Warum Einwanderung in die Sozialsysteme etwas Gutes ist
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Der Fachkräftemangel hat längst den Alltag der meisten Menschen erreicht.
© Quelle: Markus Scharf
Berlin. Die Debatte ist nicht neu und die Erkenntnis noch viel weniger. Deutschland fehlen Arbeitskräfte, und durch den demografischen Wandel sowie die gerade in der jüngeren Generation immer lauter eingeforderte Balance zwischen Arbeit und Freizeit wird das Problem in den kommenden Jahren eher größer als kleiner.
Egal ob in der Gastronomie, dem Maschinenbau, der Gesundheitswirtschaft oder der chemischen Industrie: Fachkräfte werden nahezu überall händeringend gesucht. Seit Jahren sind sich Kammern, Wirtschaftsforscher und Lobbyverbände einig darin, dass der Fachkräftemangel in Deutschland das Konjunkturrisiko Nummer eins ist – trotz des Ukraine-Kriegs, der Energiekrise, der Rohstoffknappheit und der Corona-Pandemie.
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Die Bausteine seien unter anderem ein Chancenaufenthaltsrecht und eine Erleichterung für die Fachkräftezuwanderung, so die SPD-Politikerin.
© Quelle: Reuters
Und es geht längst nicht mehr „nur“ um volkswirtschaftliches Wachstum oder die Gewinnerzielungsinteressen vermeintlich anonymer Großkonzerne. Es geht um uns alle. Unser ganz normaler Alltag funktioniert bereits heute oft nicht mehr richtig, weil diejenigen fehlen, die dafür sorgen könnten. Kinder werden nicht durchgehend betreut, Alte und Kranke nicht richtig gepflegt, Waren nicht rechtzeitig ausgeliefert. Die Liste ließe sich beliebig verlängern.
Dass die Politik gegensteuern muss, bezweifelt niemand mehr. Streit gibt es nur noch um die Wahl der richtigen Instrumente.
Kanada steuert Zuwanderung seit den 1960er-Jahren über ein Punktesystem
Die Ampelregierung setzt darauf, die Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland zu forcieren. Eine Anwerbeinitiative soll gestartet, Bürokratie im Aufenthalts- und Arbeitsrecht abgebaut sowie die Anerkennung ausländischer Abschlüsse vereinfacht werden. Außerdem will die Bundesregierung die Zuwanderung von Nicht-EU-Ausländerinnen und ‑Ausländern über ein Punktesystem steuern, wie es zum Beispiel Kanada bereits seit den 1960er-Jahren erfolgreich praktiziert.
All diese Schritte sind überfällig, wenn wir verhindern wollen, dass Wohlstand verloren geht und das Sozialsystem kollabiert. Denn es ist ein weit verbreiteter Irrglaube, dass „Einwanderung in die Sozialsysteme“ etwas per se Schlechtes sei. Das Gegenteil ist der Fall: Wir müssen froh sein über jeden Einwanderer, der hier arbeitet und Steuern sowie Abgaben für Kranken-, Arbeitslosen-, Renten- und Pflegeversicherung bezahlt. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die allermeisten Einwanderinnen und Einwanderer kommen, um genau das zu tun.
CDU-Chef Friedrich Merz weiß das alles sehr genau. Seine Freunde aus der Wirtschaft werden es dem früheren Blackrock-Aufsichtsrat oft genug erklärt haben. Dass Merz dennoch sein Unbehagen gegen eine forcierte Einwanderungspolitik äußert, ist billiger Populismus, der seiner Hoffnung entspringt, mit dieser Haltung in konservativen Kreisen punkten zu können.
Jede Pflegerin und jeder Erzieher sind heilfroh über Unterstützung – egal, woher
Die Strategie ist hochriskant – nicht nur für den Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern auch für den Unionschef selbst. Denn die Zeiten, in denen deutsche Beschäftigte Angst vor Billigkonkurrenz aus dem Ausland hatten, sind vorbei. Jede Pflegekraft, jeder Servicemitarbeiter im Restaurant und jede Erzieherin ist inzwischen heilfroh über Unterstützung – ganz egal, woher die kommt.
All diese Leute, die zusammen das oft bemühte Rückgrat der Gesellschaft bilden, wird Merz mit seinen Ressentiments kaum für sich gewinnen können. Und bei denjenigen, die ihm in der Frage zustimmen, ist die Chance groß, dass sie am Wahltag ihr Kreuz nicht bei der Union, sondern bei der AfD machen.
Recht hat der CDU-Chef mit seiner Forderung, dass Deutschland alle Optionen nutzen müsse, um die Zahl der Arbeitskräfte zu erhöhen. Die Arbeitslosigkeit abzubauen gehört genauso dazu wie mehr Frauen in Vollzeitberufe zu bringen und die Lebensarbeitszeit zu erhöhen. Anders als Merz es darstellt, sind Zuwanderung und Mobilisierung inländischer Kräfte aber keine Frage der Prioritätensetzung. Es geht nicht um Entweder-oder. Es geht um Sowohl-als-auch.