Streiks bei der Bahn: Lokführergewerkschaft kämpft um mehr Geld und ihre Existenz

Ein Zug wird kommen? Verspätungen und Zugausfälle sind bei einem Bahnstreik zu erwarten.

Ein Zug wird kommen? Verspätungen und Zugausfälle sind bei einem Bahnstreik zu erwarten.

Frankfurt. Bahnfahrer müssen sich auf Zugausfälle und Chaos in Bahnhöfen einstellen. Die Lokführergewerkschaft (GDL) erklärte am Dienstag Tarifverhandlungen mit der Bahn für gescheitert und kündigte die „Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen“ an. Termine für die nun anstehenden Warnstreiks wurden noch nicht genannt.

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Zuvor war am Montag die vierte Verhandlungsrunde erwartungsgemäß ohne Ergebnis beendet worden. „Wir wollten verhandeln und eine Einigung erzielen, doch die DB hat sich erneut verweigert“, sagte GDL-Chef Claus Weselsky am Dienstagmittag. Er warf der Bahn vor, die Arbeitsbedingungen des Zugpersonals verschlechtern zu wollen und mit anderslautenden Aussagen zu lügen.

Die letzte große Streikwelle der GDL liegt sechs Jahre zurück. Seinerzeit wurden die Ausstände häufig kurzfristig angekündigt, was es für die Bahn schwer machte, umzudisponieren. Das wird sich nun möglicherweise wiederholen. Erste Arbeitskämpfe könnte es schon am kommenden Wochenende geben.

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Für die Bahn kommt ein Streik zur Unzeit

Weselskys Wortwahl zeigt, mit welch harten Bandagen gekämpft wird. DB-Personalvorstand Martin Seiler hatte bereits am Montagabend geahnt, dass da etwas in der Luft liegt: „Diese GDL-Führung nimmt bewusst Schaden für die Kundinnen und Kunden der DB in Kauf – mitten in der aufkommenden Reiselust nach dem Corona-Lockdown.“ Die GDL habe sich endgültig entlarvt.

Nach Angaben der DB ist im Regionalverkehr das Angebot wieder auf die vollständige Zahl der Verbindungen hochgefahren worden. Im Fernverkehr sind es nach Seilers Worten nahezu 100 Prozent. Streiks würden den Staatskonzern doppelt schwer treffen. Die Bahn hat wegen Corona gigantische Verluste eingefahren, weil während der Lockdowns auf Geheiß der Bundesregierung ein Großteil der Verbindungen aufrechterhalten wurde. Allerdings waren viele Züge nur spärlich besetzt.

„Gerade jetzt den Bahnverkehr bestreiken zu wollen, ist daneben und völlig unnötig“, sagte eine Bahnsprecherin am Dienstagnachmittag. Die GDL streike in Zeiten, in denen Millionen auf die Rückkehr in die Normalität setzten. Und sie streike in Zeiten, in denen es bei der DB Jobsicherheit gebe, während viele Menschen um ihre Existenz kämpfen müssten.

„Die DB ruft die GDL auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren“, so die Sprecherin. Die DB wolle Lösungen und habe diese auch angeboten. Insider gehen davon aus, dass das Timing der Lokführer Kalkül hat und dass die Verhandlungen bis zum Beginn der Reisezeit hinausgezögert wurden.

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Die Verhandlungskommission des Staatskonzerns hat sich nach eigenen Angaben zuletzt bewegt und weitere Vorschläge gemacht, die dem Tarifabschluss auf dem Niveau des öffentlichen Diensts entsprechen sollen. Die Beschäftigten dort haben Einmalzahlungen zwischen 300 und 600 Euro erhalten und beziehen seit dem 1. April 1,4 Prozent mehr Geld, aber mindestens 50 Euro. Weitere 1,8 Prozent kommen zum 1. April 2022 hinzu. Die Laufzeit beträgt insgesamt 28 Monate.

Im September schnürte die mit der GDL konkurrierende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ein Tarifpaket, das von Anfang 2022 für die Beschäftigten ein Plus von 1,5 Prozent bringt. Laufzeit: bis Ende Februar 2023. So lange sind auch betriebsbedingte Kündigungen ausgeschlossen. Die Lokführer hatten es abgelehnt, an den Verhandlungen teilzunehmen. Eine Schlichtung im Herbst scheiterte.

Die GDL fordert nun unter anderem eine Erhöhung der Gehälter um 4,8 Prozent, und zwar mit einer Laufzeit von nur zwölf Monaten und im Rahmen eines „Eisenbahnflächentarifvertrags“ – also einer Vereinbarung für alle Mitglieder der Gewerkschaft, zu der neben den Lokführern vor allem auch Zugbegleiter gehören. Die GDL-Vertreter sollen bei den mehrstündigen Gesprächen am Montag zu keinerlei Zugeständnissen bereit gewesen sein.

Tarifeinheitsgesetz ist der eigentliche Knackpunkt

Das hat damit zu tun, dass die Interessenvertretung offensichtlich auf erheblich mehr als nur mehr Geld zielt. Matthias Gastel, Bahn-Experte der Grünen-Bundestagsfraktion, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Die laufende Tarifauseinandersetzung ist keine Gewöhnliche. Es geht beileibe nicht ausschließlich um Lohn- und Arbeitsbedingungen. Vielmehr wird der Tarifstreit massiv verkompliziert durch das unsägliche Tarifeinheitsgesetz, das jetzt greifen soll.“

Der Kern: Wo GDL und EVG dieselben Berufsgruppen vertreten, muss geklärt werden, welche Organisation jeweils mehr Mitglieder hat. Bei einer derartigen „Tarifkollision“ sollen die Verträge der Majorität dann für alle Beschäftigten gelten. Bislang war das Tarifeinheitsgesetz (TEG) bei der Bahn außer Kraft gesetzt. Doch die Frist ist abgelaufen.

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Gastel spricht von einem „überflüssigen Gesetz“ der schwarz-roten Koalition – es wurde 2015 beschlossen. Die Regierungsfraktionen hätten eine Mitverantwortung für die Eskalation bei der Deutschen Bahn und die negativen Folgen für das Unternehmen, die Fahrgäste und die Güterkunden. „Ich hoffe sehr, dass die Tarifpartner doch noch zusammenfinden und sich ein Streik abwenden lässt“, so Gastel.

Das DB-Management startete aber bereits im April die Umsetzung des TEG. Dabei wurde klar, dass die EVG in 55 von 71 betroffenen Betrieben die Nase vorn hat. In 16 Betrieben würde die GDL vorgeben, wo es langgeht – unter anderem beim Zugpersonal. Klar ist aber, dass mit dem TEG der Einfluss der Lokführer dauerhaft beschränkt würde, und genau das wollen Weselsky und seine Leute offenbar verhindern.

Allerdings: Ein Streik für ein weiteres Aussetzen des TEG würde mit großer Wahrscheinlichkeit von Gerichten gestoppt. Deshalb gehen Insider davon aus, dass die GDL die TEG-Frage gewissermaßen im Huckepackverfahren mit der 4,8-Prozent-Forderung in die Verhandlungen einbringen will. Der entscheidende Punkt dürfte aber sein, dass auch die EVG einem weiteren Aussetzen des Tarifeinheitsgesetzes zustimmen müsste. Doch dies hat die EVG bereits vehement abgelehnt.

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