Primark-Managerin über Nachhaltigkeit: „Wir wissen, dass wir mehr tun müssen“

Christiane Wiggers-Voellm führt seit 2020 das Geschäft von Primark in Deutschland und Österreich.

Christiane Wiggers-Voellm führt seit 2020 das Geschäft von Primark in Deutschland und Österreich.

Hannover. Natürlich kommt Christiane Wiggers-Voellm im Primark-Outfit zum Gespräch. Zumindest Jeans der Marke trage sie schon seit zehn Jahren, versichert sie glaubhaft. Da war die Managerin allerdings noch bei H&M unter Vertrag. Sie hat mehrere Modeunternehmen von innen erlebt, nachdem sie auf eine Bühnenkarriere verzichtet hatte – Wiggers-Voellm ist ausgebildete Opernsängerin. Seit 2020 führt sie die Geschäfte des Textildiscounters Primark in Deutschland und Österreich. Die irische Filialkette, die bis heute keinen Onlineshop betreibt, hat Großes vor: Primark will nachhaltig werden – und billig bleiben.

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Wir sind nach wie vor skeptisch, denn es fehlt die konkrete Überprüfbarkeit.

Isabell Ullrich,

Kampagne für saubere Kleidung Deutschland

Während Wiggers-Voellm überzeugt ist, dass beides zugleich geht, hat Isabell Ullrich nach einem Blick in das „Primark-Cares“-Konzept weiter Zweifel. „Wir sind nach wie vor skeptisch, denn es fehlt die konkrete Überprüfbarkeit“, sagt die Koordinatorin der Kampagne für Saubere Kleidung Deutschland. Zu viel sei noch Absichtserklärung und kaum messbar. Nachhaltigkeit koste Geld, das sei mit Niedrigpreisen kaum zu vereinbaren.

Immerhin zeige die Initiative, dass die Kundinnen und Kunden auf einen Wandel in der Modebranche drängten. „Es ist ein gutes Zeichen, dass auch Primark auf den Zug aufspringen muss“, sagt Ullrich. Schließlich gilt die Kette als Inbegriff von „Fast Fashion“ – billig hergestellter Wegwerfmode. Die bleibe aber ein Widerspruch zur Nachhaltigkeit, meint Ullrich, denn Billigklamotten würden nun einmal schnell aussortiert. Die Kampagne für Saubere Kleidung hält deshalb grundsätzlich nichts vom Primark-Geschäftsmodell: „Niemand in unserer Gesellschaft braucht T-Shirts für 2 Euro.“ Primark-Managerin Christiane Wiggers-Voellm sieht das anders.

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Eine kleine Erfahrung aus der Vorbereitung dieses Interviews, Frau Wiggers-Voellm: Die Leute runzeln die Stirn, wenn es bei Primark um Nachhaltigkeit geht, manche lachen. Warum hat das Unternehmen bei diesem Thema einen so schlechten Ruf?

Als Primark vor 50 Jahren gegründet wurde, hatten wir die Vision, Mode für alle erschwinglich zu machen. Mit Primark Cares gehen wir noch einen Schritt weiter und machen nachhaltige Mode für alle erschwinglich. Wir arbeiten schon lange an dem Thema, haben aber nie so deutlich darüber gesprochen.

Also dann: Wie will Primark nachhaltiger werden?

Unser Fokus liegt darauf, unsere Produkte nachhaltiger zu produzieren, mehr für den Schutz unseres Planeten zu tun und das Leben der Menschen zu verbessern, die unsere Produkte herstellen.

Wie soll das gehen? Primark-Mode ist billig und gilt nicht gerade als langlebig.

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Unser Ziel ist eine Kreislaufwirtschaft. Wir fangen übrigens nicht bei null an – schon heute wird jedes vierte Kleidungsstück von Primark entweder aus nachhaltigen oder recycelten Materialien hergestellt. Wir wollen die Lebensdauer unserer Produkte erhöhen und 2027 volle Recyclingfähigkeit erreichen. Bis 2030 werden alle unsere Kleidungsstücke aus recycelten oder nachhaltiger beschafften Materialien bestehen. Außerdem wird unsere Kleidung so designed werden, dass sie am Ende ihrer Lebensdauer recycelt werden kann. Wir werden ausschließlich Biobaumwolle, recycelte Baumwolle oder Baumwolle aus unserem Sustainable Cotton Programme verwenden. Darüber hinaus werden wir alle Einwegplastikprodukte aus unserem Unternehmen verbannen und keine fossilen Brennstoffe mehr in unserem eigenen Betrieb verwenden. Und alle Landwirte, die an unserem Programm für nachhaltige Baumwolle teilnehmen, werden regenerative Anbaumethoden anwenden.

Primark betreibt in Deutschland knapp 30 Geschäfte.

Primark betreibt in Deutschland knapp 30 Geschäfte.

Textilien gelten inzwischen als Wegwerfartikel. Kann die Branche einen jahrelangen Irrweg korrigieren?

