Solarforscher: „Wir müssen jetzt sehr schnell handeln“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/YB3F5JXYQWY26J7UK24GVWRNCY.jpg)
Montage von Fotovoltaikmodulen auf dem Dach eines Wohnhauses.
© Quelle: Marijan Murat/dpa/Symbolbild
Andreas Bett ist seit 2017 Direktor des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE. Zudem hat er eine Professur für Solare Energietechnologien an der Uni Freiburg. Der studierte Physiker und Mathematiker arbeitet seit 1987 am ISE, das als eines der renommiertesten Forschungsinstitute weltweit auf dem Gebiet der Photovoltaik gilt. Im RND-Interview macht er sich für einen Wiederaufbau der europäischen Solarindustrie stark, und zwar über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg: Vom wichtigsten Rohstoff (Silizium) bis zu den Modulen, die auf Hausdächern montiert werden. Für Bett besteht kein Zweifel, dass die Fotovoltaik auf dem Weg ist, zu einer globalen Schlüsselindustrie zu werden. Ihm geht es aktuell vor allem darum, die Abhängigkeit von der dominierenden chinesischen Solarindustie so schnell wie möglich zu überwinden. Aus diesem Grund befürwortet er auch den grünen Industrieplan der EU-Kommission, der massive Subventionen für klimafreundliche Technologien vorschlägt.
Herr Bett, die EU-Kommission will die grüne Wirtschaft massiv fördern. Ist dabei die Fotovoltaik die Schlüsselindustrie?
Ja, die Solarindustrie wird ganz sicher eine neue Schlüsselindustrie. Weltweit sind jetzt ungefähr insgesamt Anlagen mit einer Leistung von 1000 Gigawatt installiert. Die Modelle für die globale Energiewende gehen aber von 70.000 Gigawatt aus, um die Klimaneutralität zu schaffen. Bei der Fotovoltaik handelt es sich also um einen gigantischen Zukunftsmarkt.
Was macht Sonnenstrom so attraktiv?
Solarstrom kann schon jetzt für 1 bis 2 Cent pro Kilowattstunde in sonnenreichen Gegenden erzeugt werden. Es gibt keinen auch nur annähernd so billigen Strom wie die Fotovoltaik. Die Folge: Länder wie Saudi-Arabien starten jetzt große Projekte, um Wasserstoff oder synthetische Kraftstoffe herzustellen – das Erdöl der Zukunft.
Wer die Solartechnik beherrscht, ist im Wettbewerb vorne
Wer die Fotovoltaiktechnologie beherrscht, der hat künftig enorme Wettbewerbsvorteile?
Das ist genau meine These. Denn Energie ist das Lebenselixier nicht nur unserer Industrie, sondern unserer gesamten Gesellschaft.
Aber in diesen Tagen hat der Sonnenstrom hierzulande einen Anteil von manchmal nur 1 bis 2 Prozent am Strommix. Ist das nicht ein bisschen wenig für eine Schlüsseltechnologie?
Genau darin liegt die Herausforderung. Das hat die aktuelle Bundesregierung akzeptiert – im Gegensatz zur vorherigen. Wir müssen jetzt schnell zubauen, nicht nur bei der Fotovoltaik, sondern auch beim Wind, weil diese beiden Erzeugungsformen sich gegenseitig ergänzen. Wir müssen regulativ besser werden, und zwar bei Solar und beim Wind. Die Bundesregierung ist an dem Thema der schnelleren Genehmigungsverfahren dran. Die sehr ehrgeizigen Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren bis 2030 können wir schaffen. Trotz Herausforderungen wie die fehlenden Handwerker, die PV-Anlagen installieren. Auch gibt es noch immer Probleme in den Zulieferketten.
Weil wir massiv von China abhängig sind?
Ja. Das ist eine sehr reale Gefahr. Jetzt ist genau das eingetreten, was wir bereits 2017 prognostiziert hatten. Über alle Wertschöpfungsketten hinweg kommt mittlerweile 90 Prozent der Hardware aus China. Die Fertigung der Wafer, das Vorprodukt der Solarzellen und -module, wird sogar zu 99 Prozent von China dominiert. Dabei waren wir in Europa in einer hervorragenden Position, weil die maßgeblichen Entwicklungen hier passiert sind. Doch China hat dann die Industrialisierung der Fotovoltaik betrieben. Dabei hat auch die Bundesregierung den Fehler gemacht, dass sie damals vor allem billigen Strom wollte – wie er hergestellt wird, war ihr egal.
Wie konkret sind die Gefahren?
Die chinesische Regierung denkt sehr konkret über Exportrestriktionen nach, und zwar auch für Fotovoltaik-Wafer. Das ist ein Damoklesschwert für die gesamte europäische Solarindustrie. Wenn solche Regelungen tatsächlich angewendet werden, dann können Hersteller von Solarzellen und Solarmodulen in ganz Europa gar nicht mehr oder nur noch sehr teuer an ihre Vorprodukte kommen.
EU produziert erstmals mehr Strom aus Erneuerbaren als aus Gas
Mit dem Krieg gegen die Ukraine kam auch die Energiekrise. Die EU beschloss ihre Abhängigkeit vom russischen Gas weitestgehend zu reduzieren.
© Quelle: dpa
Was können wir dagegen tun?
