Teures Gas: der Preis der Freiheit
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Deutschland muss sich von russischem Gas unabhängig machen, kommentiert Andreas Niesmann.
© Quelle: Sergei Chuzavkov/AP/dpa
Berlin. Das Scheitern ist die Stunde der Rechthaber. „Wir haben es euch gesagt“ – so klingt der Chor der Transatlantiker, Umweltschützer und Russland-Kritiker nun in seltener Einstimmigkeit. Und es ist ja leider wahr: An Warnungen vor den Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 hat nie gemangelt. Waren Energieversorger, Bundesregierung und deutsche Wirtschaft zu naiv im Umgang mit Russland? Aus heutiger Sicht deutet vieles darauf hin.
Das Nord-Stream-Projekt und mit ihm die gesamten deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen basierten auf der Grundannahme, dass Wladimir Putin trotz all der Provokationen, Menschenrechtsverstöße und Demokratiedefizite am Ende des Tages rational handeln würde. Dass er, wenn schon nicht ein Interesse am Wohlergehen des russischen Volkes, so doch wenigstens eines an der Entwicklung der russischen Wirtschaft hätte.
Die völkerrechtswidrige Annexion der Krim hat 2014 erste Zweifel an dieser Vorstellung aufkommen lassen, in dieser Woche ist sie gestorben.
Die Bundesregierung steht vor den Trümmern ihrer Energie- und Russland-Politik. Dass sie deshalb von Beginn an falsch war, ist trotzdem Unsinn. Der Versuch, Russland durch engere Wirtschaftsbeziehungen politisch stärker an Deutschland und Europa zu binden, hätte funktionieren können und hat das eine ganze Weile auch getan.
Billiges Gas für harte Euro, mit denen sich wiederum Autos, Maschinen und Anlagen aus deutscher Produktion kaufen lassen – dieses Modell hatte seinen Charme. Berlin war sogar bereit, dafür osteuropäische Empörung und amerikanische Zweifel an der deutschen Bündnistreue in Kauf zu nehmen. All das hat Putin nun in wenigen Tagen mutwillig und auf Jahre zerstört. Es nützt nichts zu lamentieren, Deutschland muss die richtigen Schlüsse ziehen.
Die Versorgung mit Energie muss diverser werden. Weil es gute Gründe für Kernkraft- und Kohleausstieg gibt, führt am Einsatz von Gas als Brückentechnologie kein Weg vorbei. Ein forcierter Ausbau der regenerativen Energien könnte die Brücke verkürzen, zehn bis 20 Jahre werden wir aber auf Erdgas als Energieträger angewiesen sein.
Ziel ist Unabhängigkeit von Russland
55 Prozent des deutschen Bedarfs kommen aus Russland. Der Anteil muss runter. Nicht auf null, aber doch so weit, dass ein kurzfristiger Lieferstopp auch im Winter abzufedern wäre.
Es braucht dazu einen Mix an Maßnahmen. Verhandlungen mit verlässlichen Förderländern wie Norwegen gehören ebenso dazu wie Gespräche mit den Niederlanden über eine mögliche Verlängerung der Förderung im Groninger Feld. Auch die seit Jahren zurückgehende Erdgasförderung in Deutschland ließe sich wieder steigern, und dazu wäre noch nicht einmal eine Erlaubnis für das umstrittene Schiefergasfracking nötig. Es würde schon reichen, das seit Jahrzehnten übliche und erprobte „konventionelle“ Fracking in Sandgestein wieder anzukurbeln.
Strengere Vorgaben für die Befüllung der Speicher können ebenfalls einen Beitrag leisten. Und dann sind da noch die geplanten Flüssiggasterminals an der deutschen Nordseeküste, die endlich gebaut werden müssen. Die Wirtschaftlichkeit der Projekte ist zwar ungewiss, als Versicherung aber taugen sie allemal, und Versicherungen gibt es eben nicht zum Nulltarif.
Bundesregierung muss Preisanstieg abfedern
Das ist die gute Nachricht unter all den schlechten: Die Energiekrise lässt sich mit Geld lösen. Die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas bezieht sich weniger auf das Molekül als auf den Preis. Putin hat am billigsten geliefert. Nun wird es teurer.
Die Bundesregierung hat es in der Hand, den Preisanstieg abzufedern. Etwa ein Drittel des Preises entfallen auf Steuern und Abgaben. Da ist viel Luft nach unten. Senkungen werden zwar Löcher in den Bundeshaushalt reißen und damit am Ende alle belasten. Aber das ist eben der Preis der Freiheit.