Wir wollen, dass unsere Kleidung von Kundinnen und Kunden geliebt und lange getragen wird. Ich trage Primark-Jeans seit zehn Jahren und hatte noch nie ein Problem. Aber trotzdem: Wir wissen, dass wir mehr tun können, um unsere Kleidung langlebiger zu machen, und gehen das auch aktiv an. Wir haben jetzt schon externe Labore, die die Haltbarkeit unserer Kleidung testen. Es gibt bisher keinen allgemeingültigen Standard, deshalb sind wir dabei, einen eigenen, ehrgeizigen Standard zu erstellen. Wir konzentrieren uns auf mehrere Bereiche, um unsere Kleidungsstücke langlebiger zu machen, und ändern die Art und Weise, wie sie entworfen und hergestellt werden, um Modeabfälle zu reduzieren.

Wie kann man das Recycling verbessern? Inzwischen werden Sammelcontainer abgebaut, weil aus alter Kleidung nichts mehr zu machen ist.

Das beginnt bereits beim Design. Wenn ich ein T-Shirt aufwendig bedrucke, wird es schwieriger. Auch Pailletten machen das Recycling komplizierter – wir schulen daher unsere Designteams entsprechend. Und in der Produktion verwenden wir zum Beispiel Garne aus recycelten Kunststoffflaschen.

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Wird es für all das, was Sie ankündigen, eine neutrale Kontrolle geben? Oder Nachhaltigkeitsberichte?

In erster Linie haben wir unser Team vor Ort in allen unseren Beschaffungsländern, das sind über 130 Mitarbeiter, die regelmäßig Kontrollen in den Fabriken unserer Lieferanten durchführen – über 3000 pro Jahr. Wir planen, unsere Fortschritte in Bezug auf unsere Nachhaltigkeitsverpflichtungen jedes Jahr zu messen und darüber zu berichten. Um unsere zentralen Selbstverpflichtungen zu erfüllen, arbeiten wir mit zuverlässigen Partnern zusammen. Darüber hinaus sind wir Teil wichtiger Brancheninitiativen. Dazu gehört beispielsweise die Initiative Textiles 2030, deren Mitglieder sich zum Ziel gesetzt haben, die Treibhausgas-Emissionen neuer Produkte um 50 Prozent zu reduzieren.

Es gibt eine Menge Nachhaltigkeitssiegel. Würde nicht zum Beispiel der „Grüne Knopf“ Vertrauen schaffen?

Wir haben durchaus Siegel und Kollaborationen, zum Beispiel Oeko-Tex 100, Cradle to Cradle oder Reprieve. Der „Grüne Knopf“ hingegen ist ein rein deutsches Siegel. Aber wir sind ein internationales Unternehmen und verkaufen die gleichen Produkte in 14 Ländern.

Wir halten ein Lieferkettengesetz auf EU-Ebene für den nächsten logischen Schritt.

Christiane Wiggers-Voellm

Was halten Sie vom neuen Lieferkettengesetz?

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Primark unterstützt das Lieferkettengesetz und ist überzeugt, dass es das Potenzial hat, gleiche Wettbewerbsbedingungen für die gesamte Branche zu schaffen. Wir halten ein Lieferkettengesetz auf EU-Ebene für den nächsten logischen Schritt.

Nachhaltigkeit bedeutet in der Regel mehr Aufwand. Nimmt Primark Abschied von der Billigstrategie?

Was den Aufwand angeht, so ist dies zwar ein neues Kapitel, aber wir fangen nicht bei null an. Und aufgrund unserer Größe können wir mit jeder Veränderung, die wir vornehmen, eine große Wirkung erzielen. Veränderungen dieser Größenordnung brauchen Zeit, und es gibt keine fest definierte Ziellinie, da wir uns selbst ständig herausfordern, mehr zu tun. Wir wissen, dass wir dafür ebenso investieren müssen wie für jede andere Innovation oder Geschäftserweiterung. Und dabei können unsere Kundinnen und Kunden weiterhin von dem ausgezeichneten Preis-Leistungs-Verhältnis, das sie stets von uns erwarten, profitieren – denn wir glauben nicht, dass Nachhaltigkeit mit einem höheren Preis verbunden sein sollte.

Aber nehmen wir Baumwolle – die wird aus nachhaltiger Erzeugung doch teurer sein.

Schon jetzt stammen 14 Prozent unserer Baumwolle aus nachhaltigerem Anbau, aus unserem Primark Sustainable Cotton Programme, das wir zusammen mit der Organisation Cotton Connect entwickelt haben. Der Sinn dieses Projekts ist es, Baumwolle mit weniger chemischen Düngemitteln, weniger Pestiziden und weniger Wasser anzubauen. Dadurch sinken die Kosten. Wir schulen insgesamt 160.000 Farmer – das größte Programm dieser Art in der gesamten Branche.

Und was ist mit Lieferanten, die Standards nicht erfüllen?

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Es geht darum, partnerschaftlich mit unseren Lieferanten auf einen neuen Standard hinzuarbeiten. Dafür braucht man eine langfristige Zusammenarbeit. In extremen Fällen haben wir uns auch schon von Lieferanten getrennt, aber wir versuchen, mit den Lieferanten zusammenzuarbeiten, um das zu vermeiden.

