Studie: Die Corona-Krise belastet Frauen offenbar mehr als Männer
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Ob an der Supermarktkasse oder in der Pflege: Viele nun als systemrelevant geltenden Berufe werden vor allem von Frauen ausgeübt.
© Quelle: Frank Molter/dpa
Ob an der Supermarktkasse oder im Krankenhaus – jetzt, in der Corona-Krise, fällt auf, dass viele Frauen in den sogenannten systemrelevanten Berufen arbeiten. Im Interview erklärt die Berliner Soziologin Lena Hipp vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), wie das zustande gekommen ist. Und, warum die aktuelle Krise die Ungleichheit der Geschlechter verschärfen könnte. Denn erste Forschungsergebnisse zeigen: Die Krise belastet Frauen offenbar mehr als Männer.
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Frau Prof. Hipp, ich erreiche Sie im Home-Office, ihre Kinder sind auch zu Hause. Ist es für sie eine ungewohnte Situation „gleichzeitig“ zu erziehen und zu arbeiten?
Im Wissenschaftsbereich ist es nicht so unüblich, auch in den eigenen vier Wänden zu arbeiten. Die größte Umstellung jetzt ist für mich, dass auch die Kinder da sind. Und nach einigen Tagen Erfahrung damit kann ich nur sagen, dass es fast unmöglich ist, neben der Arbeit auch Kinder zu betreuen.
In meinem Umfeld und in sozialen Medien gibt es viele Paare, bei denen nun eher die Frau sich um die Kinder kümmert, während der Mann Home-Office macht. Droht vielen Frauen nun eine Doppelbelastung?
Es kann gut sein, dass Frauen nun eine viel höhere Belastung als Männer haben. Sie arbeiten im Homeoffice und sind dort gleichzeitig noch für das Homeschooling verantwortlich. Das lässt wenig bis kaum Zeit, tatsächlich zu arbeiten. Oder sie arbeiten in systemrelevanten Berufen, schieben dort Überstunden und stehen abends vor leeren Supermarktregalen. Vielleicht nehmen sie außerdem mangels Betreuungsmöglichkeiten Minusstunden in Kauf, die sie nacharbeiten müssen. Die Ungleichheiten, die es schon zu Normalzeiten gibt, könnten sich nun massiv verschärfen. Erste Ergebnisse, die durch unsere, immer noch laufende Onlinebefragung www.corona-alltag.de gewinnen können, weisen in diese Richtung.
Frauen wegen Corona-Krise unzufriedener als Männner
Sie haben diese ersten Ergebnisse jüngst vorgestellt - wie kann man die Situation zusammenfassen?
Unsere Auswertungen der Daten für die ersten zwei Wochen zeigen, dass die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie bestimmten Personengruppen mehr zu schaffen machen als anderen. Selbständige – defacto sind das häufiger Männer – trifft es härter als abhängig Beschäftigte. Sie sind mit höherer Wahrscheinlichkeit nicht beschäftigt oder arbeiten weniger, machen sich größere Sorgen und sind mit der Situation unzufriedener. Ähnliches beobachten wir bei Personen, die einen oder keinen Ausbildungsabschluss haben im Vergleich zu Hochschulabsolventen. Auch Eltern haben es verglichen mit Kinderlosen schwerer. Sie reduzieren ihre Arbeitszeit derzeit mit höherer Wahrscheinlichkeit als Nicht-Eltern nicht und sind unzufriedener mit ihren Jobs.
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Lena Hipp ist Professorin an der Universität Potsdam. Die 1977 geborene Sozialwissenschaftlerin forscht am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) unter anderem zur Ungleichheit von Geschlechtern und zur Frage, inwiefern bestimmte Tätigkeiten vor allem von Frauen erledigt werden.
© Quelle: WZB Potsdam
Und erlauben die Daten auch Aufschlüsse über die Situation von Frauen?
Die Erkrankungs- und Letalitätszahlen weltweit zeigen ja, dass Männer diejenigen sind, die stärker von Corona betroffen sind als Frauen. Bei den sozialen Auswirkungen sieht es anders aus. Wir haben bislang erst sehr wenige unserer Fragen ausgewertet. In punkto Geschlechterunterschiede ist aber schon jetzt zu sehen, dass die Zufriedenheit von Frauen mit ihrer Arbeit, aber auch mit ihrem Leben im Allgemeinen, bereits in den ersten Wochen nach den Schul- und Kitaschließungen stärker abgenommen hat, als bei Männern.
Eine andere Frage: Es gibt etwa 1,5 Millionen alleinerziehende Frauen in Deutschland. Was glauben Sie, wie die Krise diese trifft?
