mit La Niña ein natürliches Phänomen gewesen. Dieser Begriff bezeichnet eine zyklische Klimaschaukel, die unter anderem das Entstehen von Wirbelstürmen begünstigt.
Andere Folgen waren 2022 auch Hochwasser in Australien, Hitze und Trockenheit in China oder Extrem-Monsun in Asien. Letzterer hat zudem die im Vorjahr größte humanitäre Naturkatastrophe ausgelöst. In Pakistan war der Monsunregen 2022 begünstigt von beschleunigter Gletscherschmelze fünf bis sieben Mal so stark wie üblich, was 1.700 Menschen das Leben gekostet hat.
Schäden über dem Niveau der Ahrtal-Katastrophe drohen
In Europa drohen klimabedingte Gefahren vor allem durch Winterstürme und Starkregen, erklärt Rauch. Von der Dimension her bereite sich die Assekuranz darauf vor, dass derartige Naturkatastrophen europaweit auch absehbar deutlich über 10 Milliarden Euro vernichten können sowie ein Zehnfaches dessen in Nordamerika. Policen gegen Naturkatastrophen werde es trotz zunehmender Schäden aber weiter geben, versichert der Experte.
Die eigentliche Frage sei, ob Verbraucherinnen und Verbraucher immer höhere Prämien dafür bezahlen wollten oder könnten. „Wenn die Risiken steigen, müssen sich auch die Prämien erhöhen, um langfristig umfassenden Versicherungsschutz anbieten zu können“, stellt Rauch klar. Eine Police gegen Naturgefahren könne künftig möglicherweise nur noch bezahlen, wer etwa sein Haus baulich gegen Hochwasser schützt oder besser noch abseits sich ausbreitender Hochrisikogebiete baut.
USA und Europa
Die Schadensbilanz der Munich Re zu Naturkatastrophen 2022 ist erst eine vorläufige. Denn mit dem Wintersturm Elliott in Nordamerika ist ein Großschaden finanziell noch nicht erfasst. Bei Temperaturen von bis zu minus 40 Grad Celsius waren in den USA bis zu 1,7 Millionen Haushalte dadurch zeitweise ohne Strom. Über 50 Menschen mussten ihr Leben lassen. Das ganze Ausmaß solcher Katastrophen zeigt sich der Erfahrung nach erst bei Schneeschmelze. Auch in Europa brachte 2022 teils extreme Temperaturen. In Großbritannien stiegen sie erstmals überhaupt über 40 Grad Celsius. In Deutschland und Italien kam wegen niedriger Pegel die Binnenschifffahrt zeitweise zum Erliegen. Waldbrände vernichteten in der EU eine Fläche von 800.000 Hektar. Das ist zweieinhalb Mal so viel wie im Schnitt der letzten 15 Jahre. Hagelkörner wiederum erreichten die Größe von Tennisbällen. Relativ gesehen waren die Schäden aber aus Sicht der Assekuranz 2022 überschaubar.
Vor allem zwei Policen käme mit Blick auf den Klimawandel besondere Bedeutung zu: Versicherungen gegen Ernteausfall und Elementarschäden. Erstere gibt es in Deutschland nur rudimentär, zweitere hat bundesweit nur jeder zweite Hauseigentümer und jede zweite Hauseigentümerin, weshalb hier verstärkt nach der extrem kostspieligen Katastrophe im Ahrtal eine Pflichtpolice in der Diskussion war. Erst im vorigen Dezember hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ihr eine Absage erteilt. Elementarschäden werden für unversicherte Betroffene damit absehbar weiter aus Steuergeldern ausgeglichen.
„Wir können damit leben, könnten es aber auch mit einer Pflichtversicherung, die risikodifferenzierende Preise beinhaltet“, stellt Rauch für die Munich Re klar. Gleiches gelte für eine Ernteausfallpolice, die es verpflichtend mit großem Erfolg etwa in den USA gebe. Bei der nächsten Naturkatastrophe in Deutschland würden die Diskussionen darüber wohl wieder aufflammen, glaubt der Chefklimatologe der Munich Re.