In Bangladesch lassen fast alle großen Modemarken nähen – die billigen und die teuren.

In Bangladesch lassen fast alle großen Modemarken nähen – die billigen und die teuren.

Trotzdem ist zum Beispiel 2013 der Rana-Plaza-Komplex in Bangladesch eingestürzt. Mehr als 1000 Menschen sind gestorben, die dort Billigmode genäht hatten.

Das war ein Schock und macht heute noch betreten. Gerade wurde die Verlängerung des Bangladesch-Abkommens unterzeichnet, und Primark ist auch Mitglied beim Accord-Abkommen mit den Gewerkschaften. Wir haben direkte finanzielle Hilfe geleistet für Opfer und Hinterbliebene und bestehen inzwischen bei Lieferanten auf statischen Prüfungen ihrer Gebäude.

Aber Arbeitsbedingungen und Löhne bleiben schlecht.

Gemeinsam mit unseren Zulieferern haben wir sehr hart daran gearbeitet, um sicherzustellen, dass in den Fabriken, die uns beliefern, gute Arbeitsbedingungen herrschen, die Arbeiter anständig behandelt werden und ein fairer Lohn gezahlt wird. Wir arbeiten nur dann mit Lieferanten zusammen, wenn sie unseren Verhaltenskodex unterzeichnen und einhalten, der auf international anerkannten Standards beruht. Vor Ort unterhalten wir ein Team von über 130 Experten, das sicherstellt, dass diese Standards auch eingehalten werden.

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Was kann man realistischerweise erreichen?

Wir wissen, dass wir mehr tun müssen, um die Löhne für die Arbeiter in unserer Lieferkette zu verbessern. Deshalb streben wir einen existenzsichernden Lohn für die Menschen an, die unsere Produkte herstellen, und bieten Zugang zu Schulungen zur finanziellen Bildung. Wie hoch muss ein Lohn sein, um Menschen ein angemessenes Leben in Indien, Bangladesch oder Pakistan zu ermöglichen? Das wird jetzt zusammen mit verschiedenen Organisationen ermittelt. Das Ziel ist der Abschluss von Tarifverträgen. Dafür setzt sich Primark auch mit den Gewerkschaften ein.

Dabei müssen die Fabrikbesitzer aber auch mitmachen.

Wir sind sehr präsent in den Fabriken und wollen unseren Einfluss dort nutzen. Die Besitzer sehen in der Regel ein, dass es auch zu ihrem Besten ist, wenn es ihren Leuten gut geht und wenn nachhaltig produziert wird. Am Ende hat es Vorteile für beide Seiten.

Der Fabrikbesitzer soll höhere Löhne zahlen, bekommt von Primark aber den gleichen Preis wie bisher. Das soll er besser finden?

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Wir arbeiten auf offene Kostenkalkulation hin. Das heißt: Wir können sehen, welchen Anteil unseres Einkaufspreises der Lohn ausmacht. Heute wird Mindestlohn gezahlt, und dessen Aufstockung geht nur gemeinsam, das muss ein Kompromiss sein. Der nächste Schritt ist es, einen existenzsichernden Lohn festzulegen, dann gilt es ihn zu erreichen.

Der Rückschluss ist falsch, dass die Menschen in der Fabrik besser leben, wenn T-Shirts teurer sind.

Christiane Wiggers-Voellm

Wäre das alles nicht leichter, wenn Sie Abschied nehmen würden von der Wegwerfmode? Bricht uns ein Zacken aus der Krone, wenn wir einen Euro mehr für ein T-Shirt zahlen?

Der Rückschluss ist falsch, dass die Menschen in der Fabrik besser leben, wenn T-Shirts teurer sind. Dort werden auch für andere Auftraggeber T-Shirts genäht, die im Laden ein Vielfaches von unseren kosten – der Lohn ist aber derselbe. Wir glauben, dass es nicht teurer sein darf und auch nicht teurer sein muss, nachhaltig zu produzieren. Es ist unser Geschäftsmodell, nachhaltigere Produkte für alle erschwinglich zu machen.

Was kostet bei Primark ein komplettes Outfit? Nehmen wir mal Ihres?

Ich zahle normalerweise so um die 50 Euro – ohne Schuhe. Die Jacke hat übrigens ein Vegan-Siegel vom TÜV: sieht aus wie Leder, ist aber keines. Und die Jeans sind aus nachhaltiger Baumwolle.

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Wäre Nachhaltigkeit leichter zu erreichen, wenn es nicht alle paar Wochen ein neues Outfit sein muss?

Ich glaube, dass Nachhaltigkeit und Menge gar nicht direkt miteinander in Verbindung stehen. Nachhaltigkeit hat etwas mit der Qualität zu tun, also mit dem Material, den Herstellungsbedingungen und der Recyclingfähigkeit. Wir schreiben unseren Kunden nicht vor, wie viel sie kaufen. Unsere Verantwortung ist, dass die Ware nachhaltig produziert wird und alle Menschen, die dazu beitragen, ein gutes Leben führen können.

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