Bislang sehen wir keine großen Unterschiede zwischen Eltern in Paarbeziehungen und Alleinerziehenden. Dennoch würde ich die Prognose wagen, dass insbesondere Alleinerziehende und deren Kinder mittel- und langfristig härter von den Auswirkungen der Corona Pandemie betroffen sind als Paare mit Kindern. Schulen und Betreuungseinrichtungen sind geschlossen. Wer kümmert sich Kinder, wenn nicht der andere Elternteil übernehmen kann? Und, wie kann man seiner Arbeit nachgehen, ganz gleich ob daheim oder am Arbeitsplatz, wenn die Kinderbetreuung nicht gesichert ist. Das gleiche Problem haben natürlich auch alleinerziehende Väter. Aber hiervon gibt es deutlich weniger und meist haben alleinerziehende Väter auch schon ältere Kinder.
Sie untersuchen Ungleichheiten der Geschlechter wissenschaftlich. Was genau meinen Sie damit in Bezug auf das Familienleben?
Auch zu normalen Zeiten interessiere wir uns in meinem Team für Ungleichheiten, die aufgrund familiärer Verantwortlichkeiten zustande kommen. Wir schauen uns an, wer zuhause die Hausarbeit in welchem Umfang macht, wer bezahlter Arbeit in welchem Umfang nachgeht – und wieviel Männer und Frauen dabei verdienen. Wir befassen uns also mit einer Reihe von messbaren Ungleichheitsdimensionen. Und im Durchschnitt sehen wir, dass Frauen hinter Männern zurückstecken. Sie sind in deutlich geringerem Umfang erwerbstätig, seltener in höheren Positionen und häufiger in Jobs unter ihrem Qualifikationsniveau. Gleichzeitig verbringen sie deutlich mehr Zeit mit Hausarbeit und Kinderbetreuung.
Warum arbeiten so viele Frauen in systemrelevanten Berufen?
Zuletzt hatte man ein bißchen den Eindruck, dass sich solche Muster langsam wandeln – etwa, weil mehr Männer Interesse an Elternzeit haben. Könnte sich das nun beschleunigen, dadurch das viele Väter nun zu Hause sind?
Ich glaube, dass das davon abhängt, welche Erfahrung Väter nun machen: Ob sie das als gewinnbringend und schön empfinden. Oder nur als stressig, laut und chaotisch. Wenn Familien es schaffen, im Homeoffice auch eine gute gemeinsame Zeit zu haben, kann das Interesse wecken. Vielleicht sehen nun auch einige Väter, wie anstrengend die Kinderbetreuung sein kann – und wollen ihre Partnerinnen vielleicht künftig stärker entlasten. Unsere ersten Ergebnisse zeigen jedenfalls, dass Mütter und Väter im Homeoffice mit dem Familienleben derzeit zufriedener sind als vor der Pandemie. Hier müssen wir abwarten, wie sich das entwickelt.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung beziffert den Frauenanteil in den systemrelevanten Berufen auf etwa 75 Prozent.
Professorin Lena Hipp
Würden sie das, was überwiegend Frauen zu Hause leisten, eigentlich Arbeit nennen?
Natürlich! Hausarbeit und Kinderbetreuung sind anstrengend. Man liegt ja nicht auf dem Sofa und liest ein Buch, sondern ist von morgens bis abends auf den Beinen. Man kann diese Arbeiten ja auch outsourcen – auch wenn das im Moment eher nicht möglich ist. Aber dann würde man auch richtig viel Geld dafür bezahlen, dass jemand kocht, die Wäsche macht und mit dem Nachwuchs spielt.
Stichwort Erwerbsarbeit: Kassiererinnen, Pflegerinnen, Betreuerinnen - in den Schlagzeilen ging es zuletzt oft um Berufe, in denen viele Frauen arbeiten. Täuscht der Eindruck?
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung beziffert den Frauenanteil in den systemrelevanten Berufen auf etwa 75 Prozent. Es sind also überwiegend Frauen, die dieser Tage – wie auch in „normalen“ Zeiten – Arbeiten verrichten, die dringend gebraucht werden und das System am Laufen halten. Aber wir sehen das oftmals gar nicht richtig. Wer räumt die Regale im Supermarkt ein, wer pflegt Kranke und Alte? Frauenberufe sind in diesen Zeiten besonders gefragt, auch wenn einige typische Männerberufe ebenfalls systemrelevant sind.
Warum arbeiten denn so viele Frauen in diesen als systemrelevant geltenden Berufen?