Wir brauchen industriepolitische Initiativen, um in Europa eine wettbewerbsfähige Fotovoltaikindustrie aufzubauen. Deshalb geht der Vorstoß der EU-Kommission in die richtige Richtung.
Große Verunsicherung bei Investoren
Aber passiert der Solarboom nicht quasi von selbst? Die Nachfrage nach billigem Solarstrom ist doch gigantisch?
Das stimmt. Die Nachfrage insbesondere von Hausbesitzern ist groß. Potenzielle Investoren für Solarfabriken sind aber sehr zurückhaltend, weil sie fragen: Was passiert, wenn China – wie schon einmal vor rund zehn Jahren passiert – Dumpingpreise für Europa macht, um andere Anbieter zu verdrängen? Also ein Überschwemmen des Marktes mit Modulen, die unter den Herstellungskosten offeriert werden. Das könnte hiesige Businessmodelle ganz schnell zermalmen. Deshalb brauchen wir Absicherungen, damit Investoren ihr privates Geld zur Verfügung stellen. Ein weiterer Faktor zur Verunsicherung von Investoren sind die Pläne zur Abschöpfung von Mehrgewinnen bei Erneuerbaren, die durch hohe Strompreise entstanden sind.
Wie müssten diese Absicherungen aussehen?
Das könnte einerseits so aussehen, dass der CO₂-Footprint bei der Herstellung mitbewertet wird. Da ist Europa schon erheblich effizienter als China. Wichtig ist dabei, auf die gesamte Wertschöpfungskette zu schauen. Von der Herstellung des Siliziums bis zum Modul. Konkret würde das bedeuten, dass bei der Einfuhr chinesischer Produkte eine Art Einfuhrzoll je nach CO₂-Bilanz bei der Herstellung erhoben wird. Man sollte aber auch über das Thema Local Content nachdenken. Also dass über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg in Europa hergestellte Vorprodukte verwendet werden. Die USA machen uns das gerade mit ihrem Inflation Reduction Act vor. Die Alternative wäre, Risiken durch noch höhere direkte staatliche Subventionen abzufedern.
Reichen Subventionen für die Ansiedlung von Solarfabriken oder müssen wir auch auf die laufenden Kosten schauen?
Auch da muss sich was tun. Die Strompreise sind bei uns zu hoch. Das macht sich besonders bei Firmen wie Wacker Chemie bemerkbar, die als Siliziumhersteller enorm viel elektrische Energie benötigen. Wie in den USA und in China müsste es einen garantierten günstigen Strompreis für solche Unternehmen geben. Das gilt ebenfalls für die Rohstoffe, die vorne in der Wertschöpfungskette benötigt werden. Weiter hinten in der Wertschöpfungskette – bei Zellen und Modulen – ist es wichtig, dass der Staat günstige Anschubfinanzierungen und Risikominimierungen bei Investitionen gewährleistet, etwa via Bürgschaften oder günstige Finanzierungen mithilfe der Staatsbank KFW.
Solarparks statt Energiepflanzen
Können wir all diese komplexen Anstrengungen nicht dadurch umgehen, dass wir den Solarstrom einfach aus sonnenreichen Ländern außerhalb der EU importieren?
Wir haben schon 2017 darauf gepocht, dass wir einen Heimatmarkt brauchen. Technisch ist es zwar durchaus denkbar, Sonnenstrom über Gleichstromkabel über Tausende Kilometer zu transportieren. Doch allein die Kabel würden riesige Mengen an Rohstoffen verschlingen, die aufwendig gewonnen werden müssen, insbesondere Kupfer oder Aluminium. Das steht nicht im Einklang mit einer CO₂-freien Wirtschaft. Und es wird Leitungsverluste geben. Deshalb brauchen wir kurze Wege. Flächen für Fotovoltaik und für Windräder haben wir dafür genug.
Das sehen viele Bauern anders.
Wir haben aber riesige landwirtschaftliche Flächen, auf denen Energiepflanzen angebaut werden, beispielsweise um Bioethanol zu erzeugen. Die Energieeffizienz würde aber um ein Vielfaches steigen, wenn wir stattdessen auf diesen Flächen Solarstrom produzieren. Zudem können wir Fassaden- und Dachflächen mit Fotovoltaik belegen. Das bringt theoretisch ausreichend Energie, um den gesamten Energiebedarf zu decken. Wir testen beim Fraunhofer ISE auch Agri-Fotovoltaik mit Doppelnutzung: Unter aufgeständerten Solaranlagen können zum Beispiel Äpfel angebaut werden.
Aber an teuren Speichern kommen wir nicht vorbei?
Wir brauchen Speicher auf verschiedenen Stufen. Um auch abends und nachts Strom zu liefern, brauchen wir große Batterien, die aber immer preiswerter werden. Zudem benötigen wir Langzeitspeicher. Da wird sicherlich grüner Wasserstoff, der aus Solarstrom gewonnen wird, eine wichtige Rolle spielen. Wir brauchen einen massiven Ausbau der Fotovoltaik selbst dann, wenn man den Sonnenstrom immer mal wieder vorübergehend abregeln muss, weil es an Kapazitäten in den Netzen fehlt und eine Überlastung verhindert werden muss. Die Solaranlagen haben eine Lebensdauer von mindestens 20 Jahren. Es muss nicht sofort alles perfekt sein. Wir müssen jetzt sehr schnell handeln.