Aus wissenschaftlicher Sicht ist das eine nicht vollständig geklärte Frage. Es gibt mehrere Theorien dazu. Haushalt, Erziehung und Pflege von Angehörigen sind Tätigkeiten, die Frauen schon immer und in hohem Maße unbezahlt erledigen. Möglicherweise ergreifen Frauen Gesundheits- und Erziehungsberufe, weil ihnen qua Geschlecht besondere Kompetenzen zugeschrieben werden. Früher sollten außerdem Berufe wie Hauswirtschafterin oder Kindermädchen junge Frauen auf ihre spätere Aufgabe als Mutter vorbereiten.
Für die Kassiererin im Supermarkt gilt das nicht. Wieso überwiegen in dem Bereich trotzdem Frauen?
Das hat einerseits etwas mit Rollenbildern zu tun: Wenn Mädchen ständig Frauen an der Supermarktkasse sehen, wird das als ein weiblicher und damit adäquater Beruf gesehen. Ähnliches gilt auch für andere Frauenberufe. Ein weiterer Aspekt ist der Wiedereinstieg nach der Geburt von Kindern. Die Jobs im Supermarkt sind oft auf Minijob-Basis oder Teilzeittätigkeiten. Und da ist es eben leichter, Erziehung und Lohnarbeit unter einen Hut zu bringen.
Die Arbeit von Frauen wird sichtbarer
Es fällt gleichzeitig auf, dass wir gerade eben überwiegend über tendenziell recht gering bezahlte Berufe gesprochen haben...
Es ist paradox, dass trotz hoher Nachfrage nach Pflege- und Erziehungspersonal und schwierigen Arbeitsbedingungen, die Einkommen in diesen Bereichen niedrig sind. Das hat unter anderem damit zu tun, dass Bereiche, in denen es nur geringe Produktivitätssteigerungen gibt. Pflegekräfte können nur schwerlich durch Maschinen ersetzen werden. Außerdem sind gerade im Bereich der Pflege Arbeitskräfte nur in geringem Maß gewerkschaftlich organisiert. Die Frage, ob es richtig ist, in solchen Bereichen stets möglichst viel zu sparen, stellt sich nun in der Krise erst recht - losgelöst davon, ob es um Männer oder Frauenberufe geht.
Glauben sie, dass durch die Krise nun sichtbarer wird, wie viel Arbeit Frauen leisten?
Wenn man versucht, dieser Krise etwas Positives abzugewinnen, ja. Die Arbeit von Frauen sowohl in der Pflege als in den Dienstleistungsberufen wird plötzlich sichtbarer. Das könnte zu mehr Wertschätzung führen.
Im ersten Weltkrieg arbeiteten mehr Frauen als je zuvor - wenig später kam das Wahlrecht für sie. Auch der Mythos Trümmerfrauen hat sich tief in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. Können Krisen zu dauerhaften Veränderungen der Geschlechterverhältnisse führen?
Ich bin da nur verhalten optimistisch. Bei den Trümmerfrauen sieht man, dass es zwar viel Lob und Anerkennung gab. Aber als der Krieg vorbei und die Männer wieder von der Front zurückgekehrt waren, hat es in Punkto Gleichstellung keine großen Verbesserungen gegeben. Deshalb wäre es für Frauen nach der Krise wichtig, das Momentum zu nutzen. Sonst sind Arbeit und Doppelbelastung wieder vergessen, wenn sich die Wogen glätten.
Was passiert mit Familien beim Ende des Lockdowns?
Sie betonen, dass Forschungen - etwa in Form ihrer Umfrage- noch laufen. Trotzdem die Frage: Worauf sollte die Politik jetzt schon achten?
Zentral für die Geschlechterunterschiede wird sein, wie lange die Kita und Schulschließungen noch andauern und wer dann für die Kinderbetreuung beruflich zurücksteckt. Zugleich gilt: Geht es um die Lockerung der Ausgangsbeschränkungen, sollten neben gesundheitlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten auch soziale Aspekte eine Rolle spielen. Wenn beispielsweise schrittweise wieder geöffnet werden, könnte das die Situation von Eltern mehrerer Kinder unterschiedlichen Alters immens erschweren. Arbeit, im Homeoffice oder außerhalb, wäre dann immer noch nicht wirklich möglich, gleichzeitig würde die Erkrankungswahrscheinlichkeit in der Familie zunehmen.
Haben Sie zum Abschluss einen Tipp, wie man die Arbeitsaufteilung in der eigenen Beziehung thematisieren kann - gerade in Punkto Homeoffice und Kinderbetreuung?
Auch mein Partner und ich lernen da gerade noch viel dazu. Was hilft, sind klare Absprachen, wer jeweils arbeitet und sich um die Kinder kümmert. Jetzt gerade gilt bei uns: Obwohl Mama nebenan sitzt, ist sie bei der Arbeit – und Papa ist für die Kinder da.
Hinweis: Die ursprüngliche Fassung des Gesprächs wurde um die Inhalte eines zweiten Interviews ergänzt.